Sie wird nie den Namen Mutter hören, und als ein unschuldiges Opfer der Sünden ihres schändlichen Gatten dahin welken, und ihr klägliches freudenleeres Leben enden. Was hatte sie verbrochen, daß sie so leiden muste? Aber wehe dem, der Schöpfer dieser Leiden war -- sie werden ihn einst anklagen, und wider ihn zeugen!
O Jünglinge und Mädchen meines Zeit- alters! seht, das sind die traurigen Szenen der Wollust, die euch allenthalben aufstossen, so löscht diese Megäre, Schönheit, Reiz und Jugend aus, und erzeugt Krankheit, Gram, ja selbst den Tod in der Blüte der Jahre. Für euch hab ich diese Szenen entworfen -- sie stehen euch ja immer vor Augen -- aufgedekt sind sie, und ihr habt immer die Wahl zwi- schen Segen und Fluch; o verlaßt den breiten Pfad des Lasters, und betretet die enge Bahn der Tugend. Jhr werdet Mühe haben, euch durch die Dornen zu winden, die eure Fersen verwun- den, aber eure Mühe wird auch hienieden, und jenseits mit Wucher belont werden. Jhr werdet zu kämpfen haben, mit Natur in euch selbst -- mit jenen Leidenschaften, so in eurem Busen lodern: aber wie rühmlich ist es, den Feind be-
P 2
Sie wird nie den Namen Mutter hoͤren, und als ein unſchuldiges Opfer der Suͤnden ihres ſchaͤndlichen Gatten dahin welken, und ihr klaͤgliches freudenleeres Leben enden. Was hatte ſie verbrochen, daß ſie ſo leiden muſte? Aber wehe dem, der Schoͤpfer dieſer Leiden war — ſie werden ihn einſt anklagen, und wider ihn zeugen!
O Juͤnglinge und Maͤdchen meines Zeit- alters! ſeht, das ſind die traurigen Szenen der Wolluſt, die euch allenthalben aufſtoſſen, ſo loͤſcht dieſe Megaͤre, Schoͤnheit, Reiz und Jugend aus, und erzeugt Krankheit, Gram, ja ſelbſt den Tod in der Bluͤte der Jahre. Fuͤr euch hab ich dieſe Szenen entworfen — ſie ſtehen euch ja immer vor Augen — aufgedekt ſind ſie, und ihr habt immer die Wahl zwi- ſchen Segen und Fluch; o verlaßt den breiten Pfad des Laſters, und betretet die enge Bahn der Tugend. Jhr werdet Muͤhe haben, euch durch die Dornen zu winden, die eure Ferſen verwun- den, aber eure Muͤhe wird auch hienieden, und jenſeits mit Wucher belont werden. Jhr werdet zu kaͤmpfen haben, mit Natur in euch ſelbſt — mit jenen Leidenſchaften, ſo in eurem Buſen lodern: aber wie ruͤhmlich iſt es, den Feind be-
P 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0235"n="227"/>
Sie wird nie den Namen Mutter hoͤren, und<lb/>
als ein unſchuldiges Opfer der Suͤnden ihres<lb/>ſchaͤndlichen Gatten dahin welken, und ihr<lb/>
klaͤgliches freudenleeres Leben enden. Was hatte<lb/>ſie verbrochen, daß ſie ſo leiden muſte? Aber<lb/>
wehe dem, der Schoͤpfer dieſer Leiden war —ſie<lb/>
werden ihn einſt anklagen, und wider ihn zeugen!</p><lb/><p>O <hirendition="#fr">Juͤnglinge</hi> und <hirendition="#fr">Maͤdchen meines Zeit-<lb/>
alters!</hi>ſeht, das ſind die traurigen Szenen<lb/>
der Wolluſt, die euch allenthalben aufſtoſſen,<lb/>ſo loͤſcht dieſe <hirendition="#fr">Megaͤre,</hi> Schoͤnheit, Reiz und<lb/>
Jugend aus, und erzeugt Krankheit, Gram,<lb/>
ja ſelbſt den Tod in der Bluͤte der Jahre. Fuͤr<lb/><hirendition="#fr">euch</hi> hab ich dieſe Szenen entworfen —ſie<lb/>ſtehen euch ja immer vor Augen — aufgedekt<lb/>ſind ſie, und ihr habt immer die Wahl zwi-<lb/>ſchen Segen und Fluch; o verlaßt den breiten<lb/>
Pfad des Laſters, und betretet die enge Bahn der<lb/>
Tugend. <hirendition="#fr">Jhr</hi> werdet Muͤhe haben, euch durch<lb/>
die Dornen zu winden, die eure Ferſen verwun-<lb/>
den, aber eure Muͤhe wird auch hienieden, und<lb/>
jenſeits mit Wucher belont werden. Jhr werdet<lb/>
zu kaͤmpfen haben, mit Natur in euch ſelbſt —<lb/>
mit jenen Leidenſchaften, ſo in eurem Buſen<lb/>
lodern: aber wie ruͤhmlich iſt es, den Feind be-<lb/><fwplace="bottom"type="sig">P 2</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[227/0235]
Sie wird nie den Namen Mutter hoͤren, und
als ein unſchuldiges Opfer der Suͤnden ihres
ſchaͤndlichen Gatten dahin welken, und ihr
klaͤgliches freudenleeres Leben enden. Was hatte
ſie verbrochen, daß ſie ſo leiden muſte? Aber
wehe dem, der Schoͤpfer dieſer Leiden war — ſie
werden ihn einſt anklagen, und wider ihn zeugen!
O Juͤnglinge und Maͤdchen meines Zeit-
alters! ſeht, das ſind die traurigen Szenen
der Wolluſt, die euch allenthalben aufſtoſſen,
ſo loͤſcht dieſe Megaͤre, Schoͤnheit, Reiz und
Jugend aus, und erzeugt Krankheit, Gram,
ja ſelbſt den Tod in der Bluͤte der Jahre. Fuͤr
euch hab ich dieſe Szenen entworfen — ſie
ſtehen euch ja immer vor Augen — aufgedekt
ſind ſie, und ihr habt immer die Wahl zwi-
ſchen Segen und Fluch; o verlaßt den breiten
Pfad des Laſters, und betretet die enge Bahn der
Tugend. Jhr werdet Muͤhe haben, euch durch
die Dornen zu winden, die eure Ferſen verwun-
den, aber eure Muͤhe wird auch hienieden, und
jenſeits mit Wucher belont werden. Jhr werdet
zu kaͤmpfen haben, mit Natur in euch ſelbſt —
mit jenen Leidenſchaften, ſo in eurem Buſen
lodern: aber wie ruͤhmlich iſt es, den Feind be-
P 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 227. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/235>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.