Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_022.001 pko_022.002 pko_022.007 pko_022.010 pko_022.013 pko_022.027 pko_022.037 A. PROSARHYTHMUS (NUMERUS). Die obigen Beispielsätze pko_022.038 pko_022.001 pko_022.002 pko_022.007 pko_022.010 pko_022.013 pko_022.027 pko_022.037 A. PROSARHYTHMUS (NUMERUS). Die obigen Beispielsätze pko_022.038 <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0026" n="22"/> <p><lb n="pko_022.001"/> Wir stellen nebeneinander drei Satzgebilde:</p> <p><lb n="pko_022.002"/> 1. Der Ménsch / scheint mit níchts / vertraúter zu sein, // als mit <lb n="pko_022.003"/> seinen Hóffnungen / und Wǘnschen, // die er lánge im Hérzen / nä́hrt / <lb n="pko_022.004"/> und bewáhrt; // und dóch, / wénn sie ihm / nun begégnen, // wénn sie <lb n="pko_022.005"/> sich ihm / gleichsam aúfdringen, // erkénnt er sie nicht / und weícht / <lb n="pko_022.006"/> vor ihnen zurück (Goethe: Wilhelm Meister).</p> <p><lb n="pko_022.007"/> 2. Des Herzens Wóge / schäúmte nicht / so schön empór, / und würde <lb n="pko_022.008"/> Geíst, // wenn nicht der álte / stumme Féls, / das Schícksal, // ihr <lb n="pko_022.009"/> entgégen stände (Hölderlin: Hyperion).</p> <p><lb n="pko_022.010"/> 3. Dein guter Náme / lag in diesem Tópfe, // und vor der Wélt / <lb n="pko_022.011"/> mit íhm / ward er zerstóßen, // wenn auch vor Gótt nicht, / und vor <lb n="pko_022.012"/> mír / und dír (Kleist: Der zerbrochene Krug).</p> <p><lb n="pko_022.013"/> Diese Sätze bestehen aus Silben, von denen einige sich durch Stärketon <lb n="pko_022.014"/> vor den minder betonten auszeichnen; bei lautem Vortrag ordnen <lb n="pko_022.015"/> sich die Silben zu Atemgruppen (sog. Kola). Jedes <hi rendition="#i">Kólon</hi> (griech. „Glied, <lb n="pko_022.016"/> Abschnitt“) hat eine Silbe, die mit höchstem Nachdruck gesprochen <lb n="pko_022.017"/> wird, den Silbengipfel (er ist oben mit Akut bezeichnet), an den sich <lb n="pko_022.018"/> die übrigen Silben der jeweiligen Atemgruppe vorgeneigt (proklitisch) <lb n="pko_022.019"/> oder rückgeneigt (enklitisch) anlehnen. Prüft man innerhalb der Kola <lb n="pko_022.020"/> das Verhältnis der betonten und unbetonten Silben, so ergibt sich in <lb n="pko_022.021"/> der ersten Probe eine nach Zahl und Stellung ganz unregelmäßige Folge <lb n="pko_022.022"/> von Stark- und Schwachtönen, während diese in den Beispielsätzen 2 <lb n="pko_022.023"/> und 3 mit ausnahmsloser Regelmäßigkeit alternieren; in der Tat spürt <lb n="pko_022.024"/> man bei lautem Lesen deutlich, daß 2 und 3 stärkeren und ebeneren <lb n="pko_022.025"/> Rhythmus haben als 1. Aber 1 wie 2 sind Stellen aus Prosawerken, aus <lb n="pko_022.026"/> Romanen, während 3 einem Versdrama entnommen wurde.</p> <p><lb n="pko_022.027"/> Vergleichen wir nun 2 und 3 miteinander, indem wir das Augenmerk <lb n="pko_022.028"/> auf die Pausen (oben bezeichnet durch //) richten, vermittelst <lb n="pko_022.029"/> welcher bei lautem Vortrag die Kola zu größeren Reihen zusammengenommen <lb n="pko_022.030"/> und diese von einander geschieden werden, so finden wir, <lb n="pko_022.031"/> daß in 3 die Zahl der von Pause zu Pause reichenden Starktöne immer <lb n="pko_022.032"/> gleich, nämlich auf 5 festgelegt ist, während sie in 2 unregelmäßig <lb n="pko_022.033"/> bleibt. Die drei Beispielsätze führten uns drei Möglichkeiten (mehr gibt <lb n="pko_022.034"/> es nicht) deutscher Schallform vor: unrhythmische, der kunstlosen <lb n="pko_022.035"/> Zwecksprache ganz nahe Prosa; rhythmische Prosa; metrisch gebundenen <lb n="pko_022.036"/> Rhythmus (Vers).</p> <div n="4"> <lb n="pko_022.037"/> <head>A. PROSARHYTHMUS (NUMERUS).</head> <p> Die obigen Beispielsätze <lb n="pko_022.038"/> haben gezeigt, daß der Vers zwischen je zwei Pausen etwas Strenggemessenes </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [22/0026]
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Wir stellen nebeneinander drei Satzgebilde:
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1. Der Ménsch / scheint mit níchts / vertraúter zu sein, // als mit pko_022.003
seinen Hóffnungen / und Wǘnschen, // die er lánge im Hérzen / nä́hrt / pko_022.004
und bewáhrt; // und dóch, / wénn sie ihm / nun begégnen, // wénn sie pko_022.005
sich ihm / gleichsam aúfdringen, // erkénnt er sie nicht / und weícht / pko_022.006
vor ihnen zurück (Goethe: Wilhelm Meister).
