Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784.

Bild:
<< vorherige Seite

Zeit nüzlich anwandte, und man legte mir das
als Feigheit aus, was doch die Klugheit heischte.
Einst bei der Abenddämmerung ritt ich durch ein
kleines Gehölze, so nahe bei der Stadt lag. Jch
hörte von Ferne ein dumpfes Geschrei und ein
Winseln eines Bedrängten. Dies trieb mir das
Blut ins Gesichte, und da ich mich auf meine
natürliche Stärke verlassen konnte, so lenkte ich
sogleich nach der Seite hin, wo der Schall her-
kam, und ward bald eine Szene gewahr, die
mein ganzes Blut in Wallung sezte. Ein un-
schuldiges Mädchen
wand sich unter den
Klauen zweier Unmenschen, die sie entehren woll-
ten. Sie hatte nur noch wenige Kräfte zu zusezzen,
und lag fchon im zerrissenen Gewande, athem-
los und erschöpft auf dem Boden. Jch sprang
wütend hinzu, und erkannte sogleich die beiden
für meine Mitstudirenden. Jch machte ihnen die
bittersten Vorwürfe, aber sie waren nicht geneigt,
ihre Beute sogleich fahren zu lassen, sondern such-
ten mich durch Flüche und Behandlungen thätlich
abzuschrekken. -- Dis schrekte mich aber nicht,
ich sah die Thränen schwangere Augen des Mäd-
chens zu mir empor gehoben, und straks brauchte
ich die Kräfte, die mir die Natur nicht umsonst

S 3

Zeit nuͤzlich anwandte, und man legte mir das
als Feigheit aus, was doch die Klugheit heiſchte.
Einſt bei der Abenddaͤmmerung ritt ich durch ein
kleines Gehoͤlze, ſo nahe bei der Stadt lag. Jch
hoͤrte von Ferne ein dumpfes Geſchrei und ein
Winſeln eines Bedraͤngten. Dies trieb mir das
Blut ins Geſichte, und da ich mich auf meine
natuͤrliche Staͤrke verlaſſen konnte, ſo lenkte ich
ſogleich nach der Seite hin, wo der Schall her-
kam, und ward bald eine Szene gewahr, die
mein ganzes Blut in Wallung ſezte. Ein un-
ſchuldiges Maͤdchen
wand ſich unter den
Klauen zweier Unmenſchen, die ſie entehren woll-
ten. Sie hatte nur noch wenige Kraͤfte zu zuſezzen,
und lag fchon im zerriſſenen Gewande, athem-
los und erſchoͤpft auf dem Boden. Jch ſprang
wuͤtend hinzu, und erkannte ſogleich die beiden
fuͤr meine Mitſtudirenden. Jch machte ihnen die
bitterſten Vorwuͤrfe, aber ſie waren nicht geneigt,
ihre Beute ſogleich fahren zu laſſen, ſondern ſuch-
ten mich durch Fluͤche und Behandlungen thaͤtlich
abzuſchrekken. — Dis ſchrekte mich aber nicht,
ich ſah die Thraͤnen ſchwangere Augen des Maͤd-
chens zu mir empor gehoben, und ſtraks brauchte
ich die Kraͤfte, die mir die Natur nicht umſonſt

S 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0285" n="277"/>
Zeit nu&#x0364;zlich anwandte, und man legte mir das<lb/>
als Feigheit aus, was doch die Klugheit hei&#x017F;chte.<lb/>
Ein&#x017F;t bei der Abendda&#x0364;mmerung ritt ich durch ein<lb/>
kleines Geho&#x0364;lze, &#x017F;o nahe bei der Stadt lag. Jch<lb/>
ho&#x0364;rte von Ferne ein dumpfes Ge&#x017F;chrei und ein<lb/>
Win&#x017F;eln eines Bedra&#x0364;ngten. Dies trieb mir das<lb/>
Blut ins Ge&#x017F;ichte, und da ich mich auf meine<lb/>
natu&#x0364;rliche Sta&#x0364;rke verla&#x017F;&#x017F;en konnte, &#x017F;o lenkte ich<lb/>
&#x017F;ogleich nach der Seite hin, wo der Schall her-<lb/>
kam, und ward bald eine Szene gewahr, die<lb/>
mein ganzes Blut in Wallung &#x017F;ezte. Ein <hi rendition="#fr">un-<lb/>
&#x017F;chuldiges Ma&#x0364;dchen</hi> wand &#x017F;ich unter den<lb/>
Klauen zweier Unmen&#x017F;chen, die &#x017F;ie entehren woll-<lb/>
ten. Sie hatte nur noch wenige Kra&#x0364;fte zu zu&#x017F;ezzen,<lb/>
und lag fchon im zerri&#x017F;&#x017F;enen Gewande, athem-<lb/>
los und er&#x017F;cho&#x0364;pft auf dem Boden. Jch &#x017F;prang<lb/>
wu&#x0364;tend hinzu, und erkannte &#x017F;ogleich die beiden<lb/>
fu&#x0364;r meine Mit&#x017F;tudirenden. Jch machte ihnen die<lb/>
bitter&#x017F;ten Vorwu&#x0364;rfe, aber &#x017F;ie waren nicht geneigt,<lb/>
ihre Beute &#x017F;ogleich fahren zu la&#x017F;&#x017F;en, &#x017F;ondern &#x017F;uch-<lb/>
ten mich durch Flu&#x0364;che und Behandlungen tha&#x0364;tlich<lb/>
abzu&#x017F;chrekken. &#x2014; Dis &#x017F;chrekte mich aber nicht,<lb/>
ich &#x017F;ah die Thra&#x0364;nen &#x017F;chwangere Augen des Ma&#x0364;d-<lb/>
chens zu mir empor gehoben, und &#x017F;traks brauchte<lb/>
ich die Kra&#x0364;fte, die mir die Natur nicht um&#x017F;on&#x017F;t<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">S 3</fw><lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[277/0285] Zeit nuͤzlich anwandte, und man legte mir das als Feigheit aus, was doch die Klugheit heiſchte. Einſt bei der Abenddaͤmmerung ritt ich durch ein kleines Gehoͤlze, ſo nahe bei der Stadt lag. Jch hoͤrte von Ferne ein dumpfes Geſchrei und ein Winſeln eines Bedraͤngten. Dies trieb mir das Blut ins Geſichte, und da ich mich auf meine natuͤrliche Staͤrke verlaſſen konnte, ſo lenkte ich ſogleich nach der Seite hin, wo der Schall her- kam, und ward bald eine Szene gewahr, die mein ganzes Blut in Wallung ſezte. Ein un- ſchuldiges Maͤdchen wand ſich unter den Klauen zweier Unmenſchen, die ſie entehren woll- ten. Sie hatte nur noch wenige Kraͤfte zu zuſezzen, und lag fchon im zerriſſenen Gewande, athem- los und erſchoͤpft auf dem Boden. Jch ſprang wuͤtend hinzu, und erkannte ſogleich die beiden fuͤr meine Mitſtudirenden. Jch machte ihnen die bitterſten Vorwuͤrfe, aber ſie waren nicht geneigt, ihre Beute ſogleich fahren zu laſſen, ſondern ſuch- ten mich durch Fluͤche und Behandlungen thaͤtlich abzuſchrekken. — Dis ſchrekte mich aber nicht, ich ſah die Thraͤnen ſchwangere Augen des Maͤd- chens zu mir empor gehoben, und ſtraks brauchte ich die Kraͤfte, die mir die Natur nicht umſonſt S 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/285
Zitationshilfe: Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 277. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/285>, abgerufen am 22.11.2024.