die Placenta uterina nicht eine Decidua serotina, d. h. eine nachträg- lich sich bildende Lage, wie die ältere Einstülpungstheorie anneh- men musste, sondern einfach der Theil der Uterusschleimhaut, auf dem das Ei aufliegt und der dann später durch besondere Umwand- lungen einen so abweichenden Bau annimmt, dass er allerdings einen besonderen Namen verdient.
Hat sich die Uterusschleimhaut als Reflexa um das Ei zu einem Sacke geschlossen, so findet man anfangs das rings mit Zotten be- setzte Ei noch ganz frei und kann man dasselbe noch in der vier- ten Woche leicht aus seinem Behälter herausnehmen, ja selbst im zweiten Monate ist die Trennung meist ganz leicht; am Ende des zweiten Monates aber bilden sich die Zotten auf der Placentarseite mehr aus, und im dritten Monate wird die Verbindung des Eies mit dem Uterus immer ausgesprochener. Die innige Vereinigung des Eies und der Uterinschleimhaut kommt dadurch zu Stande, dass zuerst die ganze dem Eie zugekehrte Fläche der letzteren, mithin auch die Innenfläche der Reflexa und nicht blos die Stelle der spätern Placenta uterina, grubig wird, und ein maschiges, bienenwabenähn- liches Ansehen annimmt. Diese Gruben verschwinden später an der Reflexa, an dem Theile dagegen, der zum Mutterkuchen sich ge- staltet, werden dieselben immer grösser, indem die Schleimhaut den Chorionzotten entgegenwuchert und dieselben immer inniger umschliesst. Meiner Ueberzeugung nach darf man es als sicher betrachten, dass die Chorionzotten beim Menschen nicht in Uterin- drüsen hineinwuchern. Meinen Erfahrungen zufolge verschwinden nämlich diese Drüsen in der Placenta uterina in der kürzesten Zeit und sind am Ende des ersten Monates zu einer Zeit, wo das Ei noch gar keine Verbindung mit dem Uterus eingegangen hat, auch nicht einmal in Spuren vorhanden. Der Mensch schliesst sich somit an die Geschöpfe an, bei denen die Uterinschleimhaut mit ihrer ge- sammten Oberfläche den Chorionzotten entgegenwuchert und die- selben umfasst. Im dritten und vierten Monate ist die Vereinigung am innigsten und reicht um diese Zeit, wie früher schon angegeben, das Gewebe der Placenta uterina, reichlich wuchernd und weite dünnwandige Blutgefässe in grosser Zahl in sich entwickelnd, weit gegen das Chorion hin und kann selbst die Stämme der Zotten an ihrem Ausgangspuncte erreichen. Im weite- ren Verlaufe hält jedoch das Uteringewebe der Placenta mit den Chorionzotten nicht gleichen Schritt, wird von den Ausläufern der-
Einundzwanzigste Vorlesung.
die Placenta uterina nicht eine Decidua serotina, d. h. eine nachträg- lich sich bildende Lage, wie die ältere Einstülpungstheorie anneh- men musste, sondern einfach der Theil der Uterusschleimhaut, auf dem das Ei aufliegt und der dann später durch besondere Umwand- lungen einen so abweichenden Bau annimmt, dass er allerdings einen besonderen Namen verdient.
