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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
gedacht, nämlich an die, dass das Ei, im Uterus angelangt, in die
Schleimhaut selbst, d. h. mitten in deren Gewebe zu liegen komme,
gewissermaassen in dieselbe einsinke und einen Theil der Schleim-
haut als Reflexa vor sich hertreibe, während der andere liegenblei-
bende zur Bildung der Placenta uterina verwendet werde, ich muss
jedoch gestehen, dass mir diese Auffassung weniger zusagt, als die
von Sharpey, aus Gründen, die ich Ihnen wohl nicht auseinander-
zusetzen brauche. Ebensowenig kann ich einer dritten Hypothese
mich anschliessen, die in der neuesten Zeit Funke geäussert hat. Ge-
stützt auf Bischoff's Wahrnehmungen beim Meerschweinchen, denen
zufolge bei diesem Thiere das Ei in eine Uterindrüse hineingelangt
und hier sich festsetzt, hat Funke die Vermuthung ausgesprochen,
dass so etwas auch beim Menschen sich finde. Allein abgesehen
von allem andern sprechen schon die Grössenverhältnisse der Eier
und Uterindrüsenmündungen gegen diese Aufstellung.

Verglichen mit diesen beiden Hypothesen ist Sharpey's Theorie
sicherlich viel zusagender, doch wollen wir uns nicht verbergen
dass auch sie immer noch nicht durch wirkliche, unumstössliche
Thatsachen gestützt ist, indem es noch Niemand gelungen ist, ein
Ei im Momente der Bildung der Reflexa zu sehen, mit andern Wor-
ten eine noch nicht vollkommen geschlossene Reflexa zu beobachten.
Und wenn auch jene früher schon erwähnte narbenähnliche Stelle
auf der Mitte der Reflexa in hohem Maasse für die Theorie von
Sharpey spricht, so ist doch auch diese Thatsache nicht vollkommen
schlagend. Dagegen können wir nicht zugeben, dass die Annahme,
dass eine Schleimhaut ein auf ihr liegendes Gebilde durch Wucherung
einschliesse, etwas unmögliches oder unwahrscheinliches an sich trage,
indem für einen solchen Vorgang mannichfache Analogien sprechen.
Schon E. H. Weber hat an die Säcke erinnert, die aus der Rückenhaut
der Pipa americana um die Eier sich bilden, allein wir brauchen nicht
so weit zu gehen, um Aehnliches zu finden. Denken Sie an die Bil-
dung des Amnios, das, ursprünglich als kleine Falte von der Haut
des Embryo ausgehend, nach und nach um diesen herumwuchert, in
der Mitte verwächst und einen vollkommenen Sack um den Embryo
bildet; erinnern Sie sich ferner an die Umschliessung des Medul-
larrohres durch das Hornblatt bei der Schliessung der Rückenfurche
und an die Schliessung der Bauchwände um den Darm und Sie
haben Analogien, die z. Th. nicht brauchbarer zu denken sind. Un-
serer Anschauung über die Bildung der Reflexa zufolge ist demnach

Entwicklung der menschlichen Eihüllen.
gedacht, nämlich an die, dass das Ei, im Uterus angelangt, in die
Schleimhaut selbst, d. h. mitten in deren Gewebe zu liegen komme,
gewissermaassen in dieselbe einsinke und einen Theil der Schleim-
haut als Reflexa vor sich hertreibe, während der andere liegenblei-
bende zur Bildung der Placenta uterina verwendet werde, ich muss
jedoch gestehen, dass mir diese Auffassung weniger zusagt, als die
von Sharpey, aus Gründen, die ich Ihnen wohl nicht auseinander-
zusetzen brauche. Ebensowenig kann ich einer dritten Hypothese
mich anschliessen, die in der neuesten Zeit Funke geäussert hat. Ge-
stützt auf Bischoff’s Wahrnehmungen beim Meerschweinchen, denen
zufolge bei diesem Thiere das Ei in eine Uterindrüse hineingelangt
und hier sich festsetzt, hat Funke die Vermuthung ausgesprochen,
dass so etwas auch beim Menschen sich finde. Allein abgesehen
von allem andern sprechen schon die Grössenverhältnisse der Eier
und Uterindrüsenmündungen gegen diese Aufstellung.

