Wirtinn. Diese nahm nunmehr die Maske ab, sagte, daß selbige sich ihre Dummheit zu Nuzze gemacht, und mit ihrer Habseligkeit sich entfernt habe, indessen sollte sie sich deshalb nicht bekümmern, sie sollte alles bei ihr im Ueberfluß haben". Das gute Mädchen brach in Tränen aus, und ahndete noch nichts von ihrer Bestim- mung, da sie aber mit seidenen Lumpen behan- gen, und zu ihren ausgeschmükten Gespielinnen geführt ward, so sah sie den Abgrund, in den sie gestürzt war. Jndessen halfen keine Tränen, sie ward aufs grausamste behandelt, und muste ihren schönen Gliederbau der Zerstörung Preis geben.
So litte sie wenige Monden dis elende Le- ben -- ihre Bildung ward verwollüstigt -- ihre Säfte vergiftet. So wie sie entstellt unter den Schmerzen einer Krankheit, deren Gift alle Teile durchdrungen, darnieder sank, so schwand auch das Mitleid in dem Tigerherzen; man schleppte sie als ein verworfenes Geschöpf ins Spital, und hier unter den elenden Gestalten ehemals blühender Mädchen, wandt' sie sich un- ter den folterndsten Schmerzen auf den Boden. Anstekkend war die Luft, die sie athmete, dar-
Wirtinn. Dieſe nahm nunmehr die Maske ab, ſagte, daß ſelbige ſich ihre Dummheit zu Nuzze gemacht, und mit ihrer Habſeligkeit ſich entfernt habe, indeſſen ſollte ſie ſich deshalb nicht bekuͤmmern, ſie ſollte alles bei ihr im Ueberfluß haben‟. Das gute Maͤdchen brach in Traͤnen aus, und ahndete noch nichts von ihrer Beſtim- mung, da ſie aber mit ſeidenen Lumpen behan- gen, und zu ihren ausgeſchmuͤkten Geſpielinnen gefuͤhrt ward, ſo ſah ſie den Abgrund, in den ſie geſtuͤrzt war. Jndeſſen halfen keine Traͤnen, ſie ward aufs grauſamſte behandelt, und muſte ihren ſchoͤnen Gliederbau der Zerſtoͤrung Preis geben.
So litte ſie wenige Monden dis elende Le- ben — ihre Bildung ward verwolluͤſtigt — ihre Saͤfte vergiftet. So wie ſie entſtellt unter den Schmerzen einer Krankheit, deren Gift alle Teile durchdrungen, darnieder ſank, ſo ſchwand auch das Mitleid in dem Tigerherzen; man ſchleppte ſie als ein verworfenes Geſchoͤpf ins Spital, und hier unter den elenden Geſtalten ehemals bluͤhender Maͤdchen, wandt’ ſie ſich un- ter den folterndſten Schmerzen auf den Boden. Anſtekkend war die Luft, die ſie athmete, dar-
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Wirtinn. Dieſe nahm nunmehr die Maske
ab, ſagte, daß ſelbige ſich ihre Dummheit zu
Nuzze gemacht, und mit ihrer Habſeligkeit ſich
entfernt habe, indeſſen ſollte ſie ſich deshalb nicht
bekuͤmmern, ſie ſollte alles bei ihr im Ueberfluß
haben‟. Das gute Maͤdchen brach in Traͤnen
aus, und ahndete noch nichts von ihrer Beſtim-
mung, da ſie aber mit ſeidenen Lumpen behan-
gen, und zu ihren ausgeſchmuͤkten Geſpielinnen
gefuͤhrt ward, ſo ſah ſie den Abgrund, in den
ſie geſtuͤrzt war. Jndeſſen halfen keine Traͤnen,
ſie ward aufs grauſamſte behandelt, und muſte
ihren ſchoͤnen Gliederbau der Zerſtoͤrung Preis
geben.
So litte ſie wenige Monden dis elende Le-
ben — ihre Bildung ward verwolluͤſtigt —
ihre Saͤfte vergiftet. So wie ſie entſtellt unter
den Schmerzen einer Krankheit, deren Gift alle
Teile durchdrungen, darnieder ſank, ſo ſchwand
auch das Mitleid in dem Tigerherzen; man
ſchleppte ſie als ein verworfenes Geſchoͤpf ins
Spital, und hier unter den elenden Geſtalten
ehemals bluͤhender Maͤdchen, wandt’ ſie ſich un-
ter den folterndſten Schmerzen auf den Boden.
Anſtekkend war die Luft, die ſie athmete, dar-
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 219. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/227>, abgerufen am 23.11.2024.
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