Hat sich die Uterusschleimhaut als Reflexa um das Ei zu einem Sacke geschlossen, so findet man anfangs das rings mit Zotten be- setzte Ei noch ganz frei und kann man dasselbe noch in der vier- ten Woche leicht aus seinem Behälter herausnehmen, ja selbst im zweiten Monate ist die Trennung meist ganz leicht; am Ende des zweiten Monates aber bilden sich die Zotten auf der Placentarseite mehr aus, und im dritten Monate wird die Verbindung des Eies mit dem Uterus immer ausgesprochener. Die innige Vereinigung des Eies und der Uterinschleimhaut kommt dadurch zu Stande, dass zuerst die ganze dem Eie zugekehrte Fläche der letzteren, mithin auch die Innenfläche der Reflexa und nicht blos die Stelle der spätern Placenta uterina, grubig wird, und ein maschiges, bienenwabenähn- liches Ansehen annimmt. Diese Gruben verschwinden später an der Reflexa, an dem Theile dagegen, der zum Mutterkuchen sich ge- staltet, werden dieselben immer grösser, indem die Schleimhaut den Chorionzotten entgegenwuchert und dieselben immer inniger umschliesst. Meiner Ueberzeugung nach darf man es als sicher betrachten, dass die Chorionzotten beim Menschen nicht in Uterin- drüsen hineinwuchern. Meinen Erfahrungen zufolge verschwinden nämlich diese Drüsen in der Placenta uterina in der kürzesten Zeit und sind am Ende des ersten Monates zu einer Zeit, wo das Ei noch gar keine Verbindung mit dem Uterus eingegangen hat, auch nicht einmal in Spuren vorhanden. Der Mensch schliesst sich somit an die Geschöpfe an, bei denen die Uterinschleimhaut mit ihrer ge- sammten Oberfläche den Chorionzotten entgegenwuchert und die- selben umfasst. Im dritten und vierten Monate ist die Vereinigung am innigsten und reicht um diese Zeit, wie früher schon angegeben, das Gewebe der Placenta uterina, reichlich wuchernd und weite dünnwandige Blutgefässe in grosser Zahl in sich entwickelnd, weit gegen das Chorion hin und kann selbst die Stämme der Zotten an ihrem Ausgangspuncte erreichen. Im weite- ren Verlaufe hält jedoch das Uteringewebe der Placenta mit den Chorionzotten nicht gleichen Schritt, wird von den Ausläufern der-
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0198"n="182"/><fwplace="top"type="header">Einundzwanzigste Vorlesung.</fw><lb/>
die <hirendition="#i">Placenta uterina</hi> nicht eine <hirendition="#i">Decidua serotina</hi>, d. h. eine nachträg-<lb/>
lich sich bildende Lage, wie die ältere Einstülpungstheorie anneh-<lb/>
men musste, sondern einfach der Theil der Uterusschleimhaut, auf<lb/>
dem das Ei aufliegt und der dann später durch besondere Umwand-<lb/>
lungen einen so abweichenden Bau annimmt, dass er allerdings einen<lb/>
besonderen Namen verdient.</p><lb/><p>Hat sich die Uterusschleimhaut als <hirendition="#i">Reflexa</hi> um das Ei zu einem<lb/>
Sacke geschlossen, so findet man anfangs das rings mit Zotten be-<lb/>
setzte Ei noch <hirendition="#g">ganz frei</hi> und kann man dasselbe noch in der vier-<lb/>
ten Woche leicht aus seinem Behälter herausnehmen, ja selbst im<lb/>
zweiten Monate ist die Trennung meist ganz leicht; am Ende des<lb/>
zweiten Monates aber bilden sich die Zotten auf der Placentarseite<lb/>
mehr aus, und im dritten Monate wird die Verbindung des Eies mit<lb/>
dem Uterus immer ausgesprochener. Die innige Vereinigung des<lb/>
Eies und der Uterinschleimhaut kommt dadurch zu Stande, dass<lb/>
zuerst die ganze dem Eie zugekehrte Fläche der letzteren, mithin auch<lb/>
die Innenfläche der <hirendition="#i">Reflexa</hi> und nicht blos die Stelle der spätern<lb/><hirendition="#i">Placenta uterina</hi>, grubig wird, und ein maschiges, bienenwabenähn-<lb/>
liches Ansehen annimmt. Diese Gruben verschwinden später an<lb/>
der <hirendition="#i">Reflexa</hi>, an dem Theile dagegen, der zum Mutterkuchen sich ge-<lb/>
staltet, werden dieselben immer grösser, indem die Schleimhaut<lb/>
den Chorionzotten entgegenwuchert und dieselben immer inniger<lb/>
umschliesst. Meiner Ueberzeugung nach darf man es als sicher<lb/>
betrachten, dass die Chorionzotten beim Menschen nicht in Uterin-<lb/>
drüsen hineinwuchern. Meinen Erfahrungen zufolge verschwinden<lb/>
nämlich diese Drüsen in der <hirendition="#i">Placenta uterina</hi> in der kürzesten Zeit<lb/>
und sind am Ende des ersten Monates zu einer Zeit, wo das Ei noch<lb/>
gar keine Verbindung mit dem Uterus eingegangen hat, auch nicht<lb/>
einmal in Spuren vorhanden. Der Mensch schliesst sich somit an<lb/>
die Geschöpfe an, bei denen die Uterinschleimhaut mit ihrer ge-<lb/>
sammten Oberfläche den Chorionzotten entgegenwuchert und die-<lb/>
selben umfasst. Im dritten und vierten Monate ist die Vereinigung<lb/>
am innigsten und reicht um diese Zeit, wie früher schon angegeben,<lb/>
das Gewebe der <hirendition="#i">Placenta uterina</hi>, reichlich wuchernd und weite<lb/>
dünnwandige Blutgefässe in grosser Zahl in sich entwickelnd, weit<lb/>
gegen das Chorion hin <hirendition="#g">und kann selbst die Stämme der<lb/>
Zotten</hi> an <hirendition="#g">ihrem Ausgangspuncte erreichen</hi>. Im weite-<lb/>
ren Verlaufe hält jedoch das Uteringewebe der Placenta mit den<lb/>
Chorionzotten nicht gleichen Schritt, wird von den Ausläufern der-<lb/></p></div></body></text></TEI>
[182/0198]
Einundzwanzigste Vorlesung.
