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Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897.

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der classischen Länder wachgerufen worden. In Müller war seit der Ab-
fassung der Geschichten hellenischer Stämme und Städte der Gedanke ge-
reift, eine allgemeine Geschichte des griechischen Volkes zu schreiben, welche
alle Seiten des nationalen Lebens umspannen sollte; als derselbe auf seiner
griechischen Reise, von welcher er nicht heimkehren sollte, in Athen an-
gekommen war, machte er Curtius den Vorschlag, sich mit ihm zu ver-
einigen und eine Beschreibung des griechischen Landes als einleitendes
Werk zu der allgemeinen Geschichte zu liefern. Daraus ist als Torso Cur-
tius' Werk über den Peloponnes entsprungen, dessen beide Bände in den
Jahren 1851 und 1852 ans Licht traten. Als historisch-geographische Be-
schreibung hat Curtius seinen Peloponnes auf dem Titelblatt bezeichnet;
er hat damit selbst dem Leser im voraus den Schlüssel zum Verständniss
des Werkes als Ganzes in die Hand gegeben. Die nach allen Seiten hin
bahnbrechende wissenschaftliche Bewegung, die in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts in Berlin herrschte, hatte sich auch auf die Erdkunde er-
streckt; es waren die durch Karl Ritter begründeten Anschauungen von
der Wechselwirkung der natürlichen Verhältnisse der Länder und des ge-
schichtlichen Lebens der Bewohner, welche von Curtius in eigenartiger
und selbstständiger Weise auf einen Theil von Griechenland angewendet
wurden. Die lebendige Gestaltungskraft und die Beherrschung des Stoffes
war dem Begründer der vergleichenden Erdkunde versagt. An Reisewerken
über den Peloponnes fehlte es nicht; das in diesen aufgespeicherte Material
wurde von Curtius nach bestimmten Gesichtspunkten gesichtet und durch
die localen Anschauungen, welche er selbst sich auf seinen Wanderungen
erworben hatte, bereichert und belebt; auf Grund der eigenen und der
fremden Beobachtungen führt er dem Leser in durchsichtiger Klarheit und
plastischer Anschaulichkeit, mit feinsinnigem Verständnils immer nur das
Wesentliche und Charakteristische im Auge habend, im beständigen Hin-
blick auf die Geschichte ein Bild des Peloponnes nach seiner natürlichen
Gliederung im Ganzen und im Einzelnen und seiner antiken Denkmäler und
Überreste vor. So steht das Werk über den Peloponnes bis auf den heutigen
Tag als ein in seiner Art unerreichtes Vorbild da; Curtius selbst hat
meines Bedünkens das, was er im Peloponnes als Forscher und Schrift-
steller geleistet hat, in keinem seiner späteren Werke überboten. Partien
wie die lichtvolle Schilderung der Landschaft Lakonien im zweiten Bande
gehören zu dem Gelungensten, was Curtius geschrieben hat. In der all-


