Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_016.001 pko_016.018 3. Emphase (vom griech. emphainein "anschaulich machen"), nachdrücklicher pko_016.019 1) pko_016.031 So wenn Ovid (Metamorphosen VI, 376) das Quaken der Frösche hören lassen pko_016.032 will: Quamvis sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant (was Voß so wiedergibt: pko_016.033 Ob sie die Flut auch bedeckt, auch bedeckt noch schimpfen sie kecklich). 2) pko_016.034 So wenn Ovid (Metamorphosen I, 315) durch Häufung des a-Lauts die Vorstellung pko_016.035 weit gedehnter Fläche hervorrufen will: Pars maris et latus subitarum pko_016.036 campus aquarum (Meerteil und breites Gefild der plötzlich bereiten Gewässer). 3) pko_016.037
Der Kuckuck z. B. ruft weder ein k noch ein u, sondern flötet zwei gleichgeartete pko_016.038 Töne, von denen der erste eine Terz höher liegt als der zweite; erst pko_016.039 die subjektive Klangphantasie des Hörers legt dem Kuckucksruf besondere Laute pko_016.040 der menschlichen Rede (in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger verschiedene) pko_016.041 unter. pko_016.001 pko_016.018 3. Empháse (vom griech. emphaínein „anschaulich machen“), nachdrücklicher pko_016.019 1) pko_016.031 So wenn Ovid (Metamorphosen VI, 376) das Quaken der Frösche hören lassen pko_016.032 will: Quamvis sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant (was Voß so wiedergibt: pko_016.033 Ob sie die Flut auch bedeckt, auch bedeckt noch schimpfen sie kecklich). 2) pko_016.034 So wenn Ovid (Metamorphosen I, 315) durch Häufung des a-Lauts die Vorstellung pko_016.035 weit gedehnter Fläche hervorrufen will: Pars maris et latus subitarum pko_016.036 campus aquarum (Meerteil und breites Gefild der plötzlich bereiten Gewässer). 3) pko_016.037
Der Kuckuck z. B. ruft weder ein k noch ein u, sondern flötet zwei gleichgeartete pko_016.038 Töne, von denen der erste eine Terz höher liegt als der zweite; erst pko_016.039 die subjektive Klangphantasie des Hörers legt dem Kuckucksruf besondere Laute pko_016.040 der menschlichen Rede (in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger verschiedene) pko_016.041 unter. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0020" n="16"/><lb n="pko_016.001"/> der Klang, sofern er Sprache, d. h. in das Gefüge ihrer Konventionen <lb n="pko_016.002"/> eingegliedert ist, von vornherein so innig der Bedeutung verhaftet, daß <lb n="pko_016.003"/> er von ihr überhaupt nicht völlig losgelöst werden kann, aus der bloß <lb n="pko_016.004"/> akustischen in eine höhere Ebene des Vergeistigten aufsteigt. Darum <lb n="pko_016.005"/> ist strenge Scheidung zwischen naturalistischer Schallnachahmung<note xml:id="PKO_016_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_016.031"/> So wenn Ovid (Metamorphosen VI, 376) das Quaken der Frösche hören lassen <lb n="pko_016.032"/> will: Quamvis sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant (was Voß so wiedergibt: <lb n="pko_016.033"/> Ob sie die Flut auch bedeckt, auch bedeckt noch schimpfen sie kecklich).</note> und <lb n="pko_016.006"/> symbolischer Lautbedeutsamkeit<note xml:id="PKO_016_2" place="foot" n="2)"><lb n="pko_016.034"/> So wenn Ovid (Metamorphosen I, 315) durch Häufung des a-Lauts die Vorstellung <lb n="pko_016.035"/> weit gedehnter Fläche hervorrufen will: Pars maris et latus subitarum <lb n="pko_016.036"/> campus aquarum (Meerteil und breites Gefild der plötzlich bereiten Gewässer).