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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Parzik trat der Kapelle näher. Er zeigte mit dem Finger nach dem bleichen, nur matt beleuchteten Antlitz des böhmischen Märtyrers. Er wollte sprechen, aber ein gewaltiger Krampf schien ihm die Kehle zusammenzuschnüren. Nur mühsam entrang sich ihm ein Laut.

Sieh, sagte er mit gedämpftem Tone, den sie da mit Blumen und Laub und Bändern geschmückt haben, das ist auch Einer von denen gewesen, den die Pfaffen dem Volke beschert haben. Es ist aber kein wahres Wort daran, daß sie ihn einmal von der Brücke in die Moldau geworfen haben. Das haben die Pfaffen selbst erfunden, und Einer hat's nachgeschrieben, und Millionen Menschen haben ihnen das geglaubt.

Ein Heiliger! rief Josseph entsetzt, wie sprecht Ihr doch, Parzik?

Was Heiliger! schrie der Bauer; es giebt keine Heiligen. Meinst du, wenn sie ihn auch wirklich in die Moldau geworfen haben, so sind dann die fünf Sterne um seinen Kopf erschienen? Du Narr, du abergläubischer Narr! Oder man hat die Zunge gefunden, und es ist Blut herausgeflossen? Du abermals Narr und Abergläubischer! Das Alles haben die Pfaffen erfunden, und das Volk hat's ihnen geglaubt. Die Pfaffen haben Einen gebraucht, daß sie dem Volke einreden könnten: ihr müßt eure Sündenschuld Tag für Tag im Beichtstuhl abthun, sonst könnt' ihr nicht selig werden, und da haben sie nun, um zu

Parzik trat der Kapelle näher. Er zeigte mit dem Finger nach dem bleichen, nur matt beleuchteten Antlitz des böhmischen Märtyrers. Er wollte sprechen, aber ein gewaltiger Krampf schien ihm die Kehle zusammenzuschnüren. Nur mühsam entrang sich ihm ein Laut.

Sieh, sagte er mit gedämpftem Tone, den sie da mit Blumen und Laub und Bändern geschmückt haben, das ist auch Einer von denen gewesen, den die Pfaffen dem Volke beschert haben. Es ist aber kein wahres Wort daran, daß sie ihn einmal von der Brücke in die Moldau geworfen haben. Das haben die Pfaffen selbst erfunden, und Einer hat's nachgeschrieben, und Millionen Menschen haben ihnen das geglaubt.

Ein Heiliger! rief Josseph entsetzt, wie sprecht Ihr doch, Parzik?

Was Heiliger! schrie der Bauer; es giebt keine Heiligen. Meinst du, wenn sie ihn auch wirklich in die Moldau geworfen haben, so sind dann die fünf Sterne um seinen Kopf erschienen? Du Narr, du abergläubischer Narr! Oder man hat die Zunge gefunden, und es ist Blut herausgeflossen? Du abermals Narr und Abergläubischer! Das Alles haben die Pfaffen erfunden, und das Volk hat's ihnen geglaubt. Die Pfaffen haben Einen gebraucht, daß sie dem Volke einreden könnten: ihr müßt eure Sündenschuld Tag für Tag im Beichtstuhl abthun, sonst könnt' ihr nicht selig werden, und da haben sie nun, um zu

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[0148] Parzik trat der Kapelle näher. Er zeigte mit dem Finger nach dem bleichen, nur matt beleuchteten Antlitz des böhmischen Märtyrers. Er wollte sprechen, aber ein gewaltiger Krampf schien ihm die Kehle zusammenzuschnüren. Nur mühsam entrang sich ihm ein Laut. Sieh, sagte er mit gedämpftem Tone, den sie da mit Blumen und Laub und Bändern geschmückt haben, das ist auch Einer von denen gewesen, den die Pfaffen dem Volke beschert haben. Es ist aber kein wahres Wort daran, daß sie ihn einmal von der Brücke in die Moldau geworfen haben. Das haben die Pfaffen selbst erfunden, und Einer hat's nachgeschrieben, und Millionen Menschen haben ihnen das geglaubt. Ein Heiliger! rief Josseph entsetzt, wie sprecht Ihr doch, Parzik? Was Heiliger! schrie der Bauer; es giebt keine Heiligen. Meinst du, wenn sie ihn auch wirklich in die Moldau geworfen haben, so sind dann die fünf Sterne um seinen Kopf erschienen? Du Narr, du abergläubischer Narr! Oder man hat die Zunge gefunden, und es ist Blut herausgeflossen? Du abermals Narr und Abergläubischer! Das Alles haben die Pfaffen erfunden, und das Volk hat's ihnen geglaubt. Die Pfaffen haben Einen gebraucht, daß sie dem Volke einreden könnten: ihr müßt eure Sündenschuld Tag für Tag im Beichtstuhl abthun, sonst könnt' ihr nicht selig werden, und da haben sie nun, um zu

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/148>, abgerufen am 27.11.2024.