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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Einundzwanzigste Vorlesung.
Anwesenheit eines frischen Corpus luteum, in denen kein Ei sich vor-
fand, sich doch auf eine stattgehabte Conception bezog.

Decidua reflexa.Wir wenden uns nun zur Decidua reflexa, über deren Ent-
stehung man vor noch nicht langer Zeit ganz unrichtige Vorstel-
lungen hatte, weil man von der falschen Ansicht ausging, dass die
Oeffnungen der Tuben durch die als Exsudat aufgefasste Decidua vera
verschlossen seien. Von dieser Voraussetzung ausgehend behaup-
tete man, das Ei schiebe, wenn es aus dem Eileiter in den Uterus
gelange, diese Membran vor sich her, stülpe sie ein und dehne sie
dann durch sein eigenes Wachsthum zu einer besonderen Umhül-
lung aus, die ihrer Bildungsweise halber den Namen Decidua reflexa
erhielt. Mit der Erkenntniss, dass die Decidua vera nichts als die
umgewandelte Schleimhaut des Uterus sei, trat auch in der Ge-
schichte der Reflexa ein Wendepunct ein. E. H. Weber und Sharpey
fanden dann in der Reflexa dieselben Drüsenmündungen, welche
auch die Vera besitzt und gelangten so zum Ausspruche, dass auch
die Reflexa der Uterinschleimhaut beizuzählen sei, ein Satz, den alle
Spätern angenommen haben und den auch die umfassenden Unter-
suchungen von Coste nach allen Seiten stützen. Als man einmal so
weit gelangt war, ergab sich natürlich auch die Nöthigung, eine
andere Erklärung für die Bildung der Reflexa aufzustellen, denn an
eine Verschliessung der Tuben durch die Schleimhaut des Uterus
und an eine Einstülpung der Schleimhaut durch das Ei war nicht
zu denken, um so weniger, als die von älteren Beobachtern schon
öfters gemachte Wahrnehmung, dass das Orificium uterinum der
Tuba auch an schwangeren Gebärmüttern nicht geschlossen ist, immer
bestimmter als ausnahmslose Regel hervortrat, in welcher Beziehung
besonders Coste sich Verdienste erworben hat. Unter den mehr-
fachen Möglichkeiten, an die man gedacht hat, scheint mir die
von Sharpey zuerst vorgetragene bei Weitem die beste und einzig
brauchbare zu sein. Sharpey nimmt an, dass das Ei, nachdem es
in die Höhlung des Uterus eingetreten, sich in eine Falte der gewul-
steten Schleimhaut oder der Deeidua vera einbette, worauf dann
diese über das Ei herüberwuchere und es vollständig einschliesse.
Die Möglichkeit einer solchen Einbettung des Eies wird Ihnen ein-
leuchten, wenn Sie bedenken wollen, dass das Ei, wenn es in den
Uterus gelangt, höchstens 1/8 ''' gross ist, also sehr leicht in irgend
einer Falte liegen bleiben und von der wuchernden Schleimhaut um-
schlossen werden kann. An eine andere Möglichkeit hat E. H. Weber

Einundzwanzigste Vorlesung.
Anwesenheit eines frischen Corpus luteum, in denen kein Ei sich vor-
fand, sich doch auf eine stattgehabte Conception bezog.

