und man wird staunen, daß man auch hierin der Stimme der Menschheit so wenig Gehör gibt. Es sind gemeiniglich unterirdische Ge- wölbe, dumpf, düster und öde, wo nur selten ein Stral des Lichts hindurch dämmern kann. Feuchte und ungesunde Dünste erfüllen die Luft, alles haucht den Geist der Fäulniß und Ver- wesung. Und dis ist der Aufenthalt der Men- schen, die wider die Gesezze gesündigt, die sich ei- nes Fehltritts schuldig gemacht haben. Hier müssen sie ihre Schulden abbüssen, Jahre vertrauren, und dann mit dem Verlust ihrer Gesundheit -- mit der gänzlichen Zerrüttung ihres Nervenbaus wie- der in die lebende Welt zurük kehren. Was hat der Richter für ein Recht auf die Gesundheit des schuldigen Bürgers? was hat er für Recht, sein ganzes Leben siech und elend zu machen? Ge- sezt auch, er soll einen Bürger zur Strafe zie- hen, der sich eines Diebstals schuldig gemacht, der, um seine Familie vom schmälichen Hunger- tode zu retten, eine That beging, die er in glük- lichen Tagen nie würde begangen haben, gesezt man erkennt ihm einige Jahre Gefängnißstrafe zu, muß deshalb das Gefängniß eine Behausung der Schlangen und Skorpionen sein? ist das Ver-
und man wird ſtaunen, daß man auch hierin der Stimme der Menſchheit ſo wenig Gehoͤr gibt. Es ſind gemeiniglich unterirdiſche Ge- woͤlbe, dumpf, duͤſter und oͤde, wo nur ſelten ein Stral des Lichts hindurch daͤmmern kann. Feuchte und ungeſunde Duͤnſte erfuͤllen die Luft, alles haucht den Geiſt der Faͤulniß und Ver- weſung. Und dis iſt der Aufenthalt der Men- ſchen, die wider die Geſezze geſuͤndigt, die ſich ei- nes Fehltritts ſchuldig gemacht haben. Hier muͤſſen ſie ihre Schulden abbuͤſſen, Jahre vertrauren, und dann mit dem Verluſt ihrer Geſundheit — mit der gaͤnzlichen Zerruͤttung ihres Nervenbaus wie- der in die lebende Welt zuruͤk kehren. Was hat der Richter fuͤr ein Recht auf die Geſundheit des ſchuldigen Buͤrgers? was hat er fuͤr Recht, ſein ganzes Leben ſiech und elend zu machen? Ge- ſezt auch, er ſoll einen Buͤrger zur Strafe zie- hen, der ſich eines Diebſtals ſchuldig gemacht, der, um ſeine Familie vom ſchmaͤlichen Hunger- tode zu retten, eine That beging, die er in gluͤk- lichen Tagen nie wuͤrde begangen haben, geſezt man erkennt ihm einige Jahre Gefaͤngnißſtrafe zu, muß deshalb das Gefaͤngniß eine Behauſung der Schlangen und Skorpionen ſein? iſt das Ver-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0270"n="262"/>
und man wird ſtaunen, daß man auch hierin<lb/>
der Stimme der Menſchheit ſo wenig Gehoͤr<lb/>
gibt. Es ſind gemeiniglich unterirdiſche Ge-<lb/>
woͤlbe, dumpf, duͤſter und oͤde, wo nur ſelten<lb/>
ein Stral des Lichts hindurch daͤmmern kann.<lb/>
Feuchte und ungeſunde Duͤnſte erfuͤllen die Luft,<lb/>
alles haucht <hirendition="#fr">den Geiſt der Faͤulniß und Ver-<lb/>
weſung.</hi> Und dis iſt der Aufenthalt der Men-<lb/>ſchen, die wider die Geſezze geſuͤndigt, die ſich ei-<lb/>
nes Fehltritts ſchuldig gemacht haben. Hier muͤſſen<lb/>ſie ihre Schulden abbuͤſſen, Jahre vertrauren, und<lb/>
dann mit dem Verluſt ihrer Geſundheit — mit<lb/>
der gaͤnzlichen Zerruͤttung ihres Nervenbaus wie-<lb/>
der in die lebende Welt zuruͤk kehren. Was hat<lb/>
der Richter fuͤr ein Recht auf die Geſundheit des<lb/>ſchuldigen Buͤrgers? was hat er fuͤr Recht, ſein<lb/>
ganzes Leben ſiech und elend zu machen? Ge-<lb/>ſezt auch, er ſoll einen Buͤrger zur Strafe zie-<lb/>
hen, der ſich eines Diebſtals ſchuldig gemacht,<lb/>
der, um ſeine Familie vom ſchmaͤlichen Hunger-<lb/>
tode zu retten, eine That beging, die er in gluͤk-<lb/>
lichen Tagen nie wuͤrde begangen haben, geſezt<lb/>
man erkennt ihm einige Jahre Gefaͤngnißſtrafe<lb/>
zu, muß deshalb das Gefaͤngniß eine Behauſung<lb/>
der Schlangen und Skorpionen ſein? iſt das Ver-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[262/0270]
und man wird ſtaunen, daß man auch hierin
der Stimme der Menſchheit ſo wenig Gehoͤr
gibt. Es ſind gemeiniglich unterirdiſche Ge-
woͤlbe, dumpf, duͤſter und oͤde, wo nur ſelten
ein Stral des Lichts hindurch daͤmmern kann.
Feuchte und ungeſunde Duͤnſte erfuͤllen die Luft,
alles haucht den Geiſt der Faͤulniß und Ver-
weſung. Und dis iſt der Aufenthalt der Men-
ſchen, die wider die Geſezze geſuͤndigt, die ſich ei-
nes Fehltritts ſchuldig gemacht haben. Hier muͤſſen
ſie ihre Schulden abbuͤſſen, Jahre vertrauren, und
dann mit dem Verluſt ihrer Geſundheit — mit
der gaͤnzlichen Zerruͤttung ihres Nervenbaus wie-
der in die lebende Welt zuruͤk kehren. Was hat
der Richter fuͤr ein Recht auf die Geſundheit des
ſchuldigen Buͤrgers? was hat er fuͤr Recht, ſein
ganzes Leben ſiech und elend zu machen? Ge-
ſezt auch, er ſoll einen Buͤrger zur Strafe zie-
hen, der ſich eines Diebſtals ſchuldig gemacht,
der, um ſeine Familie vom ſchmaͤlichen Hunger-
tode zu retten, eine That beging, die er in gluͤk-
lichen Tagen nie wuͤrde begangen haben, geſezt
man erkennt ihm einige Jahre Gefaͤngnißſtrafe
zu, muß deshalb das Gefaͤngniß eine Behauſung
der Schlangen und Skorpionen ſein? iſt das Ver-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 262. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/270>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.