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Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897.

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Gedächtnissrede auf Ernst Curtius.


brachte ihn ungesucht in Berührung mit allen Grössen auf den Gebieten
der Wissenschaft, der Litteratur und Kunst, welche in der Mitte des Jahr-
hunderts in Berlin versammelt waren, und diente auch insofern dazu, seinen
geistigen Horizont auszudehnen. Die Bedeutung, welche es für die Wissen-
schaft hatte, dass Curtius durch die erfolgreiche Hingebung, mit welcher
er sich seiner paedagogischen Aufgabe widmete, in immer steigendem Masse
sich die Huld und das Vertrauen der fürstlichen Eltern, des nachmaligen
Königs und Kaisers Wilhelm und seiner hochsinnigen Gemahlin, erwarb,
sollte später zu Tage treten. Gewiss, Curtius hat viel Glück im Leben
gehabt, aber eben so sicher ist es, dass die Gunst des Geschickes nie
einem Würdigeren zu Theil geworden ist.


Curtius selbst hat in seinen späteren Jahren mit dem frommen Sinn,
der ihm eigen war, in der Gestaltung seines Lebens die Hand Gottes er-
kannt. Den Männern, welche ihn in die Wissenschaft eingeführt und seinen
Studien die Richtung gegeben hatten, hat er bis zum letzten Athemzuge
die Dankbarkeit gewahrt. Ungezählte Male nennt er in seinen Schriften
Böckh, Welcker und K. Otfr. Müller als seine Lehrer und Vorbilder.
Zu Welcker scheint er in ein näheres persönliches Verhältniss nie getreten
zu sein; um so inniger gestalteten sich nach der Heimkehr aus Griechenland
seine Beziehungen zu Böckh. Am stärksten hat doch Otfr. Müller auf
Curtius eingewirkt, nicht allein weil dieser ihm im Lebensalter näher stand
als Böckh und Welcker, sondern weil Curtius und Müller grundver-
wandte Naturen waren. Der angeborene Sinn für die Form und die ideale
Auffassung waren Beiden ebenso gemeinsam wie die lebhafte Einbildungs-
kraft, nur dass diese für den Gelehrten und Schriftsteller wesentlichen
Eigenschaften bei Curtius, ich möchte sagen, in der höheren Potenz vor-
handen, der Formensinn noch ausgebildeter, die Phantasie blühender waren.
Wenn Curtius an Müller die Frische des Geistes, welche die Schönheit des
Alterthums mit poetischem Sinne auffasste und in edler Form zum Ausdruck
brachte, und an einer anderen Stelle die unglaubliche geistige Elasticität
preist, die denselben auf den verschiedensten Gebieten thätig sein liess, so
lässt sich das alles unverändert auf ihn selbst anwenden. Curtius' erstes
bedeutendes Werk, durch welches er sich die ihm gebührende Stelle in der
gelehrten Welt eroberte, ist in Folge einer direceten Anregung Otfr. Müller's
entstanden. Schon durch die Lehrvorträge Müller's in Göttingen war in
Curtius der Sinn für die geographischen und topographischen Verhältnisse


Gedächtniſsrede auf Ernst Curtius.


brachte ihn ungesucht in Berührung mit allen Gröſsen auf den Gebieten
der Wissenschaft, der Litteratur und Kunst, welche in der Mitte des Jahr-
hunderts in Berlin versammelt waren, und diente auch insofern dazu, seinen
geistigen Horizont auszudehnen. Die Bedeutung, welche es für die Wissen-
schaft hatte, daſs Curtius durch die erfolgreiche Hingebung, mit welcher
er sich seiner paedagogischen Aufgabe widmete, in immer steigendem Maſse
sich die Huld und das Vertrauen der fürstlichen Eltern, des nachmaligen
Königs und Kaisers Wilhelm und seiner hochsinnigen Gemahlin, erwarb,
sollte später zu Tage treten. Gewiſs, Curtius hat viel Glück im Leben
gehabt, aber eben so sicher ist es, daſs die Gunst des Geschickes nie
einem Würdigeren zu Theil geworden ist.