</note> gar nicht möglich. Auch besteht nur <lb n="pko_016.007"/> selten oder niemals materielle Identität zwischen dem Gehörseindruck <lb n="pko_016.008"/> und seiner klanglichen Wiedergabe<note xml:id="PKO_016_3" place="foot" n="3)"><lb n="pko_016.037"/> Der Kuckuck z. B. ruft weder ein k noch ein u, sondern flötet zwei gleichgeartete <lb n="pko_016.038"/> Töne, von denen der erste eine Terz höher liegt als der zweite; erst <lb n="pko_016.039"/> die subjektive Klangphantasie des Hörers legt dem Kuckucksruf besondere Laute <lb n="pko_016.040"/> der menschlichen Rede (in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger verschiedene) <lb n="pko_016.041"/> unter.</note>, immer jedoch eine ideelle Entsprechung; <lb n="pko_016.009"/> und solche sekundäre Beziehungstreue (wie sie z. B. auch in <lb n="pko_016.010"/> dem Verhältnis von Musik und Notenschrift, Fieber und Fieberkurve obwaltet), <lb n="pko_016.011"/> scheint erst recht dort auf, wo die Sprache durch ihre Schälle <lb n="pko_016.012"/> Phänomene anderer Sinnesbereiche symbolisiert: in dem Worte <hi rendition="#i">Zickzack</hi> <lb n="pko_016.013"/> etwa ist das klangliche Widerspiel der silbentragenden Selbstlaute <lb n="pko_016.014"/> gleichförmig der gebrochenen Linie des Blitzes, dem torkelnden Gang <lb n="pko_016.015"/> des Betrunkenen, — kann demnach beides veranschaulichen. <anchor xml:id="ko047"/> Alle Lautmalerei <lb n="pko_016.016"/> ist eben akustische Metapher, die sich besonders oft und stark <lb n="pko_016.017"/> Dichtern von hoher sprachmusikalischer Begabung aufdrängt. <anchor xml:id="ko048"/> <note targetEnd="#ko048" type="metapher" ana="#m1-0-1-1" target="#ko047"/> </p> </div> <div n="5"> <lb n="pko_016.018"/> <head>3. <hi rendition="#i">Empháse</hi></head> <p> (vom griech. emphaínein „anschaulich machen“), nachdrücklicher <lb n="pko_016.019"/> Ausdruck. Das aufgewühlte Gemüt des Dichters — wie <lb n="pko_016.020"/> übrigens jedes im Affekt befindlichen Sprechers — begnügt sich nicht <lb n="pko_016.021"/> mit dem schlichten Ausdruck des Gemeinten, sondern gibt diesem Nachdruck <lb n="pko_016.022"/> durch Umsetzung einer bloßen Aussage in die lebhafteren Formen <lb n="pko_016.023"/> der Rede: in Ausruf oder Frage oder erregtes Stammeln. Emphase <lb n="pko_016.024"/> liegt schon vor, wenn ein Wort im prägnanten (d. i. trächtigen) Sinne <lb n="pko_016.025"/> gebraucht, also sein in der Alltagsrede schon verblaßter Ursinn wieder <lb n="pko_016.026"/> aufgefrischt wird; „sei ein Mann!“, zu einem vollerwachsenen Menschen <lb n="pko_016.027"/> gesagt, bedeutet: sei ein <hi rendition="#i">wirklicher</hi> Mann, mit allen den Eigenschaften, <lb n="pko_016.028"/> die den Mann vom Kinde, vom Weibe, vom Greise unterscheiden. Eine <lb n="pko_016.029"/> Rede von stärkster Emphase ist der berühmte Satz Cäsars: „ich kam, <lb n="pko_016.030"/> sah, siegte“. Emphatisch ist jeder Ausruf, in dem sich eine Fülle von </p> </div> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [16/0020]
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der Klang, sofern er Sprache, d. h. in das Gefüge ihrer Konventionen pko_016.002
eingegliedert ist, von vornherein so innig der Bedeutung verhaftet, daß pko_016.003
