Körner, Josef: Einführung in die Poetik. Frankfurt (Main), 1949.pko_041.001 pko_041.007 B. Epik. pko_041.008 1) pko_041.034 Es ist kein bloßer Zufall, daß viele bedeutende Epiker sich auch als Maler betätigt pko_041.035 haben: Goethe, E. T. A. Hoffmann, G. Keller, Herm. Hesse. 2) pko_041.036
Vgl. Goethe (Jub.-Ausg. XXXIII, S. 20): "So lassen Kleider und Hausrat eines pko_041.037 Mannes sicher auf dessen Charakter schließen." pko_041.001 pko_041.007 B. Epik. pko_041.008 1) pko_041.034 Es ist kein bloßer Zufall, daß viele bedeutende Epiker sich auch als Maler betätigt pko_041.035 haben: Goethe, E. T. A. Hoffmann, G. Keller, Herm. Hesse. 2) pko_041.036
Vgl. Goethe (Jub.-Ausg. XXXIII, S. 20): „So lassen Kleider und Hausrat eines pko_041.037 Mannes sicher auf dessen Charakter schließen.“ <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <div n="5"> <p><pb facs="#f0045" n="41"/><lb n="pko_041.001"/> Gemeinschaftsgefühle (vor allem religiöse und nationale) und abstrakte <lb n="pko_041.002"/> Gedanken vorträgt (Klopstock, Goethe, Hölderlin, Novalis' „Hymnen <lb n="pko_041.003"/> an die Nacht“, Platen, Nietzsche, Rudolf Alexander Schröder, Däubler); <lb n="pko_041.004"/> zur <hi rendition="#i">Elegie</hi> (griech. „Klagelied“), wenn sie gedachtem und ersehntem <lb n="pko_041.005"/> ideellem Zustand einen beklagenswerten wirklichen entgegenstellt <lb n="pko_041.006"/> (Klopstock, Goethe, Schiller, Hölderlin, Mörike).</p> </div> </div> <div n="4"> <head> <hi rendition="#c"><lb n="pko_041.007"/> B. <hi rendition="#g">Epik.</hi></hi> </head> <p><lb n="pko_041.008"/> Das griechische Wort, mit dem wir jegliche Erkenntnislehre bezeichnen, <lb n="pko_041.009"/> <hi rendition="#g">Theorie</hi> (lat. speculatio) bedeutet ursprünglich „Anschauung“. <lb n="pko_041.010"/> In der Tat erkennt der Mensch vor allem mit Hilfe des Gesichts, des, bis <lb n="pko_041.011"/> zur Vernachlässigung anderer, von allen Sinnen bei ihm am besten ausgebildeten; <lb n="pko_041.012"/> Erkenntnis ist <hi rendition="#i">Schau,</hi> Schau des körperlichen wie des geistigen <lb n="pko_041.013"/> Auges. Solches erkennende Wahrnehmen ist Haltung und Leistung <lb n="pko_041.014"/> des Epikers; sein Welterleben ist nicht die jähe Gefühlswallung des <lb n="pko_041.015"/> Lyrikers, sondern ruhevolle, besonnene, kühlen Abstand wahrende <lb n="pko_041.016"/> Seinsschau<note xml:id="PKO_041_1" place="foot" n="1)"><lb n="pko_041.034"/> Es ist kein bloßer Zufall, daß viele bedeutende Epiker sich auch als Maler betätigt <lb n="pko_041.035"/> haben: Goethe, E. T. A. Hoffmann, G. Keller, Herm. Hesse.</note>; sein weitreichender Blick umgreift das gesamte Weltgefüge, <lb n="pko_041.017"/> schweift über die Menschen, die Erde hinaus zu den Göttern <lb n="pko_041.018"/> und Gestirnen. So entrollt etwa Homer ein Bild des ganzen griechischen <lb n="pko_041.019"/> Lebens, seiner materiellen wie ideellen Kultur, seines mythischen Glaubens. <lb n="pko_041.020"/> Tolstoi bannt in seine Romane ein ganzes riesiges Volk mit allen <lb n="pko_041.021"/> seinen Ständen, vom Monarchen bis zum letzten Dienstboten. Wählt <lb n="pko_041.022"/> der Epiker aber einen engeren Darstellungskreis, dann wandelt sich die <lb n="pko_041.023"/> extensive Totalität zur intensiven, und er ist unerschöpflich in Einzelzügen; <lb n="pko_041.024"/> relativ winzige Ereignisse und Zustände werden bei Stifter, <lb n="pko_041.025"/> G. Keller, Th. Mann, H. Stehr in möglichst lückenloser Ausführlichkeit <lb n="pko_041.026"/> geschildert. Auf das sinnliche Schauen ausgerichtet, macht der Epiker <lb n="pko_041.027"/> auch das Innere seiner Gestalten, ihre Gedanken, Gefühle und Bestrebungen <lb n="pko_041.028"/> möglichst anschaulich, versinnlicht Gemütslagen durch Vorführung <lb n="pko_041.029"/> des bezeichnenden Mienen- und Gebärdenspiels (Nibelungenlied, <lb n="pko_041.030"/> H. v. Kleist, C. F. Meyer), läßt die sittlichen Wesenheiten in ihrer <lb n="pko_041.031"/> körperlichen Erscheinung sich ausprägen (Dickens, Raabe), spiegelt in <lb n="pko_041.032"/> Kleidung, Wohnung und Hausrat<note xml:id="PKO_041_2" place="foot" n="2)"><lb n="pko_041.036"/> Vgl. Goethe (Jub.