seiner Tochter eine vornehme Erziehung geben, und sparte keine Kosten, sie in all' den Wissen- schaften unterrichten zu lassen, die sowol den weiblichen Geist zieren, als auch sie über die Zal der gewönlichen Frauenzimmer erheben, die wie Geschöpfe ohne Seele ihr Pflanzenle- ben führen, und in euren Versammlungen gäh- nend einschlafen, wenn nicht von Puz, und neuen Moden die Rede ist, sondern der Verstand mit- würken soll. Julie besaß Schönheit des Kör- pers verbunden mit Schönheit der Seele, so daß man zweifelhaft blieb, welcher von beiden man den Preis zugestehen sollte. Jhr Geist entwik- kelte sich frühzeitig, und schwung sich| mit einer Leichtigkeit über alle die Schwierigkeiten hinweg, welche die Erlernung einer jeden Wissenschaft zu begleiten pflegen, so daß ihre Lehrer, von Er- staunen oft hingerissen, die Tränen der Freude nicht zurükhalten konnten. Sie verschlang mit heisser Begierde die Lehren einer Religion, die den menschlichen Fähigkeiten so angemessen, und ein so fruchtbares Feld von Lebensglük- seligkeit dem Erdenbürger entdekket, daß es al- mal Entwürdigung seines Verstandes, Ent- ehrung seines Herzens ist, wenn er diese Re-
ſeiner Tochter eine vornehme Erziehung geben, und ſparte keine Koſten, ſie in all’ den Wiſſen- ſchaften unterrichten zu laſſen, die ſowol den weiblichen Geiſt zieren, als auch ſie uͤber die Zal der gewoͤnlichen Frauenzimmer erheben, die wie Geſchoͤpfe ohne Seele ihr Pflanzenle- ben fuͤhren, und in euren Verſammlungen gaͤh- nend einſchlafen, wenn nicht von Puz, und neuen Moden die Rede iſt, ſondern der Verſtand mit- wuͤrken ſoll. Julie beſaß Schoͤnheit des Koͤr- pers verbunden mit Schoͤnheit der Seele, ſo daß man zweifelhaft blieb, welcher von beiden man den Preis zugeſtehen ſollte. Jhr Geiſt entwik- kelte ſich fruͤhzeitig, und ſchwung ſich| mit einer Leichtigkeit uͤber alle die Schwierigkeiten hinweg, welche die Erlernung einer jeden Wiſſenſchaft zu begleiten pflegen, ſo daß ihre Lehrer, von Er- ſtaunen oft hingeriſſen, die Traͤnen der Freude nicht zuruͤkhalten konnten. Sie verſchlang mit heiſſer Begierde die Lehren einer Religion, die den menſchlichen Faͤhigkeiten ſo angemeſſen, und ein ſo fruchtbares Feld von Lebensgluͤk- ſeligkeit dem Erdenbuͤrger entdekket, daß es al- mal Entwuͤrdigung ſeines Verſtandes, Ent- ehrung ſeines Herzens iſt, wenn er dieſe Re-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><p><pbfacs="#f0084"n="76"/>ſeiner Tochter eine vornehme Erziehung geben,<lb/>
und ſparte keine Koſten, ſie in all’ den Wiſſen-<lb/>ſchaften unterrichten zu laſſen, die ſowol den<lb/>
weiblichen Geiſt zieren, als auch ſie uͤber die<lb/>
Zal der gewoͤnlichen Frauenzimmer erheben, die<lb/>
wie <hirendition="#fr">Geſchoͤpfe ohne Seele ihr Pflanzenle-<lb/>
ben</hi> fuͤhren, und in euren Verſammlungen gaͤh-<lb/>
nend einſchlafen, wenn nicht von Puz, und neuen<lb/>
Moden die Rede iſt, ſondern der Verſtand mit-<lb/>
wuͤrken ſoll. <hirendition="#fr">Julie</hi> beſaß Schoͤnheit des Koͤr-<lb/>
pers verbunden mit Schoͤnheit der Seele, ſo daß<lb/>
man zweifelhaft blieb, welcher von beiden man<lb/>
den Preis zugeſtehen ſollte. Jhr Geiſt entwik-<lb/>
kelte ſich fruͤhzeitig, und ſchwung ſich| mit einer<lb/>
Leichtigkeit uͤber alle die Schwierigkeiten hinweg,<lb/>
welche die Erlernung einer jeden Wiſſenſchaft zu<lb/>
begleiten pflegen, ſo daß ihre Lehrer, von Er-<lb/>ſtaunen oft hingeriſſen, die Traͤnen der Freude<lb/>
nicht zuruͤkhalten konnten. Sie verſchlang mit<lb/>
heiſſer Begierde die Lehren <hirendition="#fr">einer Religion,</hi> die<lb/>
den <hirendition="#fr">menſchlichen Faͤhigkeiten</hi>ſo angemeſſen,<lb/>
und ein ſo <hirendition="#fr">fruchtbares Feld von Lebensgluͤk-<lb/>ſeligkeit</hi> dem Erdenbuͤrger entdekket, daß es al-<lb/>
mal <hirendition="#fr">Entwuͤrdigung ſeines Verſtandes, Ent-<lb/>
ehrung ſeines Herzens iſt,</hi> wenn er dieſe Re-<lb/></p></div></div></body></text></TEI>
[76/0084]
ſeiner Tochter eine vornehme Erziehung geben,
und ſparte keine Koſten, ſie in all’ den Wiſſen-
ſchaften unterrichten zu laſſen, die ſowol den
weiblichen Geiſt zieren, als auch ſie uͤber die
Zal der gewoͤnlichen Frauenzimmer erheben, die
wie Geſchoͤpfe ohne Seele ihr Pflanzenle-
ben fuͤhren, und in euren Verſammlungen gaͤh-
nend einſchlafen, wenn nicht von Puz, und neuen
Moden die Rede iſt, ſondern der Verſtand mit-
wuͤrken ſoll. Julie beſaß Schoͤnheit des Koͤr-
pers verbunden mit Schoͤnheit der Seele, ſo daß
man zweifelhaft blieb, welcher von beiden man
den Preis zugeſtehen ſollte. Jhr Geiſt entwik-
kelte ſich fruͤhzeitig, und ſchwung ſich| mit einer
Leichtigkeit uͤber alle die Schwierigkeiten hinweg,
welche die Erlernung einer jeden Wiſſenſchaft zu
begleiten pflegen, ſo daß ihre Lehrer, von Er-
ſtaunen oft hingeriſſen, die Traͤnen der Freude
nicht zuruͤkhalten konnten. Sie verſchlang mit
heiſſer Begierde die Lehren einer Religion, die
den menſchlichen Faͤhigkeiten ſo angemeſſen,
und ein ſo fruchtbares Feld von Lebensgluͤk-
ſeligkeit dem Erdenbuͤrger entdekket, daß es al-
mal Entwuͤrdigung ſeines Verſtandes, Ent-
ehrung ſeines Herzens iſt, wenn er dieſe Re-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 76. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/84>, abgerufen am 04.12.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.