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Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861.

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Neununddreissigste Vorlesung.
ordnung der Muskelfasern des Gubernaculum es für unstatthaft halten
müssen, den Descensus durch dieselben zu erklären. Als die ein-
fachste, rationellste Erklärung ist mir immer die vorgekommen, die
schon bei einigen Autoren, am bestimmtesten bei J. Cleland (The
mechanisme of the gubernaculum testis
. Edinburg 1856) angedeutet
ist, dass einmal verschiedene Wachsthumsverhältnisse der Theile,
ein rasches Wachsthum der einen und ein Zurückbleiben der ande-
ren, und zweitens ein Schrumpfen des Gubernaculum die Lagever-
änderung des Hodens bedingen. Welche scheinbaren Ortsverände-
rungen der bedeutendsten Art durch ein verschiedenes Wachsthum
nahe gelegener Theile erzeugt werden können, habe ich Ihnen schon
in einer früheren Stunde am Rückenmark gezeigt, welches, anfänglich
im Sacralkanale gelegen, am Ende am zweiten Lendenwirbel steht
und so gewissermaassen einen ebenso entschiedenen Ascensus zeigt,
wie die Hoden einen Descensus. Nehmen Sie nun an, dass in analo-
ger Weise die Theile unterhalb der Hoden weniger, die oberen dage-
gen rascher wachsen, so wird hierdurch eine Verschiebung eintreten
müssen, die nur um so grösser erscheinen wird, wenn Sie die Klein-
heit der Theile bei jungen Embryonen, die geringen Distanzen bei
denselben mit in Erwägung bringen. Dass aber in der That die über
den Hoden (und Eierstöcken) gelegenen Theile rascher wachsen als
die unteren, sieht man ja deutlich an den Vasa spermatica, an deren
Verlängerung durch Muskelwirkung Niemand wird denken wollen,
und deren Wachsthum eben mit der beste Beweis ist,
dass hier keine Contractionsphänomene im Spiele

sind. Andererseits ergibt eine Messung des Gubernaculum Hunteri
und des Processus vaginalis bei jüngeren und älteren Embryonen,
dass dieselben unverhältnissmässig wenig an Länge zunehmen. Wenn
nun aber auch dieses Missverhältniss im Wachsthum der über und
unter dem Hoden gelegenen Theile einen guten Theil des Descensus
testiculorum
erklärt, so genügt dasselbe doch kaum, um auch das
Durchtreten des Hodens durch den Leistenkanal und in das Scrotum
begreiflich zu machen und erscheint es als fast unumgänglich nöthig,
noch einen zweiten Factor anzunehmen, der gewissermaassen den
Hoden fixirt und leitet, vielleicht auch etwas herabzieht, und dieser
Factor scheint mir im Gubernaculum Hunteri gegeben zu sein. Das-
selbe ist einmal ein straffes Band, welches auf jeden Fall den Hoden
hält und ihm eine bestimmte Richtung der Bewegung
vorzeichnet
, und zweitens glaube ich bei demselben in der That

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ordnung der Muskelfasern des Gubernaculum es für unstatthaft halten
müssen, den Descensus durch dieselben zu erklären. Als die ein-
fachste, rationellste Erklärung ist mir immer die vorgekommen, die
schon bei einigen Autoren, am bestimmtesten bei J. Cleland (The
mechanisme of the gubernaculum testis
. Edinburg 1856) angedeutet
ist, dass einmal verschiedene Wachsthumsverhältnisse der Theile,
ein rasches Wachsthum der einen und ein Zurückbleiben der ande-
ren, und zweitens ein Schrumpfen des Gubernaculum die Lagever-
änderung des Hodens bedingen. Welche scheinbaren Ortsverände-
rungen der bedeutendsten Art durch ein verschiedenes Wachsthum
nahe gelegener Theile erzeugt werden können, habe ich Ihnen schon
in einer früheren Stunde am Rückenmark gezeigt, welches, anfänglich
im Sacralkanale gelegen, am Ende am zweiten Lendenwirbel steht
und so gewissermaassen einen ebenso entschiedenen Ascensus zeigt,
wie die Hoden einen Descensus. Nehmen Sie nun an, dass in analo-
ger Weise die Theile unterhalb der Hoden weniger, die oberen dage-
gen rascher wachsen, so wird hierdurch eine Verschiebung eintreten
müssen, die nur um so grösser erscheinen wird, wenn Sie die Klein-
heit der Theile bei jungen Embryonen, die geringen Distanzen bei
denselben mit in Erwägung bringen. Dass aber in der That die über
den Hoden (und Eierstöcken) gelegenen Theile rascher wachsen als
die unteren, sieht man ja deutlich an den Vasa spermatica, an deren
Verlängerung durch Muskelwirkung Niemand wird denken wollen,
und deren Wachsthum eben mit der beste Beweis ist,
dass hier keine Contractionsphänomene im Spiele