Verglichen mit diesen beiden Hypothesen ist Sharpey’s Theorie
sicherlich viel zusagender, doch wollen wir uns nicht verbergen
dass auch sie immer noch nicht durch wirkliche, unumstössliche
Thatsachen gestützt ist, indem es noch Niemand gelungen ist, ein
Ei im Momente der Bildung der Reflexa zu sehen, mit andern Wor-
ten eine noch nicht vollkommen geschlossene Reflexa zu beobachten.
Und wenn auch jene früher schon erwähnte narbenähnliche Stelle
auf der Mitte der Reflexa in hohem Maasse für die Theorie von
Sharpey spricht, so ist doch auch diese Thatsache nicht vollkommen
schlagend. Dagegen können wir nicht zugeben, dass die Annahme,
dass eine Schleimhaut ein auf ihr liegendes Gebilde durch Wucherung
einschliesse, etwas unmögliches oder unwahrscheinliches an sich trage,
indem für einen solchen Vorgang mannichfache Analogien sprechen.
Schon E. H. Weber hat an die Säcke erinnert, die aus der Rückenhaut
der Pipa americana um die Eier sich bilden, allein wir brauchen nicht
so weit zu gehen, um Aehnliches zu finden. Denken Sie an die Bil-
dung des Amnios, das, ursprünglich als kleine Falte von der Haut
des Embryo ausgehend, nach und nach um diesen herumwuchert, in
der Mitte verwächst und einen vollkommenen Sack um den Embryo
bildet; erinnern Sie sich ferner an die Umschliessung des Medul-
larrohres durch das Hornblatt bei der Schliessung der Rückenfurche
und an die Schliessung der Bauchwände um den Darm und Sie
haben Analogien, die z. Th. nicht brauchbarer zu denken sind. Un-
serer Anschauung über die Bildung der Reflexa zufolge ist demnach

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[181/0197] Entwicklung der menschlichen Eihüllen. gedacht, nämlich an die, dass das Ei, im Uterus angelangt, in die Schleimhaut selbst, d. h. mitten in deren Gewebe zu liegen komme, gewissermaassen in dieselbe einsinke und einen Theil der Schleim- haut als Reflexa vor sich hertreibe, während der andere liegenblei- bende zur Bildung der Placenta uterina verwendet werde, ich muss jedoch gestehen, dass mir diese Auffassung weniger zusagt, als die von Sharpey, aus Gründen, die ich Ihnen wohl nicht auseinander- zusetzen brauche. Ebensowenig kann ich einer dritten Hypothese mich anschliessen, die in der neuesten Zeit Funke geäussert hat. Ge- stützt auf Bischoff’s Wahrnehmungen beim Meerschweinchen, denen zufolge bei diesem Thiere das Ei in eine Uterindrüse hineingelangt und hier sich festsetzt, hat Funke die Vermuthung ausgesprochen, dass so etwas auch beim Menschen sich finde. Allein abgesehen von allem andern sprechen schon die Grössenverhältnisse der Eier und Uterindrüsenmündungen gegen diese Aufstellung. Verglichen mit diesen beiden Hypothesen ist Sharpey’s Theorie sicherlich viel zusagender, doch wollen wir uns nicht verbergen dass auch sie immer noch nicht durch wirkliche, unumstössliche Thatsachen gestützt ist, indem es noch Niemand gelungen ist, ein Ei im Momente der Bildung der Reflexa zu sehen, mit andern Wor- ten eine noch nicht vollkommen geschlossene Reflexa zu beobachten. Und wenn auch jene früher schon erwähnte narbenähnliche Stelle auf der Mitte der Reflexa in hohem Maasse für die Theorie von Sharpey spricht, so ist doch auch diese Thatsache nicht vollkommen schlagend. Dagegen können wir nicht zugeben, dass die Annahme, dass eine Schleimhaut ein auf ihr liegendes Gebilde durch Wucherung einschliesse, etwas unmögliches oder unwahrscheinliches an sich trage, indem für einen solchen Vorgang mannichfache Analogien sprechen. Schon E. H. Weber hat an die Säcke erinnert, die aus der Rückenhaut der Pipa americana um die Eier sich bilden, allein wir brauchen nicht so weit zu gehen, um Aehnliches zu finden. Denken Sie an die Bil- dung des Amnios, das, ursprünglich als kleine Falte von der Haut des Embryo ausgehend, nach und nach um diesen herumwuchert, in der Mitte verwächst und einen vollkommenen Sack um den Embryo bildet; erinnern Sie sich ferner an die Umschliessung des Medul- larrohres durch das Hornblatt bei der Schliessung der Rückenfurche und an die Schliessung der Bauchwände um den Darm und Sie haben Analogien, die z. Th. nicht brauchbarer zu denken sind. Un- serer Anschauung über die Bildung der Reflexa zufolge ist demnach

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 181. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/197>, abgerufen am 21.11.2024.