U. Köhler:


der classischen Länder wachgerufen worden. In Müller war seit der Ab-
fassung der Geschichten hellenischer Stämme und Städte der Gedanke ge-
reift, eine allgemeine Geschichte des griechischen Volkes zu schreiben, welche
alle Seiten des nationalen Lebens umspannen sollte; als derselbe auf seiner
griechischen Reise, von welcher er nicht heimkehren sollte, in Athen an-
gekommen war, machte er Curtius den Vorschlag, sich mit ihm zu ver-
einigen und eine Beschreibung des griechischen Landes als einleitendes
Werk zu der allgemeinen Geschichte zu liefern. Daraus ist als Torso Cur-
tius’ Werk über den Peloponnes entsprungen, dessen beide Bände in den
Jahren 1851 und 1852 ans Licht traten. Als historisch-geographische Be-
schreibung hat Curtius seinen Peloponnes auf dem Titelblatt bezeichnet;
er hat damit selbst dem Leser im voraus den Schlüssel zum Verständniſs
des Werkes als Ganzes in die Hand gegeben. Die nach allen Seiten hin
bahnbrechende wissenschaftliche Bewegung, die in der ersten Hälfte dieses
Jahrhunderts in Berlin herrschte, hatte sich auch auf die Erdkunde er-
streckt; es waren die durch Karl Ritter begründeten Anschauungen von
der Wechselwirkung der natürlichen Verhältnisse der Länder und des ge-
schichtlichen Lebens der Bewohner, welche von Curtius in eigenartiger
und selbstständiger Weise auf einen Theil von Griechenland angewendet
wurden. Die lebendige Gestaltungskraft und die Beherrschung des Stoffes
war dem Begründer der vergleichenden Erdkunde versagt. An Reisewerken
über den Peloponnes fehlte es nicht; das in diesen aufgespeicherte Material
wurde von Curtius nach bestimmten Gesichtspunkten gesichtet und durch
die localen Anschauungen, welche er selbst sich auf seinen Wanderungen
erworben hatte, bereichert und belebt; auf Grund der eigenen und der
fremden Beobachtungen führt er dem Leser in durchsichtiger Klarheit und
plastischer Anschaulichkeit, mit feinsinnigem Verständnils immer nur das
Wesentliche und Charakteristische im Auge habend, im beständigen Hin-
blick auf die Geschichte ein Bild des Peloponnes nach seiner natürlichen
Gliederung im Ganzen und im Einzelnen und seiner antiken Denkmäler und
Überreste vor. So steht das Werk über den Peloponnes bis auf den heutigen
Tag als ein in seiner Art unerreichtes Vorbild da; Curtius selbst hat
meines Bedünkens das, was er im Peloponnes als Forscher und Schrift-
steller geleistet hat, in keinem seiner späteren Werke überboten. Partien
wie die lichtvolle Schilderung der Landschaft Lakonien im zweiten Bande
gehören zu dem Gelungensten, was Curtius geschrieben hat. In der all-

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[8/0008] U. Köhler: 6 der classischen Länder wachgerufen worden. In Müller war seit der Ab- fassung der Geschichten hellenischer Stämme und Städte der Gedanke ge- reift, eine allgemeine Geschichte des griechischen Volkes zu schreiben, welche alle Seiten des nationalen Lebens umspannen sollte; als derselbe auf seiner griechischen Reise, von welcher er nicht heimkehren sollte, in Athen an- gekommen war, machte er Curtius den Vorschlag, sich mit ihm zu ver- einigen und eine Beschreibung des griechischen Landes als einleitendes Werk zu der allgemeinen Geschichte zu liefern. Daraus ist als Torso Cur- tius’ Werk über den Peloponnes entsprungen, dessen beide Bände in den Jahren 1851 und 1852 ans Licht traten. Als historisch-geographische Be- schreibung hat Curtius seinen Peloponnes auf dem Titelblatt bezeichnet; er hat damit selbst dem Leser im voraus den Schlüssel zum Verständniſs des Werkes als Ganzes in die Hand gegeben. Die nach allen Seiten hin bahnbrechende wissenschaftliche Bewegung, die in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts in Berlin herrschte, hatte sich auch auf die Erdkunde er- streckt; es waren die durch Karl Ritter begründeten Anschauungen von der Wechselwirkung der natürlichen Verhältnisse der Länder und des ge- schichtlichen Lebens der Bewohner, welche von Curtius in eigenartiger und selbstständiger Weise auf einen Theil von Griechenland angewendet wurden. Die lebendige Gestaltungskraft und die Beherrschung des Stoffes war dem Begründer der vergleichenden Erdkunde versagt. An Reisewerken über den Peloponnes fehlte es nicht; das in diesen aufgespeicherte Material wurde von Curtius nach bestimmten Gesichtspunkten gesichtet und durch die localen Anschauungen, welche er selbst sich auf seinen Wanderungen erworben hatte, bereichert und belebt; auf Grund der eigenen und der fremden Beobachtungen führt er dem Leser in durchsichtiger Klarheit und plastischer Anschaulichkeit, mit feinsinnigem Verständnils immer nur das Wesentliche und Charakteristische im Auge habend, im beständigen Hin- blick auf die Geschichte ein Bild des Peloponnes nach seiner natürlichen Gliederung im Ganzen und im Einzelnen und seiner antiken Denkmäler und Überreste vor. So steht das Werk über den Peloponnes bis auf den heutigen Tag als ein in seiner Art unerreichtes Vorbild da; Curtius selbst hat meines Bedünkens das, was er im Peloponnes als Forscher und Schrift- steller geleistet hat, in keinem seiner späteren Werke überboten. Partien wie die lichtvolle Schilderung der Landschaft Lakonien im zweiten Bande gehören zu dem Gelungensten, was Curtius geschrieben hat. In der all-

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Zitationshilfe: Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/8>, abgerufen am 24.11.2024.