Zeit nüzlich anwandte, und man legte mir das als Feigheit aus, was doch die Klugheit heischte. Einst bei der Abenddämmerung ritt ich durch ein kleines Gehölze, so nahe bei der Stadt lag. Jch hörte von Ferne ein dumpfes Geschrei und ein Winseln eines Bedrängten. Dies trieb mir das Blut ins Gesichte, und da ich mich auf meine natürliche Stärke verlassen konnte, so lenkte ich sogleich nach der Seite hin, wo der Schall her- kam, und ward bald eine Szene gewahr, die mein ganzes Blut in Wallung sezte. Ein un- schuldiges Mädchen wand sich unter den Klauen zweier Unmenschen, die sie entehren woll- ten. Sie hatte nur noch wenige Kräfte zu zusezzen, und lag fchon im zerrissenen Gewande, athem- los und erschöpft auf dem Boden. Jch sprang wütend hinzu, und erkannte sogleich die beiden für meine Mitstudirenden. Jch machte ihnen die bittersten Vorwürfe, aber sie waren nicht geneigt, ihre Beute sogleich fahren zu lassen, sondern such- ten mich durch Flüche und Behandlungen thätlich abzuschrekken. -- Dis schrekte mich aber nicht, ich sah die Thränen schwangere Augen des Mäd- chens zu mir empor gehoben, und straks brauchte ich die Kräfte, die mir die Natur nicht umsonst
S 3
Zeit nuͤzlich anwandte, und man legte mir das als Feigheit aus, was doch die Klugheit heiſchte. Einſt bei der Abenddaͤmmerung ritt ich durch ein kleines Gehoͤlze, ſo nahe bei der Stadt lag. Jch hoͤrte von Ferne ein dumpfes Geſchrei und ein Winſeln eines Bedraͤngten. Dies trieb mir das Blut ins Geſichte, und da ich mich auf meine natuͤrliche Staͤrke verlaſſen konnte, ſo lenkte ich ſogleich nach der Seite hin, wo der Schall her- kam, und ward bald eine Szene gewahr, die mein ganzes Blut in Wallung ſezte. Ein un- ſchuldiges Maͤdchen wand ſich unter den Klauen zweier Unmenſchen, die ſie entehren woll- ten. Sie hatte nur noch wenige Kraͤfte zu zuſezzen, und lag fchon im zerriſſenen Gewande, athem- los und erſchoͤpft auf dem Boden. Jch ſprang wuͤtend hinzu, und erkannte ſogleich die beiden fuͤr meine Mitſtudirenden. Jch machte ihnen die bitterſten Vorwuͤrfe, aber ſie waren nicht geneigt, ihre Beute ſogleich fahren zu laſſen, ſondern ſuch- ten mich durch Fluͤche und Behandlungen thaͤtlich abzuſchrekken. — Dis ſchrekte mich aber nicht, ich ſah die Thraͤnen ſchwangere Augen des Maͤd- chens zu mir empor gehoben, und ſtraks brauchte ich die Kraͤfte, die mir die Natur nicht umſonſt
S 3
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0285"n="277"/>
Zeit nuͤzlich anwandte, und man legte mir das<lb/>
als Feigheit aus, was doch die Klugheit heiſchte.<lb/>
Einſt bei der Abenddaͤmmerung ritt ich durch ein<lb/>
kleines Gehoͤlze, ſo nahe bei der Stadt lag. Jch<lb/>
hoͤrte von Ferne ein dumpfes Geſchrei und ein<lb/>
Winſeln eines Bedraͤngten. Dies trieb mir das<lb/>
Blut ins Geſichte, und da ich mich auf meine<lb/>
natuͤrliche Staͤrke verlaſſen konnte, ſo lenkte ich<lb/>ſogleich nach der Seite hin, wo der Schall her-<lb/>
kam, und ward bald eine Szene gewahr, die<lb/>
mein ganzes Blut in Wallung ſezte. Ein <hirendition="#fr">un-<lb/>ſchuldiges Maͤdchen</hi> wand ſich unter den<lb/>
Klauen zweier Unmenſchen, die ſie entehren woll-<lb/>
ten. Sie hatte nur noch wenige Kraͤfte zu zuſezzen,<lb/>
und lag fchon im zerriſſenen Gewande, athem-<lb/>
los und erſchoͤpft auf dem Boden. Jch ſprang<lb/>
wuͤtend hinzu, und erkannte ſogleich die beiden<lb/>
fuͤr meine Mitſtudirenden. Jch machte ihnen die<lb/>
bitterſten Vorwuͤrfe, aber ſie waren nicht geneigt,<lb/>
ihre Beute ſogleich fahren zu laſſen, ſondern ſuch-<lb/>
ten mich durch Fluͤche und Behandlungen thaͤtlich<lb/>
abzuſchrekken. — Dis ſchrekte mich aber nicht,<lb/>
ich ſah die Thraͤnen ſchwangere Augen des Maͤd-<lb/>
chens zu mir empor gehoben, und ſtraks brauchte<lb/>
ich die Kraͤfte, die mir die Natur nicht umſonſt<lb/><fwplace="bottom"type="sig">S 3</fw><lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[277/0285]
Zeit nuͤzlich anwandte, und man legte mir das
als Feigheit aus, was doch die Klugheit heiſchte.
Einſt bei der Abenddaͤmmerung ritt ich durch ein
kleines Gehoͤlze, ſo nahe bei der Stadt lag. Jch
hoͤrte von Ferne ein dumpfes Geſchrei und ein
Winſeln eines Bedraͤngten. Dies trieb mir das
Blut ins Geſichte, und da ich mich auf meine
natuͤrliche Staͤrke verlaſſen konnte, ſo lenkte ich
ſogleich nach der Seite hin, wo der Schall her-
kam, und ward bald eine Szene gewahr, die
mein ganzes Blut in Wallung ſezte. Ein un-
ſchuldiges Maͤdchen wand ſich unter den
Klauen zweier Unmenſchen, die ſie entehren woll-
ten. Sie hatte nur noch wenige Kraͤfte zu zuſezzen,
und lag fchon im zerriſſenen Gewande, athem-
los und erſchoͤpft auf dem Boden. Jch ſprang
wuͤtend hinzu, und erkannte ſogleich die beiden
fuͤr meine Mitſtudirenden. Jch machte ihnen die
bitterſten Vorwuͤrfe, aber ſie waren nicht geneigt,
ihre Beute ſogleich fahren zu laſſen, ſondern ſuch-
ten mich durch Fluͤche und Behandlungen thaͤtlich
abzuſchrekken. — Dis ſchrekte mich aber nicht,
ich ſah die Thraͤnen ſchwangere Augen des Maͤd-
chens zu mir empor gehoben, und ſtraks brauchte
ich die Kraͤfte, die mir die Natur nicht umſonſt
S 3
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/285>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.