die Placenta uterina nicht eine Decidua serotina, d. h. eine nachträg-
lich sich bildende Lage, wie die ältere Einstülpungstheorie anneh-
men musste, sondern einfach der Theil der Uterusschleimhaut, auf
dem das Ei aufliegt und der dann später durch besondere Umwand-
lungen einen so abweichenden Bau annimmt, dass er allerdings einen
besonderen Namen verdient.
Hat sich die Uterusschleimhaut als Reflexa um das Ei zu einem
Sacke geschlossen, so findet man anfangs das rings mit Zotten be-
setzte Ei noch ganz frei und kann man dasselbe noch in der vier-
ten Woche leicht aus seinem Behälter herausnehmen, ja selbst im
zweiten Monate ist die Trennung meist ganz leicht; am Ende des
zweiten Monates aber bilden sich die Zotten auf der Placentarseite
mehr aus, und im dritten Monate wird die Verbindung des Eies mit
dem Uterus immer ausgesprochener. Die innige Vereinigung des
Eies und der Uterinschleimhaut kommt dadurch zu Stande, dass
zuerst die ganze dem Eie zugekehrte Fläche der letzteren, mithin auch
die Innenfläche der Reflexa und nicht blos die Stelle der spätern
Placenta uterina, grubig wird, und ein maschiges, bienenwabenähn-
liches Ansehen annimmt. Diese Gruben verschwinden später an
der Reflexa, an dem Theile dagegen, der zum Mutterkuchen sich ge-
staltet, werden dieselben immer grösser, indem die Schleimhaut
den Chorionzotten entgegenwuchert und dieselben immer inniger
umschliesst. Meiner Ueberzeugung nach darf man es als sicher
betrachten, dass die Chorionzotten beim Menschen nicht in Uterin-
drüsen hineinwuchern. Meinen Erfahrungen zufolge verschwinden
nämlich diese Drüsen in der Placenta uterina in der kürzesten Zeit
und sind am Ende des ersten Monates zu einer Zeit, wo das Ei noch
gar keine Verbindung mit dem Uterus eingegangen hat, auch nicht
einmal in Spuren vorhanden. Der Mensch schliesst sich somit an
die Geschöpfe an, bei denen die Uterinschleimhaut mit ihrer ge-
sammten Oberfläche den Chorionzotten entgegenwuchert und die-
selben umfasst. Im dritten und vierten Monate ist die Vereinigung
am innigsten und reicht um diese Zeit, wie früher schon angegeben,
das Gewebe der Placenta uterina, reichlich wuchernd und weite
dünnwandige Blutgefässe in grosser Zahl in sich entwickelnd, weit
gegen das Chorion hin und kann selbst die Stämme der
Zotten an ihrem Ausgangspuncte erreichen. Im weite-
ren Verlaufe hält jedoch das Uteringewebe der Placenta mit den
Chorionzotten nicht gleichen Schritt, wird von den Ausläufern der-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/198>, abgerufen am 21.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.