Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.11. Ein Blütenkelch geht auf. Als der Bauer seine Tochter erkannt hatte, war sein gewaltiges Wesen tief erschüttert worden. Beide Hände vor das Gesicht gestemmt, sah er fast aus, als schäme er sich, der wilde Stepan Parzik, vor seiner Tochter! Ohne mehr zu fragen, wie Anezka so urplötzlich herkomme, was sie hergebracht, ging er fort. Er schlug den Weg nach dem Dorfe ein; auf der Brücke schallten noch seine Schritte eine Weile fort, bis Alles, was an das Dasein des Bauern gemahnte, in der Stille der Nacht verschwand. Zu Josseph's Füßen weinte noch immer die hingesunkene Anezka. Was um ihn her vorgegangen war, dünkte ihn selbst so wunderbar, daß er nicht zu Worte kommen konnte. Jetzt erst, nachdem Parzik den Schauplatz dieses Ereignisses verlassen, sanken ihm die bis dahin so gewaltig aufgeregten Kräfte seines Körpers, die Hände waren ihm schlaff geworden, es war ihm fast, als seien sie ihm vom Rumpf abgehauen. Dunkel schwamm es vor seinen Augen. Um nicht vor Ermattung umzusinken, mußte er sich an eine der Säulen lehnen, die die Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk trugen. Er fühlte sich zum Sterben matt. So erbarmenswerth die Lage des Mädchens war, 11. Ein Blütenkelch geht auf. Als der Bauer seine Tochter erkannt hatte, war sein gewaltiges Wesen tief erschüttert worden. Beide Hände vor das Gesicht gestemmt, sah er fast aus, als schäme er sich, der wilde Stepan Parzik, vor seiner Tochter! Ohne mehr zu fragen, wie Anezka so urplötzlich herkomme, was sie hergebracht, ging er fort. Er schlug den Weg nach dem Dorfe ein; auf der Brücke schallten noch seine Schritte eine Weile fort, bis Alles, was an das Dasein des Bauern gemahnte, in der Stille der Nacht verschwand. Zu Josseph's Füßen weinte noch immer die hingesunkene Anezka. Was um ihn her vorgegangen war, dünkte ihn selbst so wunderbar, daß er nicht zu Worte kommen konnte. Jetzt erst, nachdem Parzik den Schauplatz dieses Ereignisses verlassen, sanken ihm die bis dahin so gewaltig aufgeregten Kräfte seines Körpers, die Hände waren ihm schlaff geworden, es war ihm fast, als seien sie ihm vom Rumpf abgehauen. Dunkel schwamm es vor seinen Augen. Um nicht vor Ermattung umzusinken, mußte er sich an eine der Säulen lehnen, die die Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk trugen. Er fühlte sich zum Sterben matt. So erbarmenswerth die Lage des Mädchens war, <TEI> <text> <body> <pb facs="#f0153"/> <div type="chapter" n="11"> <head>11. Ein Blütenkelch geht auf.</head> <p>Als der Bauer seine Tochter erkannt hatte, war sein gewaltiges Wesen tief erschüttert worden. Beide Hände vor das Gesicht gestemmt, sah er fast aus, als schäme er sich, der wilde Stepan Parzik, vor seiner Tochter! Ohne mehr zu fragen, wie Anezka so urplötzlich herkomme, was sie hergebracht, ging er fort. Er schlug den Weg nach dem Dorfe ein; auf der Brücke schallten noch seine Schritte eine Weile fort, bis Alles, was an das Dasein des Bauern gemahnte, in der Stille der Nacht verschwand.</p><lb/> <p>Zu Josseph's Füßen weinte noch immer die hingesunkene Anezka.</p><lb/> <p>Was um ihn her vorgegangen war, dünkte ihn selbst so wunderbar, daß er nicht zu Worte kommen konnte. Jetzt erst, nachdem Parzik den Schauplatz dieses Ereignisses verlassen, sanken ihm die bis dahin so gewaltig aufgeregten Kräfte seines Körpers, die Hände waren ihm schlaff geworden, es war ihm fast, als seien sie ihm vom Rumpf abgehauen. Dunkel schwamm es vor seinen Augen.</p><lb/> <p>Um nicht vor Ermattung umzusinken, mußte er sich an eine der Säulen lehnen, die die Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk trugen. Er fühlte sich zum Sterben matt.</p><lb/> <p>So erbarmenswerth die Lage des Mädchens war,<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0153]
11. Ein Blütenkelch geht auf. Als der Bauer seine Tochter erkannt hatte, war sein gewaltiges Wesen tief erschüttert worden. Beide Hände vor das Gesicht gestemmt, sah er fast aus, als schäme er sich, der wilde Stepan Parzik, vor seiner Tochter! Ohne mehr zu fragen, wie Anezka so urplötzlich herkomme, was sie hergebracht, ging er fort. Er schlug den Weg nach dem Dorfe ein; auf der Brücke schallten noch seine Schritte eine Weile fort, bis Alles, was an das Dasein des Bauern gemahnte, in der Stille der Nacht verschwand.
Zu Josseph's Füßen weinte noch immer die hingesunkene Anezka.
Was um ihn her vorgegangen war, dünkte ihn selbst so wunderbar, daß er nicht zu Worte kommen konnte. Jetzt erst, nachdem Parzik den Schauplatz dieses Ereignisses verlassen, sanken ihm die bis dahin so gewaltig aufgeregten Kräfte seines Körpers, die Hände waren ihm schlaff geworden, es war ihm fast, als seien sie ihm vom Rumpf abgehauen. Dunkel schwamm es vor seinen Augen.
Um nicht vor Ermattung umzusinken, mußte er sich an eine der Säulen lehnen, die die Kapelle des heiligen Johann von Nepomuk trugen. Er fühlte sich zum Sterben matt.
So erbarmenswerth die Lage des Mädchens war,
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