Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_014.001 Bacc.: Gesteht! Was man von je gewußt, pko_014.005 pko_014.006Es ist durchaus nicht wissenswürdig. Meph.: Mich däucht' es längst. Ich war ein Tor, pko_014.007 Nun komm ich mir recht schal und albern vor. pko_014.008 5. Die Personifikation (Vermenschlichung) ist, als Vergeistigung des pko_014.009 den Tisch, an dem es sich gestoßen, schilt und schlägt, so personifiziert pko_014.013 es das tote Gerät. [Annotation] Alle Mythologie und Religion der Urvölker ging aus pko_014.014 der Personifikation von Naturerscheinungen hervor; sie verleiht seelenlosen pko_014.015 Gegenständen, Umständen und Zuständen ein persönliches Gepräge pko_014.016 und bringt sie dadurch menschlicher Einfühlung näher. [Annotation] Beispiele: "Bedächtig pko_014.017 stieg die Nacht an's Land, / Lehnt träumend an der Berge pko_014.018 Wand, / Ihr Auge sieht die goldne Wage nun / Der Zeit in gleichen pko_014.019 Schalen stille ruhn". (Mörike) Die Alltagssprache sagt, daß das Feuer pko_014.020 "frißt", daß der Himmel "lacht", daß die Fensterscheiben (oder auch die pko_014.021 Zwiebeln in der Küche) "schwitzen"; wir sprechen von der lieben pko_014.022 Frau Sonne, vom Hunger als dem besten Koch, vom Gevatter Tod. pko_014.023 pko_014.032 B. FIGUREN. Handelt es sich bei den Tropen um Vertauschung des pko_014.033 pko_014.001 Bacc.: Gesteht! Was man von je gewußt, pko_014.005 pko_014.006Es ist durchaus nicht wissenswürdig. Meph.: Mich däucht' es längst. Ich war ein Tor, pko_014.007 Nun komm ich mir recht schal und albern vor. pko_014.008 5. Die Personifikation (Vermenschlichung) ist, als Vergeistigung des pko_014.009 den Tisch, an dem es sich gestoßen, schilt und schlägt, so personifiziert pko_014.013 es das tote Gerät. [Annotation] Alle Mythologie und Religion der Urvölker ging aus pko_014.014 der Personifikation von Naturerscheinungen hervor; sie verleiht seelenlosen pko_014.015 Gegenständen, Umständen und Zuständen ein persönliches Gepräge pko_014.016 und bringt sie dadurch menschlicher Einfühlung näher. [Annotation] Beispiele: „Bedächtig pko_014.017 stieg die Nacht an's Land, / Lehnt träumend an der Berge pko_014.018 Wand, / Ihr Auge sieht die goldne Wage nun / Der Zeit in gleichen pko_014.019 Schalen stille ruhn“. (Mörike) Die Alltagssprache sagt, daß das Feuer pko_014.020 „frißt“, daß der Himmel „lacht“, daß die Fensterscheiben (oder auch die pko_014.021 Zwiebeln in der Küche) „schwitzen“; wir sprechen von der lieben pko_014.022 Frau Sonne, vom Hunger als dem besten Koch, vom Gevatter Tod. pko_014.023 pko_014.032 B. FIGUREN. Handelt es sich bei den Tropen um Vertauschung des pko_014.033 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0018" n="14"/><lb n="pko_014.001"/> zugrunde. Eine Anwendung der Ironie in hoher Dichtung zeigt das <lb n="pko_014.002"/> Gespräch zwischen Mephistopheles und dem Baccalaureus in Goethes <lb n="pko_014.003"/> „Faust“ II:</p> <lb n="pko_014.004"/> <p>Bacc.:<lg><l>Gesteht! Was man von je gewußt,</l><lb n="pko_014.005"/><l>Es ist durchaus nicht wissenswürdig.</l></lg></p> <lb n="pko_014.006"/> <p>Meph.:<lg><l>Mich däucht' es längst. Ich war ein Tor,</l><lb n="pko_014.007"/><l>Nun komm ich mir recht schal und albern vor.</l></lg></p> </div> <div n="5"> <lb n="pko_014.008"/> <head>5. 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(Mörike) Die Alltagssprache sagt, daß das Feuer <lb n="pko_014.020"/> „frißt“, daß der Himmel „lacht“, daß die Fensterscheiben (oder auch die <lb n="pko_014.021"/> Zwiebeln in der Küche) „schwitzen“; wir sprechen von der lieben <lb n="pko_014.022"/> Frau Sonne, vom Hunger als dem besten Koch, vom Gevatter Tod.