-Ausg. XXXIII, S. 20): „So lassen Kleider und Hausrat eines <lb n="pko_041.037"/> Mannes sicher auf dessen Charakter schließen.“</note> menschliche Seelen (Scott, Balzac); <lb n="pko_041.033"/> G. Keller z. B. könnte durch die umständlichste direkte Charakterschilderung </p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [41/0045]
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Gemeinschaftsgefühle (vor allem religiöse und nationale) und abstrakte pko_041.002
Gedanken vorträgt (Klopstock, Goethe, Hölderlin, Novalis' „Hymnen pko_041.003
an die Nacht“, Platen, Nietzsche, Rudolf Alexander Schröder, Däubler); pko_041.004
zur Elegie (griech. „Klagelied“), wenn sie gedachtem und ersehntem pko_041.005
ideellem Zustand einen beklagenswerten wirklichen entgegenstellt pko_041.006
(Klopstock, Goethe, Schiller, Hölderlin, Mörike).
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B. Epik. pko_041.008
Das griechische Wort, mit dem wir jegliche Erkenntnislehre bezeichnen, pko_041.009
Theorie (lat. speculatio) bedeutet ursprünglich „Anschauung“. pko_041.010
In der Tat erkennt der Mensch vor allem mit Hilfe des Gesichts, des, bis pko_041.011
zur Vernachlässigung anderer, von allen Sinnen bei ihm am besten ausgebildeten; pko_041.012
Erkenntnis ist Schau, Schau des körperlichen wie des geistigen pko_041.013
Auges. Solches erkennende Wahrnehmen ist Haltung und Leistung pko_041.014
des Epikers; sein Welterleben ist nicht die jähe Gefühlswallung des pko_041.015
Lyrikers, sondern ruhevolle, besonnene, kühlen Abstand wahrende pko_041.016
Seinsschau 1); sein weitreichender Blick umgreift das gesamte Weltgefüge, pko_041.017
schweift über die Menschen, die Erde hinaus zu den Göttern pko_041.018
und Gestirnen. So entrollt etwa Homer ein Bild des ganzen griechischen pko_041.019
Lebens, seiner materiellen wie ideellen Kultur, seines mythischen Glaubens. pko_041.020
Tolstoi bannt in seine Romane ein ganzes riesiges Volk mit allen pko_041.021
seinen Ständen, vom Monarchen bis zum letzten Dienstboten. Wählt pko_041.022
der Epiker aber einen engeren Darstellungskreis, dann wandelt sich die pko_041.023
extensive Totalität zur intensiven, und er ist unerschöpflich in Einzelzügen; pko_041.024
relativ winzige Ereignisse und Zustände werden bei Stifter, pko_041.025
G. Keller, Th. Mann, H. Stehr in möglichst lückenloser Ausführlichkeit pko_041.026
geschildert. Auf das sinnliche Schauen ausgerichtet, macht der Epiker pko_041.027
auch das Innere seiner Gestalten, ihre Gedanken, Gefühle und Bestrebungen pko_041.028
möglichst anschaulich, versinnlicht Gemütslagen durch Vorführung pko_041.029
des bezeichnenden Mienen- und Gebärdenspiels (Nibelungenlied, pko_041.030
H. v. Kleist, C. F. Meyer), läßt die sittlichen Wesenheiten in ihrer pko_041.031
körperlichen Erscheinung sich ausprägen (Dickens, Raabe), spiegelt in pko_041.032
Kleidung, Wohnung und Hausrat 2) menschliche Seelen (Scott, Balzac); pko_041.033
G. Keller z. B. könnte durch die umständlichste direkte Charakterschilderung
1) pko_041.034
Es ist kein bloßer Zufall, daß viele bedeutende Epiker sich auch als Maler betätigt pko_041.035
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2) pko_041.036
Vgl. Goethe (Jub.-Ausg. XXXIII, S. 20): „So lassen Kleider und Hausrat eines pko_041.037
Mannes sicher auf dessen Charakter schließen.“
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