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2. Des Herzens Wóge / schäúmte nicht / so schön empór, / und würde pko_022.008
Geíst, // wenn nicht der álte / stumme Féls, / das Schícksal, // ihr pko_022.009
entgégen stände (Hölderlin: Hyperion).
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3. Dein guter Náme / lag in diesem Tópfe, // und vor der Wélt / pko_022.011
mit íhm / ward er zerstóßen, // wenn auch vor Gótt nicht, / und vor pko_022.012
mír / und dír (Kleist: Der zerbrochene Krug).
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Diese Sätze bestehen aus Silben, von denen einige sich durch Stärketon pko_022.014
vor den minder betonten auszeichnen; bei lautem Vortrag ordnen pko_022.015
sich die Silben zu Atemgruppen (sog. Kola). Jedes Kólon (griech. „Glied, pko_022.016
Abschnitt“) hat eine Silbe, die mit höchstem Nachdruck gesprochen pko_022.017
wird, den Silbengipfel (er ist oben mit Akut bezeichnet), an den sich pko_022.018
die übrigen Silben der jeweiligen Atemgruppe vorgeneigt (proklitisch) pko_022.019
oder rückgeneigt (enklitisch) anlehnen. Prüft man innerhalb der Kola pko_022.020
das Verhältnis der betonten und unbetonten Silben, so ergibt sich in pko_022.021
der ersten Probe eine nach Zahl und Stellung ganz unregelmäßige Folge pko_022.022
von Stark- und Schwachtönen, während diese in den Beispielsätzen 2 pko_022.023
und 3 mit ausnahmsloser Regelmäßigkeit alternieren; in der Tat spürt pko_022.024
man bei lautem Lesen deutlich, daß 2 und 3 stärkeren und ebeneren pko_022.025
Rhythmus haben als 1. Aber 1 wie 2 sind Stellen aus Prosawerken, aus pko_022.026
Romanen, während 3 einem Versdrama entnommen wurde.
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Vergleichen wir nun 2 und 3 miteinander, indem wir das Augenmerk pko_022.028
auf die Pausen (oben bezeichnet durch //) richten, vermittelst pko_022.029
welcher bei lautem Vortrag die Kola zu größeren Reihen zusammengenommen pko_022.030
und diese von einander geschieden werden, so finden wir, pko_022.031
daß in 3 die Zahl der von Pause zu Pause reichenden Starktöne immer pko_022.032
gleich, nämlich auf 5 festgelegt ist, während sie in 2 unregelmäßig pko_022.033
bleibt. Die drei Beispielsätze führten uns drei Möglichkeiten (mehr gibt pko_022.034
es nicht) deutscher Schallform vor: unrhythmische, der kunstlosen pko_022.035
Zwecksprache ganz nahe Prosa; rhythmische Prosa; metrisch gebundenen pko_022.036
Rhythmus (Vers).
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A. PROSARHYTHMUS (NUMERUS). Die obigen Beispielsätze pko_022.038
haben gezeigt, daß der Vers zwischen je zwei Pausen etwas Strenggemessenes
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