er von ihr überhaupt nicht völlig losgelöst werden kann, aus der bloß pko_016.004
akustischen in eine höhere Ebene des Vergeistigten aufsteigt. Darum pko_016.005
ist strenge Scheidung zwischen naturalistischer Schallnachahmung 1) und pko_016.006
symbolischer Lautbedeutsamkeit 2) gar nicht möglich. Auch besteht nur pko_016.007
selten oder niemals materielle Identität zwischen dem Gehörseindruck pko_016.008
und seiner klanglichen Wiedergabe 3), immer jedoch eine ideelle Entsprechung; pko_016.009
und solche sekundäre Beziehungstreue (wie sie z. B. auch in pko_016.010
dem Verhältnis von Musik und Notenschrift, Fieber und Fieberkurve obwaltet), pko_016.011
scheint erst recht dort auf, wo die Sprache durch ihre Schälle pko_016.012
Phänomene anderer Sinnesbereiche symbolisiert: in dem Worte Zickzack pko_016.013
etwa ist das klangliche Widerspiel der silbentragenden Selbstlaute pko_016.014
gleichförmig der gebrochenen Linie des Blitzes, dem torkelnden Gang pko_016.015
des Betrunkenen, — kann demnach beides veranschaulichen. Alle Lautmalerei pko_016.016
ist eben akustische Metapher, die sich besonders oft und stark pko_016.017
Dichtern von hoher sprachmusikalischer Begabung aufdrängt.
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3. Empháse (vom griech. emphaínein „anschaulich machen“), nachdrücklicher pko_016.019
Ausdruck. Das aufgewühlte Gemüt des Dichters — wie pko_016.020
übrigens jedes im Affekt befindlichen Sprechers — begnügt sich nicht pko_016.021
mit dem schlichten Ausdruck des Gemeinten, sondern gibt diesem Nachdruck pko_016.022
durch Umsetzung einer bloßen Aussage in die lebhafteren Formen pko_016.023
der Rede: in Ausruf oder Frage oder erregtes Stammeln. Emphase pko_016.024
liegt schon vor, wenn ein Wort im prägnanten (d. i. trächtigen) Sinne pko_016.025
gebraucht, also sein in der Alltagsrede schon verblaßter Ursinn wieder pko_016.026
aufgefrischt wird; „sei ein Mann!“, zu einem vollerwachsenen Menschen pko_016.027
gesagt, bedeutet: sei ein wirklicher Mann, mit allen den Eigenschaften, pko_016.028
die den Mann vom Kinde, vom Weibe, vom Greise unterscheiden. Eine pko_016.029
Rede von stärkster Emphase ist der berühmte Satz Cäsars: „ich kam, pko_016.030
sah, siegte“. Emphatisch ist jeder Ausruf, in dem sich eine Fülle von
1) pko_016.031
So wenn Ovid (Metamorphosen VI, 376) das Quaken der Frösche hören lassen pko_016.032
will: Quamvis sunt sub aqua, sub aqua maledicere temptant (was Voß so wiedergibt: pko_016.033
Ob sie die Flut auch bedeckt, auch bedeckt noch schimpfen sie kecklich).
2) pko_016.034
So wenn Ovid (Metamorphosen I, 315) durch Häufung des a-Lauts die Vorstellung pko_016.035
weit gedehnter Fläche hervorrufen will: Pars maris et latus subitarum pko_016.036
campus aquarum (Meerteil und breites Gefild der plötzlich bereiten Gewässer).
3) pko_016.037
Der Kuckuck z. B. ruft weder ein k noch ein u, sondern flötet zwei gleichgeartete pko_016.038
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die subjektive Klangphantasie des Hörers legt dem Kuckucksruf besondere Laute pko_016.040
der menschlichen Rede (in verschiedenen Sprachen mehr oder weniger verschiedene) pko_016.041
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Zitationshilfe: | Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949, S. 16. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/koerner_poetik_1949/20>, abgerufen am 27.07.2024. |