Jch. Kann ich nicht Balsam auf sie herab- tröpfeln, so kann ich euch doch mein Mitleid, meine Thränen schenken.
Greis. Sie greifen mir an das Herz, und mein Herz hat keine Wärme mehr; längst ist sie erloschen, und mit ihr das Zutrauen zu den Menschen. Nur das Vertrauen zu dem Vater dort oben blieb mir, und soll mir bleiben, bis das Herz erkaltet.
Jch. Jch möchte so gern von euch mit was auf den Weg nehmen -- euren Segen!
Greis. Meinen Segen? kann der schwache Segen eines armen verstossenen Mannes auf die Fülle der Jugend wirken? nun, so möge das Schiksal keinen Tropfen Wermut in ihren Freu- denbecher mischen.
Jch. Jch danke euch, guter Bidermann! aber wollt ihr mich so leer von euch entlassen, daß ich mit der Vorsicht murren könnte, warum sie euren Pfad so dornigt schuf?
Greis. Wer kann die unerforschlichen Wege der Vorsicht ergründen? -- uns schwachen Er- densöhnen ziemts nicht, sie auszuspähen, sondern sie tief anbetend zu verehren.
Jch. Kann ich nicht Balſam auf ſie herab- troͤpfeln, ſo kann ich euch doch mein Mitleid, meine Thraͤnen ſchenken.
Greis. Sie greifen mir an das Herz, und mein Herz hat keine Waͤrme mehr; laͤngſt iſt ſie erloſchen, und mit ihr das Zutrauen zu den Menſchen. Nur das Vertrauen zu dem Vater dort oben blieb mir, und ſoll mir bleiben, bis das Herz erkaltet.
Jch. Jch moͤchte ſo gern von euch mit was auf den Weg nehmen — euren Segen!
Greis. Meinen Segen? kann der ſchwache Segen eines armen verſtoſſenen Mannes auf die Fuͤlle der Jugend wirken? nun, ſo moͤge das Schikſal keinen Tropfen Wermut in ihren Freu- denbecher miſchen.
Jch. Jch danke euch, guter Bidermann! aber wollt ihr mich ſo leer von euch entlaſſen, daß ich mit der Vorſicht murren koͤnnte, warum ſie euren Pfad ſo dornigt ſchuf?
Greis. Wer kann die unerforſchlichen Wege der Vorſicht ergruͤnden? — uns ſchwachen Er- denſoͤhnen ziemts nicht, ſie auszuſpaͤhen, ſondern ſie tief anbetend zu verehren.
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Jch. Kann ich nicht Balſam auf ſie herab-
troͤpfeln, ſo kann ich euch doch mein Mitleid,
meine Thraͤnen ſchenken.
Greis. Sie greifen mir an das Herz, und
mein Herz hat keine Waͤrme mehr; laͤngſt iſt ſie
erloſchen, und mit ihr das Zutrauen zu den
Menſchen. Nur das Vertrauen zu dem Vater
dort oben blieb mir, und ſoll mir bleiben, bis
das Herz erkaltet.
Jch. Jch moͤchte ſo gern von euch mit was
auf den Weg nehmen — euren Segen!
Greis. Meinen Segen? kann der ſchwache
Segen eines armen verſtoſſenen Mannes auf die
Fuͤlle der Jugend wirken? nun, ſo moͤge das
Schikſal keinen Tropfen Wermut in ihren Freu-
denbecher miſchen.
Jch. Jch danke euch, guter Bidermann!
aber wollt ihr mich ſo leer von euch entlaſſen,
daß ich mit der Vorſicht murren koͤnnte, warum
ſie euren Pfad ſo dornigt ſchuf?
Greis. Wer kann die unerforſchlichen Wege
der Vorſicht ergruͤnden? — uns ſchwachen Er-
denſoͤhnen ziemts nicht, ſie auszuſpaͤhen, ſondern
ſie tief anbetend zu verehren.
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 274. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/282>, abgerufen am 21.06.2024.
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