Menschheit errötet? Giebt es nicht Knaben, die zu Richter des Volks bestellt sind, die ohne Philosophie des Lebens, ohne Kenntnis des Menschen, seiner Neigungen und Handlungen, ihre Brüder richten, und das Schwerd der Ge- rechtigkeit durch unschuldiges Blut der Bür- ger entheiligen? Die Geschichte unsers Zeit- alters liefert uns hiervon traurige Szenen, und macht den Staat aufmerksam, seine Richterstühle mit Männern zu besezzen, die wissen, was Recht ist, denen Rechtschaf- fenheit und Menschenliebe nicht fremde Na- men sind, die aber auch sich Kenntnis der Welt und ihrer Bewoner, Kenntnis der Ge- schichte und Litteratur, verschaft haben, die in das Jnnerste der menschlichen Handlungen drin- gen, und darnach Sünde und Fehl abmessen. Denn was ist die Rechtsgelartheit ohne diese Kenntnisse? Eine elende Wissenschaft für das Gedächtnis, die mit Aufopferung des Verstan- des würket. So wie der Theologe, der blos seine Dogmatik herleiern kann, ein elender Stümper ist, und zu einem noch elendern Leh- rer des Volks herabsinkt, so kann ich mir auch kein arms@ligeres, finsteres und fühlloseres
Menſchheit erroͤtet? Giebt es nicht Knaben, die zu Richter des Volks beſtellt ſind, die ohne Philoſophie des Lebens, ohne Kenntnis des Menſchen, ſeiner Neigungen und Handlungen, ihre Bruͤder richten, und das Schwerd der Ge- rechtigkeit durch unſchuldiges Blut der Buͤr- ger entheiligen? Die Geſchichte unſers Zeit- alters liefert uns hiervon traurige Szenen, und macht den Staat aufmerkſam, ſeine Richterſtuͤhle mit Maͤnnern zu beſezzen, die wiſſen, was Recht iſt, denen Rechtſchaf- fenheit und Menſchenliebe nicht fremde Na- men ſind, die aber auch ſich Kenntnis der Welt und ihrer Bewoner, Kenntnis der Ge- ſchichte und Litteratur, verſchaft haben, die in das Jnnerſte der menſchlichen Handlungen drin- gen, und darnach Suͤnde und Fehl abmeſſen. Denn was iſt die Rechtsgelartheit ohne dieſe Kenntniſſe? Eine elende Wiſſenſchaft fuͤr das Gedaͤchtnis, die mit Aufopferung des Verſtan- des wuͤrket. So wie der Theologe, der blos ſeine Dogmatik herleiern kann, ein elender Stuͤmper iſt, und zu einem noch elendern Leh- rer des Volks herabſinkt, ſo kann ich mir auch kein armſəligeres, finſteres und fuͤhlloſeres
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Menſchheit erroͤtet? Giebt es nicht Knaben,
die zu Richter des Volks beſtellt ſind, die ohne
Philoſophie des Lebens, ohne Kenntnis des
Menſchen, ſeiner Neigungen und Handlungen,
ihre Bruͤder richten, und das Schwerd der Ge-
rechtigkeit durch unſchuldiges Blut der Buͤr-
ger entheiligen? Die Geſchichte unſers Zeit-
alters liefert uns hiervon traurige Szenen,
und macht den Staat aufmerkſam, ſeine
Richterſtuͤhle mit Maͤnnern zu beſezzen, die
wiſſen, was Recht iſt, denen Rechtſchaf-
fenheit und Menſchenliebe nicht fremde Na-
men ſind, die aber auch ſich Kenntnis der
Welt und ihrer Bewoner, Kenntnis der Ge-
ſchichte und Litteratur, verſchaft haben, die in
das Jnnerſte der menſchlichen Handlungen drin-
gen, und darnach Suͤnde und Fehl abmeſſen.
Denn was iſt die Rechtsgelartheit ohne dieſe
Kenntniſſe? Eine elende Wiſſenſchaft fuͤr das
Gedaͤchtnis, die mit Aufopferung des Verſtan-
des wuͤrket. So wie der Theologe, der blos
ſeine Dogmatik herleiern kann, ein elender
Stuͤmper iſt, und zu einem noch elendern Leh-
rer des Volks herabſinkt, ſo kann ich mir auch
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 27. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/35>, abgerufen am 23.11.2024.
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