Decidua reflexa.Wir wenden uns nun zur Decidua reflexa, über deren Ent-
stehung man vor noch nicht langer Zeit ganz unrichtige Vorstel-
lungen hatte, weil man von der falschen Ansicht ausging, dass die
Oeffnungen der Tuben durch die als Exsudat aufgefasste Decidua vera
verschlossen seien. Von dieser Voraussetzung ausgehend behaup-
tete man, das Ei schiebe, wenn es aus dem Eileiter in den Uterus
gelange, diese Membran vor sich her, stülpe sie ein und dehne sie
dann durch sein eigenes Wachsthum zu einer besonderen Umhül-
lung aus, die ihrer Bildungsweise halber den Namen Decidua reflexa
erhielt. Mit der Erkenntniss, dass die Decidua vera nichts als die
umgewandelte Schleimhaut des Uterus sei, trat auch in der Ge-
schichte der Reflexa ein Wendepunct ein. E. H. Weber und Sharpey
fanden dann in der Reflexa dieselben Drüsenmündungen, welche
auch die Vera besitzt und gelangten so zum Ausspruche, dass auch
die Reflexa der Uterinschleimhaut beizuzählen sei, ein Satz, den alle
Spätern angenommen haben und den auch die umfassenden Unter-
suchungen von Coste nach allen Seiten stützen. Als man einmal so
weit gelangt war, ergab sich natürlich auch die Nöthigung, eine
andere Erklärung für die Bildung der Reflexa aufzustellen, denn an
eine Verschliessung der Tuben durch die Schleimhaut des Uterus
und an eine Einstülpung der Schleimhaut durch das Ei war nicht
zu denken, um so weniger, als die von älteren Beobachtern schon
öfters gemachte Wahrnehmung, dass das Orificium uterinum der
Tuba auch an schwangeren Gebärmüttern nicht geschlossen ist, immer
bestimmter als ausnahmslose Regel hervortrat, in welcher Beziehung
besonders Coste sich Verdienste erworben hat. Unter den mehr-
fachen Möglichkeiten, an die man gedacht hat, scheint mir die
von Sharpey zuerst vorgetragene bei Weitem die beste und einzig
brauchbare zu sein. Sharpey nimmt an, dass das Ei, nachdem es
in die Höhlung des Uterus eingetreten, sich in eine Falte der gewul-
steten Schleimhaut oder der Deeidua vera einbette, worauf dann
diese über das Ei herüberwuchere und es vollständig einschliesse.
Die Möglichkeit einer solchen Einbettung des Eies wird Ihnen ein-
leuchten, wenn Sie bedenken wollen, dass das Ei, wenn es in den
Uterus gelangt, höchstens ⅛‴ gross ist, also sehr leicht in irgend
einer Falte liegen bleiben und von der wuchernden Schleimhaut um-
schlossen werden kann. An eine andere Möglichkeit hat E. H. Weber

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[180/0196] Einundzwanzigste Vorlesung. Anwesenheit eines frischen Corpus luteum, in denen kein Ei sich vor- fand, sich doch auf eine stattgehabte Conception bezog. Wir wenden uns nun zur Decidua reflexa, über deren Ent- stehung man vor noch nicht langer Zeit ganz unrichtige Vorstel- lungen hatte, weil man von der falschen Ansicht ausging, dass die Oeffnungen der Tuben durch die als Exsudat aufgefasste Decidua vera verschlossen seien. Von dieser Voraussetzung ausgehend behaup- tete man, das Ei schiebe, wenn es aus dem Eileiter in den Uterus gelange, diese Membran vor sich her, stülpe sie ein und dehne sie dann durch sein eigenes Wachsthum zu einer besonderen Umhül- lung aus, die ihrer Bildungsweise halber den Namen Decidua reflexa erhielt. Mit der Erkenntniss, dass die Decidua vera nichts als die umgewandelte Schleimhaut des Uterus sei, trat auch in der Ge- schichte der Reflexa ein Wendepunct ein. E. H. Weber und Sharpey fanden dann in der Reflexa dieselben Drüsenmündungen, welche auch die Vera besitzt und gelangten so zum Ausspruche, dass auch die Reflexa der Uterinschleimhaut beizuzählen sei, ein Satz, den alle Spätern angenommen haben und den auch die umfassenden Unter- suchungen von Coste nach allen Seiten stützen. Als man einmal so weit gelangt war, ergab sich natürlich auch die Nöthigung, eine andere Erklärung für die Bildung der Reflexa aufzustellen, denn an eine Verschliessung der Tuben durch die Schleimhaut des Uterus und an eine Einstülpung der Schleimhaut durch das Ei war nicht zu denken, um so weniger, als die von älteren Beobachtern schon öfters gemachte Wahrnehmung, dass das Orificium uterinum der Tuba auch an schwangeren Gebärmüttern nicht geschlossen ist, immer bestimmter als ausnahmslose Regel hervortrat, in welcher Beziehung besonders Coste sich Verdienste erworben hat. Unter den mehr- fachen Möglichkeiten, an die man gedacht hat, scheint mir die von Sharpey zuerst vorgetragene bei Weitem die beste und einzig brauchbare zu sein. Sharpey nimmt an, dass das Ei, nachdem es in die Höhlung des Uterus eingetreten, sich in eine Falte der gewul- steten Schleimhaut oder der Deeidua vera einbette, worauf dann diese über das Ei herüberwuchere und es vollständig einschliesse. Die Möglichkeit einer solchen Einbettung des Eies wird Ihnen ein- leuchten, wenn Sie bedenken wollen, dass das Ei, wenn es in den Uterus gelangt, höchstens ⅛‴ gross ist, also sehr leicht in irgend einer Falte liegen bleiben und von der wuchernden Schleimhaut um- schlossen werden kann. An eine andere Möglichkeit hat E. H. Weber Decidua reflexa.

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 180. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/196>, abgerufen am 21.11.2024.