Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

mer zu borgen. O süsse, reizende Unschuld!
dich hat der Luxus und die Mode aus Städten
vertrieben -- da schnizzen sie sich Bilder, ver-
brämen sie mit Flitterstaat, und fallen vor ihnen
nieder -- Du wendest dein Angesicht weg, und
eutweichest zu den Bewonern der Hütten -- da
lebst du, und verbreitest Segen die Fülle, und
liebliches Wesen immer und ewiglich.

Auch Marie wuchs, von dir geleitet, zu einem
liebevollen Wesen, um einst ein anderes Wesen
zu beglükken -- aber ein unbeugsames Fatum
hatte es anders beschlossen. Jhr Vater schritt
zur zwoten Ehe, mit einer Person, die von
schlechter Herkunft, und von noch schlechtern
Sitten war. Was Wunder? daß die folgsame
Marie als Magd behandelt, und täglich gemis-
handelt ward. Der Vater sah dis, aber er hatte
zu wenig Herrschaft, daß er es hindern konnte:
also sah sich das arme Mädchen den härtesten Ar-
beiten ausgesezt, die immer mit Mishandlungen
begleitet waren. Lange konte sie eine solche Be-
handlung nicht ertragen, und da sie eine nahe
Verwandtinn in B -- -- hatte, so faßte sie den
Entschluß, ihr väterliches Haus zu verlassen,
und sich selbiger in die Arme zu werfen. Eines

O 5

mer zu borgen. O ſuͤſſe, reizende Unſchuld!
dich hat der Luxus und die Mode aus Staͤdten
vertrieben — da ſchnizzen ſie ſich Bilder, ver-
braͤmen ſie mit Flitterſtaat, und fallen vor ihnen
nieder — Du wendeſt dein Angeſicht weg, und
eutweicheſt zu den Bewonern der Huͤtten — da
lebſt du, und verbreiteſt Segen die Fuͤlle, und
liebliches Weſen immer und ewiglich.

Auch Marie wuchs, von dir geleitet, zu einem
liebevollen Weſen, um einſt ein anderes Weſen
zu begluͤkken — aber ein unbeugſames Fatum
hatte es anders beſchloſſen. Jhr Vater ſchritt
zur zwoten Ehe, mit einer Perſon, die von
ſchlechter Herkunft, und von noch ſchlechtern
Sitten war. Was Wunder? daß die folgſame
Marie als Magd behandelt, und taͤglich gemis-
handelt ward. Der Vater ſah dis, aber er hatte
zu wenig Herrſchaft, daß er es hindern konnte:
alſo ſah ſich das arme Maͤdchen den haͤrteſten Ar-
beiten ausgeſezt, die immer mit Mishandlungen
begleitet waren. Lange konte ſie eine ſolche Be-
handlung nicht ertragen, und da ſie eine nahe
Verwandtinn in B — — hatte, ſo faßte ſie den
Entſchluß, ihr vaͤterliches Haus zu verlaſſen,
und ſich ſelbiger in die Arme zu werfen. Eines

O 5
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0225" n="217"/>
mer zu borgen. O <hi rendition="#fr">&#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, reizende Un&#x017F;chuld!</hi><lb/>
dich hat der Luxus und die Mode aus Sta&#x0364;dten<lb/>
vertrieben &#x2014; da &#x017F;chnizzen &#x017F;ie &#x017F;ich Bilder, ver-<lb/>
bra&#x0364;men &#x017F;ie mit Flitter&#x017F;taat, und fallen vor ihnen<lb/>
nieder &#x2014; <hi rendition="#fr">Du</hi> wende&#x017F;t dein Ange&#x017F;icht weg, und<lb/>
eutweiche&#x017F;t zu den Bewonern der Hu&#x0364;tten &#x2014; da<lb/>
leb&#x017F;t du, und verbreite&#x017F;t Segen die Fu&#x0364;lle, und<lb/>
liebliches We&#x017F;en immer und ewiglich.</p><lb/>
        <p>Auch <hi rendition="#fr">Marie</hi> wuchs, von dir geleitet, zu einem<lb/>
liebevollen We&#x017F;en, um ein&#x017F;t ein anderes We&#x017F;en<lb/>
zu beglu&#x0364;kken &#x2014; aber ein unbeug&#x017F;ames Fatum<lb/>
hatte es anders be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en. Jhr Vater &#x017F;chritt<lb/>
zur zwoten Ehe, mit einer Per&#x017F;on, die von<lb/>
&#x017F;chlechter Herkunft, und von noch &#x017F;chlechtern<lb/>
Sitten war. Was Wunder? daß die folg&#x017F;ame<lb/>
Marie als Magd behandelt, und ta&#x0364;glich gemis-<lb/>
handelt ward. Der Vater &#x017F;ah dis, aber er hatte<lb/>
zu wenig Herr&#x017F;chaft, daß er es hindern konnte:<lb/>
al&#x017F;o &#x017F;ah &#x017F;ich das arme Ma&#x0364;dchen den ha&#x0364;rte&#x017F;ten Ar-<lb/>
beiten ausge&#x017F;ezt, die immer mit Mishandlungen<lb/>
begleitet waren. Lange konte &#x017F;ie eine &#x017F;olche Be-<lb/>
handlung nicht ertragen, und da &#x017F;ie eine nahe<lb/>
Verwandtinn in B &#x2014; &#x2014; hatte, &#x017F;o faßte &#x017F;ie den<lb/>
Ent&#x017F;chluß, ihr va&#x0364;terliches Haus zu verla&#x017F;&#x017F;en,<lb/>
und &#x017F;ich &#x017F;elbiger in die Arme zu werfen. Eines<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O 5</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[217/0225] mer zu borgen. O ſuͤſſe, reizende Unſchuld! dich hat der Luxus und die Mode aus Staͤdten vertrieben — da ſchnizzen ſie ſich Bilder, ver- braͤmen ſie mit Flitterſtaat, und fallen vor ihnen nieder — Du wendeſt dein Angeſicht weg, und eutweicheſt zu den Bewonern der Huͤtten — da lebſt du, und verbreiteſt Segen die Fuͤlle, und liebliches Weſen immer und ewiglich. Auch Marie wuchs, von dir geleitet, zu einem liebevollen Weſen, um einſt ein anderes Weſen zu begluͤkken — aber ein unbeugſames Fatum hatte es anders beſchloſſen. Jhr Vater ſchritt zur zwoten Ehe, mit einer Perſon, die von ſchlechter Herkunft, und von noch ſchlechtern Sitten war. Was Wunder? daß die folgſame Marie als Magd behandelt, und taͤglich gemis- handelt ward. Der Vater ſah dis, aber er hatte zu wenig Herrſchaft, daß er es hindern konnte: alſo ſah ſich das arme Maͤdchen den haͤrteſten Ar- beiten ausgeſezt, die immer mit Mishandlungen begleitet waren. Lange konte ſie eine ſolche Be- handlung nicht ertragen, und da ſie eine nahe Verwandtinn in B — — hatte, ſo faßte ſie den Entſchluß, ihr vaͤterliches Haus zu verlaſſen, und ſich ſelbiger in die Arme zu werfen. Eines O 5

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/225
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 217. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/225>, abgerufen am 23.11.2024.