</p> <p><lb n="pko_014.023"/> Die Personifikation abstrakter Begriffe wird <hi rendition="#i">Allegorie</hi> (vom griech. <lb n="pko_014.024"/> allegoreín „etwas anderes sagen“) genannt; eine solche gab z. B. Goethe <lb n="pko_014.025"/> mit den „vier grauen Weibern“ (Mangel, Schuld, Sorge, Not) im II. Teil <lb n="pko_014.026"/> des „Faust“. Während in der Allegorie das Bild nur auf eine willkürlich <lb n="pko_014.027"/> gesetzte Bedeutung hinweist, durchdringen im <hi rendition="#i">Symból</hi> (vom griech. <lb n="pko_014.028"/> sýmbolon „Zeichen“), im <hi rendition="#i">Sinnbild</hi> einander Sinn und Bild; hier gewinnt <lb n="pko_014.029"/> ein geistiger Gehalt bildhafte Gestalt. Im weitesten Begriffe wird oder <lb n="pko_014.030"/> soll alle Dichtung — wie überhaupt alle Kunst — symbolisch sein, d. h. <lb n="pko_014.031"/> Geistiges in sinnliche Gestalt umsetzen.</p> </div> </div> <div n="4"> <lb n="pko_014.032"/> <head>B. 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zugrunde. Eine Anwendung der Ironie in hoher Dichtung zeigt das pko_014.002
Gespräch zwischen Mephistopheles und dem Baccalaureus in Goethes pko_014.003
„Faust“ II:
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Bacc.:Gesteht! Was man von je gewußt, pko_014.005
Es ist durchaus nicht wissenswürdig.
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Meph.:Mich däucht' es längst. Ich war ein Tor, pko_014.007
Nun komm ich mir recht schal und albern vor.
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5. Die Personifikation (Vermenschlichung) ist, als Vergeistigung des pko_014.009
Sinnlichen, zunächst nur eine Abart der Metapher; es ist dasjenige Bild, pko_014.010
welches dem menschlichen Gemüt am nächsten liegt und dessen sich pko_014.011
daher schon die Primitiven und die Kinder bedienen; wenn ein Kind pko_014.012
den Tisch, an dem es sich gestoßen, schilt und schlägt, so personifiziert pko_014.013
es das tote Gerät. Alle Mythologie und Religion der Urvölker ging aus pko_014.014
der Personifikation von Naturerscheinungen hervor; sie verleiht seelenlosen pko_014.015
Gegenständen, Umständen und Zuständen ein persönliches Gepräge pko_014.016
und bringt sie dadurch menschlicher Einfühlung näher. Beispiele: „Bedächtig pko_014.017
stieg die Nacht an's Land, / Lehnt träumend an der Berge pko_014.018
Wand, / Ihr Auge sieht die goldne Wage nun / Der Zeit in gleichen pko_014.019
Schalen stille ruhn“. (Mörike) Die Alltagssprache sagt, daß das Feuer pko_014.020
„frißt“, daß der Himmel „lacht“, daß die Fensterscheiben (oder auch die pko_014.021
Zwiebeln in der Küche) „schwitzen“; wir sprechen von der lieben pko_014.022
Frau Sonne, vom Hunger als dem besten Koch, vom Gevatter Tod.
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Die Personifikation abstrakter Begriffe wird Allegorie (vom griech. pko_014.024
allegoreín „etwas anderes sagen“) genannt; eine solche gab z. B. Goethe pko_014.025
mit den „vier grauen Weibern“ (Mangel, Schuld, Sorge, Not) im II. Teil pko_014.026
des „Faust“. Während in der Allegorie das Bild nur auf eine willkürlich pko_014.027
gesetzte Bedeutung hinweist, durchdringen im Symból (vom griech. pko_014.028
sýmbolon „Zeichen“), im Sinnbild einander Sinn und Bild; hier gewinnt pko_014.029
ein geistiger Gehalt bildhafte Gestalt. Im weitesten Begriffe wird oder pko_014.030
soll alle Dichtung — wie überhaupt alle Kunst — symbolisch sein, d. h. pko_014.031
Geistiges in sinnliche Gestalt umsetzen.
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B. FIGUREN.Handelt es sich bei den Tropen um Vertauschung des pko_014.033
nächstliegenden („eigentlichen“) Ausdrucks mit einem verwandten bildlichen, pko_014.034
so bei den Figuren um syntaktische Besonderungen der Rede; sie pko_014.035
erhöhen nicht, gleich den Bildern, die Anschaulichkeit, sie wollen nur pko_014.036
durch veränderte Wort- und Gedankenstellung den Ausdruck lebhafter
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 14. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/18>, abgerufen am 27.07.2024. |