hat nicht Raum für zwei Wesen; das Bild meines Ferdinands erfüllt es ganz, und wo ist der Starke, der es herausreissen, und diese Lükke ausfüllen kann? Manchmal beschleicht mich der Gedanke, dieses ge- liebte Bild aus meinem Herzen zu reissen, in mein Elend zurükzugehn, und meine Liebe dem zu schen- ken, dessen Namen ich trage, ihn wo möglich von dem Weg des Lasters abzuziehen, und in die Arme der Tugend zu führen, aber es sind Gedanken, die wie der Hauch des Wests entfliehn, denen mein Herz entgegen strebt, die strafbar sind; denn gelobte ich ihm nicht ewige Treue, Ausdauern in Gefar, in Noth und Trübsal, gelobte ich es ihm nicht vor dem Angesicht der allsehenden Gottheit? O welch' ein Tag war das, unbegreiflicher seliger Tag! ein Tag der Freude, der Wonne und des Entzükkens, da wir hingesunken auf grünenden Rasen, den Bund der Liebe schwuren. Die ganze Natur feierte diesen Bund, Nachtigallen schlugen, Lerchen wirbelten, die Taube girrte, und lokte ihren Gatten, der Lenz goß einen Blütenregen auf unsern Schoos hernieder, und kühlende Weste gaukelten um uns her: das blaue Veilchen duftete uns entgegen, verliebt schlan- gen sich Blum um Blume, Staude um Staude, die ganze Natur war Liebe, wie sollten wir es nicht sein? Wie er zu meinen Füssen lag, mich mit tränenden Augen um Liebe bat, wie sein Herz so ganz offen vor
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hat nicht Raum fuͤr zwei Weſen; das Bild meines Ferdinands erfuͤllt es ganz, und wo iſt der Starke, der es herausreiſſen, und dieſe Luͤkke ausfuͤllen kann? Manchmal beſchleicht mich der Gedanke, dieſes ge- liebte Bild aus meinem Herzen zu reiſſen, in mein Elend zuruͤkzugehn, und meine Liebe dem zu ſchen- ken, deſſen Namen ich trage, ihn wo moͤglich von dem Weg des Laſters abzuziehen, und in die Arme der Tugend zu fuͤhren, aber es ſind Gedanken, die wie der Hauch des Weſts entfliehn, denen mein Herz entgegen ſtrebt, die ſtrafbar ſind; denn gelobte ich ihm nicht ewige Treue, Ausdauern in Gefar, in Noth und Truͤbſal, gelobte ich es ihm nicht vor dem Angeſicht der allſehenden Gottheit? O welch’ ein Tag war das, unbegreiflicher ſeliger Tag! ein Tag der Freude, der Wonne und des Entzuͤkkens, da wir hingeſunken auf gruͤnenden Raſen, den Bund der Liebe ſchwuren. Die ganze Natur feierte dieſen Bund, Nachtigallen ſchlugen, Lerchen wirbelten, die Taube girrte, und lokte ihren Gatten, der Lenz goß einen Bluͤtenregen auf unſern Schoos hernieder, und kuͤhlende Weſte gaukelten um uns her: das blaue Veilchen duftete uns entgegen, verliebt ſchlan- gen ſich Blum um Blume, Staude um Staude, die ganze Natur war Liebe, wie ſollten wir es nicht ſein? Wie er zu meinen Fuͤſſen lag, mich mit traͤnenden Augen um Liebe bat, wie ſein Herz ſo ganz offen vor
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hat nicht Raum fuͤr zwei Weſen; das Bild meines
Ferdinands erfuͤllt es ganz, und wo iſt der Starke,
der es herausreiſſen, und dieſe Luͤkke ausfuͤllen kann?
Manchmal beſchleicht mich der Gedanke, dieſes ge-
liebte Bild aus meinem Herzen zu reiſſen, in mein
Elend zuruͤkzugehn, und meine Liebe dem zu ſchen-
ken, deſſen Namen ich trage, ihn wo moͤglich von
dem Weg des Laſters abzuziehen, und in die Arme
der Tugend zu fuͤhren, aber es ſind Gedanken, die
wie der Hauch des Weſts entfliehn, denen mein Herz
entgegen ſtrebt, die ſtrafbar ſind; denn gelobte ich
ihm nicht ewige Treue, Ausdauern in Gefar, in
Noth und Truͤbſal, gelobte ich es ihm nicht vor dem
Angeſicht der allſehenden Gottheit? O welch’ ein
Tag war das, unbegreiflicher ſeliger Tag! ein Tag
der Freude, der Wonne und des Entzuͤkkens, da wir
hingeſunken auf gruͤnenden Raſen, den Bund der
Liebe ſchwuren. Die ganze Natur feierte dieſen
Bund, Nachtigallen ſchlugen, Lerchen wirbelten,
die Taube girrte, und lokte ihren Gatten, der Lenz
goß einen Bluͤtenregen auf unſern Schoos hernieder,
und kuͤhlende Weſte gaukelten um uns her: das
blaue Veilchen duftete uns entgegen, verliebt ſchlan-
gen ſich Blum um Blume, Staude um Staude, die
ganze Natur war Liebe, wie ſollten wir es nicht ſein?
Wie er zu meinen Fuͤſſen lag, mich mit traͤnenden
Augen um Liebe bat, wie ſein Herz ſo ganz offen vor
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Knüppeln, Julius Friedrich: Die Rechte der Natur und Menschheit, entweiht durch Menschen. Berlin, 1784, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/knueppeln_rechte_1784/97>, abgerufen am 04.12.2024.
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