Tages, da ihre Aeltern verreiset waren, pakte sie ihre Habseligkeiten zusammen, und mit einigen Thalern, so sie sich angeliehen, trat sie ihre Reise an, und legte, mehrenteils zu Fusse, eine grosse Strekke zurük. Als sie ungefär noch acht Meilen vom Ort ihrer Bestimmung war, so wurde sie im Posthause mit einer bejahrten Person bekannt, die sich auf alle Weise ihr ge- fällig zu machen suchte; ganz fremde und unbe- kannt nuzte sie das Zutrauen, so selbige in sie zu sezzen schien, entdekte ihr ihre ganze Geschichte und die Absicht ihrer Reise. Die Frau versprach, mit dem Ton des Mitleids, für sie zu sorgen, und sie in das Haus ihrer Verwandtinn zu füh- ren. Das gute Kind wähnte keine Arglist, und vertraute sich dieser Person gutwillig an. Diese war aber eine gedungene Mäklerinn, die junge unbefangene Mädchens mit List fangen, und in die Bordelle einführen.
Sie brachte dis schuldlose Mädchen in ein solches elendes Haus, unter dem Vorwand, daß sie sich nach der Wonung der Anverwandtin er- kundigen wollte. Einige Tage verflossen, und ihre Reisegefährtinn kam nicht wieder, sie ward unruhig, und beklagte sich deshalb bei ihrer
Tages, da ihre Aeltern verreiſet waren, pakte ſie ihre Habſeligkeiten zuſammen, und mit einigen Thalern, ſo ſie ſich angeliehen, trat ſie ihre Reiſe an, und legte, mehrenteils zu Fuſſe, eine groſſe Strekke zuruͤk. Als ſie ungefaͤr noch acht Meilen vom Ort ihrer Beſtimmung war, ſo wurde ſie im Poſthauſe mit einer bejahrten Perſon bekannt, die ſich auf alle Weiſe ihr ge- faͤllig zu machen ſuchte; ganz fremde und unbe- kannt nuzte ſie das Zutrauen, ſo ſelbige in ſie zu ſezzen ſchien, entdekte ihr ihre ganze Geſchichte und die Abſicht ihrer Reiſe. Die Frau verſprach, mit dem Ton des Mitleids, fuͤr ſie zu ſorgen, und ſie in das Haus ihrer Verwandtinn zu fuͤh- ren. Das gute Kind waͤhnte keine Argliſt, und vertraute ſich dieſer Perſon gutwillig an. Dieſe war aber eine gedungene Maͤklerinn, die junge unbefangene Maͤdchens mit Liſt fangen, und in die Bordelle einfuͤhren.
Sie brachte dis ſchuldloſe Maͤdchen in ein ſolches elendes Haus, unter dem Vorwand, daß ſie ſich nach der Wonung der Anverwandtin er- kundigen wollte. Einige Tage verfloſſen, und ihre Reiſegefaͤhrtinn kam nicht wieder, ſie ward unruhig, und beklagte ſich deshalb bei ihrer
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Tages, da ihre Aeltern verreiſet waren, pakte
ſie ihre Habſeligkeiten zuſammen, und mit
einigen Thalern, ſo ſie ſich angeliehen, trat ſie
ihre Reiſe an, und legte, mehrenteils zu Fuſſe,
eine groſſe Strekke zuruͤk. Als ſie ungefaͤr noch
acht Meilen vom Ort ihrer Beſtimmung war,
ſo wurde ſie im Poſthauſe mit einer bejahrten
Perſon bekannt, die ſich auf alle Weiſe ihr ge-
faͤllig zu machen ſuchte; ganz fremde und unbe-
kannt nuzte ſie das Zutrauen, ſo ſelbige in ſie
zu ſezzen ſchien, entdekte ihr ihre ganze Geſchichte
und die Abſicht ihrer Reiſe. Die Frau verſprach,
mit dem Ton des Mitleids, fuͤr ſie zu ſorgen,
und ſie in das Haus ihrer Verwandtinn zu fuͤh-
ren. Das gute Kind waͤhnte keine Argliſt, und
vertraute ſich dieſer Perſon gutwillig an. Dieſe
war aber eine gedungene Maͤklerinn, die junge
unbefangene Maͤdchens mit Liſt fangen, und in
die Bordelle einfuͤhren.
Sie brachte dis ſchuldloſe Maͤdchen in ein
ſolches elendes Haus, unter dem Vorwand, daß
ſie ſich nach der Wonung der Anverwandtin er-
kundigen wollte. Einige Tage verfloſſen, und
ihre Reiſegefaͤhrtinn kam nicht wieder, ſie ward
unruhig, und beklagte ſich deshalb bei ihrer
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 218. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/226>, abgerufen am 23.11.2024.
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