Curtius selbst hat in seinen späteren Jahren mit dem frommen Sinn,
der ihm eigen war, in der Gestaltung seines Lebens die Hand Gottes er-
kannt. Den Männern, welche ihn in die Wissenschaft eingeführt und seinen
Studien die Richtung gegeben hatten, hat er bis zum letzten Athemzuge
die Dankbarkeit gewahrt. Ungezählte Male nennt er in seinen Schriften
Böckh, Welcker und K. Otfr. Müller als seine Lehrer und Vorbilder.
Zu Welcker scheint er in ein näheres persönliches Verhältniſs nie getreten
zu sein; um so inniger gestalteten sich nach der Heimkehr aus Griechenland
seine Beziehungen zu Böckh. Am stärksten hat doch Otfr. Müller auf
Curtius eingewirkt, nicht allein weil dieser ihm im Lebensalter näher stand
als Böckh und Welcker, sondern weil Curtius und Müller grundver-
wandte Naturen waren. Der angeborene Sinn für die Form und die ideale
Auffassung waren Beiden ebenso gemeinsam wie die lebhafte Einbildungs-
kraft, nur daſs diese für den Gelehrten und Schriftsteller wesentlichen
Eigenschaften bei Curtius, ich möchte sagen, in der höheren Potenz vor-
handen, der Formensinn noch ausgebildeter, die Phantasie blühender waren.
Wenn Curtius an Müller die Frische des Geistes, welche die Schönheit des
Alterthums mit poetischem Sinne auffaſste und in edler Form zum Ausdruck
brachte, und an einer anderen Stelle die unglaubliche geistige Elasticität
preist, die denselben auf den verschiedensten Gebieten thätig sein lieſs, so
läſst sich das alles unverändert auf ihn selbst anwenden. Curtius’ erstes
bedeutendes Werk, durch welches er sich die ihm gebührende Stelle in der
gelehrten Welt eroberte, ist in Folge einer direceten Anregung Otfr. Müller’s
entstanden. Schon durch die Lehrvorträge Müller’s in Göttingen war in
Curtius der Sinn für die geographischen und topographischen Verhältnisse

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[7/0007] Gedächtniſsrede auf Ernst Curtius. 5 brachte ihn ungesucht in Berührung mit allen Gröſsen auf den Gebieten der Wissenschaft, der Litteratur und Kunst, welche in der Mitte des Jahr- hunderts in Berlin versammelt waren, und diente auch insofern dazu, seinen geistigen Horizont auszudehnen. Die Bedeutung, welche es für die Wissen- schaft hatte, daſs Curtius durch die erfolgreiche Hingebung, mit welcher er sich seiner paedagogischen Aufgabe widmete, in immer steigendem Maſse sich die Huld und das Vertrauen der fürstlichen Eltern, des nachmaligen Königs und Kaisers Wilhelm und seiner hochsinnigen Gemahlin, erwarb, sollte später zu Tage treten. Gewiſs, Curtius hat viel Glück im Leben gehabt, aber eben so sicher ist es, daſs die Gunst des Geschickes nie einem Würdigeren zu Theil geworden ist. Curtius selbst hat in seinen späteren Jahren mit dem frommen Sinn, der ihm eigen war, in der Gestaltung seines Lebens die Hand Gottes er- kannt. Den Männern, welche ihn in die Wissenschaft eingeführt und seinen Studien die Richtung gegeben hatten, hat er bis zum letzten Athemzuge die Dankbarkeit gewahrt. Ungezählte Male nennt er in seinen Schriften Böckh, Welcker und K. Otfr. Müller als seine Lehrer und Vorbilder. Zu Welcker scheint er in ein näheres persönliches Verhältniſs nie getreten zu sein; um so inniger gestalteten sich nach der Heimkehr aus Griechenland seine Beziehungen zu Böckh. Am stärksten hat doch Otfr. Müller auf Curtius eingewirkt, nicht allein weil dieser ihm im Lebensalter näher stand als Böckh und Welcker, sondern weil Curtius und Müller grundver- wandte Naturen waren. Der angeborene Sinn für die Form und die ideale Auffassung waren Beiden ebenso gemeinsam wie die lebhafte Einbildungs- kraft, nur daſs diese für den Gelehrten und Schriftsteller wesentlichen Eigenschaften bei Curtius, ich möchte sagen, in der höheren Potenz vor- handen, der Formensinn noch ausgebildeter, die Phantasie blühender waren. Wenn Curtius an Müller die Frische des Geistes, welche die Schönheit des Alterthums mit poetischem Sinne auffaſste und in edler Form zum Ausdruck brachte, und an einer anderen Stelle die unglaubliche geistige Elasticität preist, die denselben auf den verschiedensten Gebieten thätig sein lieſs, so läſst sich das alles unverändert auf ihn selbst anwenden. Curtius’ erstes bedeutendes Werk, durch welches er sich die ihm gebührende Stelle in der gelehrten Welt eroberte, ist in Folge einer direceten Anregung Otfr. Müller’s entstanden. Schon durch die Lehrvorträge Müller’s in Göttingen war in Curtius der Sinn für die geographischen und topographischen Verhältnisse

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Zitationshilfe: Köhler, Ulrich: Gedächtnissrede auf Ernst Curtius. Berlin, 1897, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koehler_curtius_1897/7>, abgerufen am 24.11.2024.