Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.und vielleicht wird die Hölle doch nicht so brennen, wenn ich weiß, daß eine Madlena für mich auf Erden betet -- -- Unerkannt trennte sich Josseph, als sie das Dorf erreicht hatten, von dem Schwiegervater seiner Schwester. Auf dessen Anfrage, ob er kommen werde, sich die Wolle anschauen, antwortete Josseph zerstreut. Es war ein verlorener Tag; er that die Geschäfte ab, als ob er noch ein Junge wäre, den man zum ersten Male ins Dorf schickt. Zu Waczlaw Smetana ging er nicht. Er fürchtete sich vor dem alten Bauer! 9. Auch eine Abrechnung. Sabbat war wieder gekommen, der Tag des Herrn. Diesmal ging Josseph nicht in die benachbarte Gemeinde zur Synagoge, wie er sonst pflegte; den weißen Talis um den Leib geworfen, das Gebetbuch vor sich, verrichtete er seine häusliche Andacht. Seine Mutter fragte ihn zwar, warum er diesmal den Schulgang unterlasse, aber er gab nur nichtige Ausflüchte. Drauf ward sie besorgt und meinte tiefbekümmert: man glaubte stets, selbst sei man krank, wie es kein Mensch mehr auf Erden ist, immer finde man aber Einen, der noch kränker wäre. Sie fürchte sehr, daß es ihm wo fehle: schlecht genug sehe er ohnehin aus. und vielleicht wird die Hölle doch nicht so brennen, wenn ich weiß, daß eine Madlena für mich auf Erden betet — — Unerkannt trennte sich Josseph, als sie das Dorf erreicht hatten, von dem Schwiegervater seiner Schwester. Auf dessen Anfrage, ob er kommen werde, sich die Wolle anschauen, antwortete Josseph zerstreut. Es war ein verlorener Tag; er that die Geschäfte ab, als ob er noch ein Junge wäre, den man zum ersten Male ins Dorf schickt. Zu Waczlaw Smetana ging er nicht. Er fürchtete sich vor dem alten Bauer! 9. Auch eine Abrechnung. Sabbat war wieder gekommen, der Tag des Herrn. Diesmal ging Josseph nicht in die benachbarte Gemeinde zur Synagoge, wie er sonst pflegte; den weißen Talis um den Leib geworfen, das Gebetbuch vor sich, verrichtete er seine häusliche Andacht. Seine Mutter fragte ihn zwar, warum er diesmal den Schulgang unterlasse, aber er gab nur nichtige Ausflüchte. Drauf ward sie besorgt und meinte tiefbekümmert: man glaubte stets, selbst sei man krank, wie es kein Mensch mehr auf Erden ist, immer finde man aber Einen, der noch kränker wäre. Sie fürchte sehr, daß es ihm wo fehle: schlecht genug sehe er ohnehin aus. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="8"> <p><pb facs="#f0126"/> und vielleicht wird die Hölle doch nicht so brennen, wenn ich weiß, daß eine Madlena für mich auf Erden betet — —</p><lb/> <p>Unerkannt trennte sich Josseph, als sie das Dorf erreicht hatten, von dem Schwiegervater seiner Schwester. Auf dessen Anfrage, ob er kommen werde, sich die Wolle anschauen, antwortete Josseph zerstreut. Es war ein verlorener Tag; er that die Geschäfte ab, als ob er noch ein Junge wäre, den man zum ersten Male ins Dorf schickt. Zu Waczlaw Smetana ging er nicht.</p><lb/> <p>Er fürchtete sich vor dem alten Bauer!</p><lb/> </div> <div type="chapter" n="9"> <head>9. Auch eine Abrechnung.</head> <p>Sabbat war wieder gekommen, der Tag des Herrn. Diesmal ging Josseph nicht in die benachbarte Gemeinde zur Synagoge, wie er sonst pflegte; den weißen Talis um den Leib geworfen, das Gebetbuch vor sich, verrichtete er seine häusliche Andacht. Seine Mutter fragte ihn zwar, warum er diesmal den Schulgang unterlasse, aber er gab nur nichtige Ausflüchte. Drauf ward sie besorgt und meinte tiefbekümmert: man glaubte stets, selbst sei man krank, wie es kein Mensch mehr auf Erden ist, immer finde man aber Einen, der noch kränker wäre. Sie fürchte sehr, daß es ihm wo fehle: schlecht genug sehe er ohnehin aus.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0126]
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Unerkannt trennte sich Josseph, als sie das Dorf erreicht hatten, von dem Schwiegervater seiner Schwester. Auf dessen Anfrage, ob er kommen werde, sich die Wolle anschauen, antwortete Josseph zerstreut. Es war ein verlorener Tag; er that die Geschäfte ab, als ob er noch ein Junge wäre, den man zum ersten Male ins Dorf schickt. Zu Waczlaw Smetana ging er nicht.
Er fürchtete sich vor dem alten Bauer!
9. Auch eine Abrechnung. Sabbat war wieder gekommen, der Tag des Herrn. Diesmal ging Josseph nicht in die benachbarte Gemeinde zur Synagoge, wie er sonst pflegte; den weißen Talis um den Leib geworfen, das Gebetbuch vor sich, verrichtete er seine häusliche Andacht. Seine Mutter fragte ihn zwar, warum er diesmal den Schulgang unterlasse, aber er gab nur nichtige Ausflüchte. Drauf ward sie besorgt und meinte tiefbekümmert: man glaubte stets, selbst sei man krank, wie es kein Mensch mehr auf Erden ist, immer finde man aber Einen, der noch kränker wäre. Sie fürchte sehr, daß es ihm wo fehle: schlecht genug sehe er ohnehin aus.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/126>, abgerufen am 18.07.2024. |