bin am Ziel! Es war der Blik der aufgehen- den Sonne übers Meer, erst trübe und neb- licht, aber immer lichter und heller, bis er endlich die Nacht verscheucht, die sich empor thürmen- den Wolken zerstreuet, und sanft und milde in Gottes Schöpfung lächelt.
Sein Vertrauen auf Gott -- sein stilles Ergeben in den Willen der Vorsicht, machte mich staunen; ich erkannte darin so viele Züge der Geistes-Grösse, einen solchen herrlichen Abdruk von Gottes Ebenbild, daß ich in dem Glauben bestärkt ward. Es gibt noch schöne Seelen unter uns! Aber sollte sie eher im groben Kittel der Armut, als im seidenen Ge- wande der Pracht wohnen? Sie erscheint im ersten immer offener und freier, geprüft durch Widerwärtigkeit, bewährt durch Leiden, als im andern, wo der Aussenseiten so viele sind, dahinter sich die wahre Gestalt verbirget, wo selbst der redliche Mann oft unter der Maske handeln muß, um nicht von Buben belauscht, von Heuchlern betrogen zu werden.
Der heitre Blik des Greises, ein Zeuge des wahren Adels seiner Seele, so keines Stem-
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bin am Ziel! Es war der Blik der aufgehen- den Sonne uͤbers Meer, erſt truͤbe und neb- licht, aber immer lichter und heller, bis er endlich die Nacht verſcheucht, die ſich empor thuͤrmen- den Wolken zerſtreuet, und ſanft und milde in Gottes Schoͤpfung laͤchelt.
Sein Vertrauen auf Gott — ſein ſtilles Ergeben in den Willen der Vorſicht, machte mich ſtaunen; ich erkannte darin ſo viele Zuͤge der Geiſtes-Groͤſſe, einen ſolchen herrlichen Abdruk von Gottes Ebenbild, daß ich in dem Glauben beſtaͤrkt ward. Es gibt noch ſchoͤne Seelen unter uns! Aber ſollte ſie eher im groben Kittel der Armut, als im ſeidenen Ge- wande der Pracht wohnen? Sie erſcheint im erſten immer offener und freier, gepruͤft durch Widerwaͤrtigkeit, bewaͤhrt durch Leiden, als im andern, wo der Auſſenſeiten ſo viele ſind, dahinter ſich die wahre Geſtalt verbirget, wo ſelbſt der redliche Mann oft unter der Maske handeln muß, um nicht von Buben belauſcht, von Heuchlern betrogen zu werden.
Der heitre Blik des Greiſes, ein Zeuge des wahren Adels ſeiner Seele, ſo keines Stem-
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bin am Ziel! Es war der Blik der aufgehen-
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licht, aber immer lichter und heller, bis er endlich
die Nacht verſcheucht, die ſich empor thuͤrmen-
den Wolken zerſtreuet, und ſanft und milde in
Gottes Schoͤpfung laͤchelt.
Sein Vertrauen auf Gott — ſein ſtilles
Ergeben in den Willen der Vorſicht,
machte mich ſtaunen; ich erkannte darin ſo viele
Zuͤge der Geiſtes-Groͤſſe, einen ſolchen herrlichen
Abdruk von Gottes Ebenbild, daß ich in dem
Glauben beſtaͤrkt ward. Es gibt noch ſchoͤne
Seelen unter uns! Aber ſollte ſie eher im
groben Kittel der Armut, als im ſeidenen Ge-
wande der Pracht wohnen? Sie erſcheint im
erſten immer offener und freier, gepruͤft durch
Widerwaͤrtigkeit, bewaͤhrt durch Leiden, als
im andern, wo der Auſſenſeiten ſo viele ſind,
dahinter ſich die wahre Geſtalt verbirget, wo
ſelbſt der redliche Mann oft unter der Maske
handeln muß, um nicht von Buben belauſcht,
von Heuchlern betrogen zu werden.
Der heitre Blik des Greiſes, ein Zeuge
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 287. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/295>, abgerufen am 15.06.2024.
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