bestreute, und mir von ferne das Ziel zeigte, das ich einst, oder niemals erreichen, dem ich früh oder spät zueilen werde? Schöpfer meiner Tage! du allein weist es, ob mein Leben eine Quelle der Freude und des Trostes, oder des Traurens sein soll, du allein hast den Faden meines Glüks, meines Lebens in deiner Hand, zerreiß nie den ersten, ohne den an- dern getrennt zu haben! denn was wäre das Leben ohne sie? ein ewiges Abarbeiten der Kräfte, die sich unter einander zerstören, ein ewiger Krieg der leidenden| Seele mit einem schwachen Körper, und wann die Seele leidet, so fällt der ganze Bau, sinkt und stürzet ein.
Alles Freude um mich her und Wonne, jedes Geschöpf vom Meuschen bis zum Wurm lächelt dem kommenden Frühling entgegen, und fühlt neues Leben und Ruhe. Wenn ich doch auch von mir sagen könnte; ich freue mich der Schöpfung, und hauche das glühende heilige Leben der Natur ein, das un- sere Erzväter so glüklich machte.
Da ich noch Knabe war, und unter den Blu- men des Mais unvermerkt zum Jüngling reifte, da konnte ichs. Aber nun du, Liebe, Störerinn mei- ner Ruhe, in mein Herz geschlichen bist, nun ist
Q 2
beſtreute, und mir von ferne das Ziel zeigte, das ich einſt, oder niemals erreichen, dem ich fruͤh oder ſpaͤt zueilen werde? Schoͤpfer meiner Tage! du allein weiſt es, ob mein Leben eine Quelle der Freude und des Troſtes, oder des Traurens ſein ſoll, du allein haſt den Faden meines Gluͤks, meines Lebens in deiner Hand, zerreiß nie den erſten, ohne den an- dern getrennt zu haben! denn was waͤre das Leben ohne ſie? ein ewiges Abarbeiten der Kraͤfte, die ſich unter einander zerſtoͤren, ein ewiger Krieg der leidenden| Seele mit einem ſchwachen Koͤrper, und wann die Seele leidet, ſo faͤllt der ganze Bau, ſinkt und ſtuͤrzet ein.
Alles Freude um mich her und Wonne, jedes Geſchoͤpf vom Meuſchen bis zum Wurm laͤchelt dem kommenden Fruͤhling entgegen, und fuͤhlt neues Leben und Ruhe. Wenn ich doch auch von mir ſagen koͤnnte; ich freue mich der Schoͤpfung, und hauche das gluͤhende heilige Leben der Natur ein, das un- ſere Erzvaͤter ſo gluͤklich machte.
Da ich noch Knabe war, und unter den Blu- men des Mais unvermerkt zum Juͤngling reifte, da konnte ichs. Aber nun du, Liebe, Stoͤrerinn mei- ner Ruhe, in mein Herz geſchlichen biſt, nun iſt
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beſtreute, und mir von ferne das Ziel zeigte, das
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ſpaͤt zueilen werde? Schoͤpfer meiner Tage! du
allein weiſt es, ob mein Leben eine Quelle der Freude
und des Troſtes, oder des Traurens ſein ſoll, du
allein haſt den Faden meines Gluͤks, meines Lebens
in deiner Hand, zerreiß nie den erſten, ohne den an-
dern getrennt zu haben! denn was waͤre das Leben
ohne ſie? ein ewiges Abarbeiten der Kraͤfte, die
ſich unter einander zerſtoͤren, ein ewiger Krieg der
leidenden| Seele mit einem ſchwachen Koͤrper, und
wann die Seele leidet, ſo faͤllt der ganze Bau, ſinkt
und ſtuͤrzet ein.
Alles Freude um mich her und Wonne, jedes
Geſchoͤpf vom Meuſchen bis zum Wurm laͤchelt dem
kommenden Fruͤhling entgegen, und fuͤhlt neues Leben
und Ruhe. Wenn ich doch auch von mir ſagen
koͤnnte; ich freue mich der Schoͤpfung, und hauche
das gluͤhende heilige Leben der Natur ein, das un-
ſere Erzvaͤter ſo gluͤklich machte.
Da ich noch Knabe war, und unter den Blu-
men des Mais unvermerkt zum Juͤngling reifte,
da konnte ichs. Aber nun du, Liebe, Stoͤrerinn mei-
ner Ruhe, in mein Herz geſchlichen biſt, nun iſt
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 243. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/251>, abgerufen am 22.06.2024.
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