Blutvergiessen an Altären der Gerechtigkeit, seh die Unschuld in Ketten, auf dem Rade -- alles dies seh ich in unserm Jahrhundert, dem Zeit- alter des Geschmaks und der Aufklärung, ver- hülle mein Antliz und weine! -- --
Aber kann man die Ursachen nicht bestim- men, die den Verfall unserer moralischen Güte nach sich ziehn? Diejenigen Triebfedern die unser Herz so verderbt und böse machen, daß wir mit Vorsaz die Rechte der Natur und Menschheit entweihn, und Bande zerreissen, die das höchste Wesen um uns schlang?
Wenn wir die Geringschäzzung gegen die göttlichen Gesezze, die Verachtung der Re- ligion bemerken, die auf alle Stände verbreitet ist, so wird man darin leicht den Grund fin- den, warum auch diejenigen Rechte entweiht wer- den, die durch die Religion also geheiligt werden.
Wenn man auf die schlechte moralisch feh- lerhafte Bildung unserer Jugend sein Au- genmerk richtet, wenn man gewahr wird, wie früh wir anfangen, uns des beschwerlichen Man- tels der Sittsamkeit und Tugend zu entledigen, und durch stumme und laute Sünden schon im zwanzigsten Frühling unsers Lebens verblüht sind,
Blutvergieſſen an Altaͤren der Gerechtigkeit, ſeh die Unſchuld in Ketten, auf dem Rade — alles dies ſeh ich in unſerm Jahrhundert, dem Zeit- alter des Geſchmaks und der Aufklaͤrung, ver- huͤlle mein Antliz und weine! — —
Aber kann man die Urſachen nicht beſtim- men, die den Verfall unſerer moraliſchen Guͤte nach ſich ziehn? Diejenigen Triebfedern die unſer Herz ſo verderbt und boͤſe machen, daß wir mit Vorſaz die Rechte der Natur und Menſchheit entweihn, und Bande zerreiſſen, die das hoͤchſte Weſen um uns ſchlang?
Wenn wir die Geringſchaͤzzung gegen die goͤttlichen Geſezze, die Verachtung der Re- ligion bemerken, die auf alle Staͤnde verbreitet iſt, ſo wird man darin leicht den Grund fin- den, warum auch diejenigen Rechte entweiht wer- den, die durch die Religion alſo geheiligt werden.
Wenn man auf die ſchlechte moraliſch feh- lerhafte Bildung unſerer Jugend ſein Au- genmerk richtet, wenn man gewahr wird, wie fruͤh wir anfangen, uns des beſchwerlichen Man- tels der Sittſamkeit und Tugend zu entledigen, und durch ſtumme und laute Suͤnden ſchon im zwanzigſten Fruͤhling unſers Lebens verbluͤht ſind,
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Blutvergieſſen an Altaͤren der Gerechtigkeit, ſeh
die Unſchuld in Ketten, auf dem Rade — alles
dies ſeh ich in unſerm Jahrhundert, dem Zeit-
alter des Geſchmaks und der Aufklaͤrung, ver-
huͤlle mein Antliz und weine! — —
Aber kann man die Urſachen nicht beſtim-
men, die den Verfall unſerer moraliſchen
Guͤte nach ſich ziehn? Diejenigen Triebfedern
die unſer Herz ſo verderbt und boͤſe machen, daß
wir mit Vorſaz die Rechte der Natur und
Menſchheit entweihn, und Bande zerreiſſen, die
das hoͤchſte Weſen um uns ſchlang?
Wenn wir die Geringſchaͤzzung gegen die
goͤttlichen Geſezze, die Verachtung der Re-
ligion bemerken, die auf alle Staͤnde verbreitet
iſt, ſo wird man darin leicht den Grund fin-
den, warum auch diejenigen Rechte entweiht wer-
den, die durch die Religion alſo geheiligt werden.
Wenn man auf die ſchlechte moraliſch feh-
lerhafte Bildung unſerer Jugend ſein Au-
genmerk richtet, wenn man gewahr wird, wie
fruͤh wir anfangen, uns des beſchwerlichen Man-
tels der Sittſamkeit und Tugend zu entledigen,
und durch ſtumme und laute Suͤnden ſchon im
zwanzigſten Fruͤhling unſers Lebens verbluͤht ſind,
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 15. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/23>, abgerufen am 17.07.2024.
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