sind. Andererseits ergibt eine Messung des Gubernaculum Hunteri
und des Processus vaginalis bei jüngeren und älteren Embryonen,
dass dieselben unverhältnissmässig wenig an Länge zunehmen. Wenn
nun aber auch dieses Missverhältniss im Wachsthum der über und
unter dem Hoden gelegenen Theile einen guten Theil des Descensus
testiculorum
erklärt, so genügt dasselbe doch kaum, um auch das
Durchtreten des Hodens durch den Leistenkanal und in das Scrotum
begreiflich zu machen und erscheint es als fast unumgänglich nöthig,
noch einen zweiten Factor anzunehmen, der gewissermaassen den
Hoden fixirt und leitet, vielleicht auch etwas herabzieht, und dieser
Factor scheint mir im Gubernaculum Hunteri gegeben zu sein. Das-
selbe ist einmal ein straffes Band, welches auf jeden Fall den Hoden
hält und ihm eine bestimmte Richtung der Bewegung
vorzeichnet
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[458/0474] Neununddreissigste Vorlesung. ordnung der Muskelfasern des Gubernaculum es für unstatthaft halten müssen, den Descensus durch dieselben zu erklären. Als die ein- fachste, rationellste Erklärung ist mir immer die vorgekommen, die schon bei einigen Autoren, am bestimmtesten bei J. Cleland (The mechanisme of the gubernaculum testis. Edinburg 1856) angedeutet ist, dass einmal verschiedene Wachsthumsverhältnisse der Theile, ein rasches Wachsthum der einen und ein Zurückbleiben der ande- ren, und zweitens ein Schrumpfen des Gubernaculum die Lagever- änderung des Hodens bedingen. Welche scheinbaren Ortsverände- rungen der bedeutendsten Art durch ein verschiedenes Wachsthum nahe gelegener Theile erzeugt werden können, habe ich Ihnen schon in einer früheren Stunde am Rückenmark gezeigt, welches, anfänglich im Sacralkanale gelegen, am Ende am zweiten Lendenwirbel steht und so gewissermaassen einen ebenso entschiedenen Ascensus zeigt, wie die Hoden einen Descensus. Nehmen Sie nun an, dass in analo- ger Weise die Theile unterhalb der Hoden weniger, die oberen dage- gen rascher wachsen, so wird hierdurch eine Verschiebung eintreten müssen, die nur um so grösser erscheinen wird, wenn Sie die Klein- heit der Theile bei jungen Embryonen, die geringen Distanzen bei denselben mit in Erwägung bringen. Dass aber in der That die über den Hoden (und Eierstöcken) gelegenen Theile rascher wachsen als die unteren, sieht man ja deutlich an den Vasa spermatica, an deren Verlängerung durch Muskelwirkung Niemand wird denken wollen, und deren Wachsthum eben mit der beste Beweis ist, dass hier keine Contractionsphänomene im Spiele sind. Andererseits ergibt eine Messung des Gubernaculum Hunteri und des Processus vaginalis bei jüngeren und älteren Embryonen, dass dieselben unverhältnissmässig wenig an Länge zunehmen. Wenn nun aber auch dieses Missverhältniss im Wachsthum der über und unter dem Hoden gelegenen Theile einen guten Theil des Descensus testiculorum erklärt, so genügt dasselbe doch kaum, um auch das Durchtreten des Hodens durch den Leistenkanal und in das Scrotum begreiflich zu machen und erscheint es als fast unumgänglich nöthig, noch einen zweiten Factor anzunehmen, der gewissermaassen den Hoden fixirt und leitet, vielleicht auch etwas herabzieht, und dieser Factor scheint mir im Gubernaculum Hunteri gegeben zu sein. Das- selbe ist einmal ein straffes Band, welches auf jeden Fall den Hoden hält und ihm eine bestimmte Richtung der Bewegung vorzeichnet, und zweitens glaube ich bei demselben in der That

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Zitationshilfe: Kölliker, Albert von: Entwicklungsgeschichte des Menschen und der höheren Thiere. Leipzig, 1861, S. 458. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koelliker_entwicklungs_1861/474>, abgerufen am 25.11.2024.