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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Gottesnamens bekreuzte, übersah Josseph in diesem Augenblicke; seine Augen brannten noch immer auf der vor ihm im Dunkel der Nacht knieenden Gestalt; seine Lebensgeister standen alle auf der Lauer.

Anezka, sagte er leise, fast mit Scham, ich habe das Geschriebene damals nicht verstanden.

Ich auch nicht. Mir hat's erst der Pfarrer erklären müssen, versetzte die Magd, dann hab' ich's auch geschrieben.

Sag mir's! rief Josseph bebend.

Nur die Nacht konnte so dichte Schleier um ein Menschenantlitz weben, daß nicht sichtbar ward, wie es vor innerer Aufregung zuckte, und dann wieder so stumpf wurde, als wäre es von Starrkrampf befallen.

Wie sie den Herrn und Heiland, hat mir der Pfarrer gesagt, zum Sterben hinausgeführt haben, da hat er sein eigenes schweres Kreuz mit sich selbst auf dem Rücken schleppen müssen. Da könnt' Ihr Euch leicht denken, was das für eine Last haben muß, wenn darauf ein Mensch hat zu Tode gekreuzigt werden sollen! Er aber war schwach, denn sie hatten ihn so gepeinigt, daß ihm keine Kraft mehr geblieben war. Jeden Augenblick ist er auf dem langen Weg zusammengesunken, und das Blut ist mit dem Schweiß über seine Stirne geflossen, denn auch eine Dornenkrone hat er angehabt. Am Hause eines Schusters, da hat der Herr und Heiland nicht einen Schritt mehr weiter machen können; er ist umgesunken wie Einer, der vor

Gottesnamens bekreuzte, übersah Josseph in diesem Augenblicke; seine Augen brannten noch immer auf der vor ihm im Dunkel der Nacht knieenden Gestalt; seine Lebensgeister standen alle auf der Lauer.

Anezka, sagte er leise, fast mit Scham, ich habe das Geschriebene damals nicht verstanden.

Ich auch nicht. Mir hat's erst der Pfarrer erklären müssen, versetzte die Magd, dann hab' ich's auch geschrieben.

Sag mir's! rief Josseph bebend.

Nur die Nacht konnte so dichte Schleier um ein Menschenantlitz weben, daß nicht sichtbar ward, wie es vor innerer Aufregung zuckte, und dann wieder so stumpf wurde, als wäre es von Starrkrampf befallen.

Wie sie den Herrn und Heiland, hat mir der Pfarrer gesagt, zum Sterben hinausgeführt haben, da hat er sein eigenes schweres Kreuz mit sich selbst auf dem Rücken schleppen müssen. Da könnt' Ihr Euch leicht denken, was das für eine Last haben muß, wenn darauf ein Mensch hat zu Tode gekreuzigt werden sollen! Er aber war schwach, denn sie hatten ihn so gepeinigt, daß ihm keine Kraft mehr geblieben war. Jeden Augenblick ist er auf dem langen Weg zusammengesunken, und das Blut ist mit dem Schweiß über seine Stirne geflossen, denn auch eine Dornenkrone hat er angehabt. Am Hause eines Schusters, da hat der Herr und Heiland nicht einen Schritt mehr weiter machen können; er ist umgesunken wie Einer, der vor

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[0160] Gottesnamens bekreuzte, übersah Josseph in diesem Augenblicke; seine Augen brannten noch immer auf der vor ihm im Dunkel der Nacht knieenden Gestalt; seine Lebensgeister standen alle auf der Lauer. Anezka, sagte er leise, fast mit Scham, ich habe das Geschriebene damals nicht verstanden. Ich auch nicht. Mir hat's erst der Pfarrer erklären müssen, versetzte die Magd, dann hab' ich's auch geschrieben. Sag mir's! rief Josseph bebend. Nur die Nacht konnte so dichte Schleier um ein Menschenantlitz weben, daß nicht sichtbar ward, wie es vor innerer Aufregung zuckte, und dann wieder so stumpf wurde, als wäre es von Starrkrampf befallen. Wie sie den Herrn und Heiland, hat mir der Pfarrer gesagt, zum Sterben hinausgeführt haben, da hat er sein eigenes schweres Kreuz mit sich selbst auf dem Rücken schleppen müssen. Da könnt' Ihr Euch leicht denken, was das für eine Last haben muß, wenn darauf ein Mensch hat zu Tode gekreuzigt werden sollen! Er aber war schwach, denn sie hatten ihn so gepeinigt, daß ihm keine Kraft mehr geblieben war. Jeden Augenblick ist er auf dem langen Weg zusammengesunken, und das Blut ist mit dem Schweiß über seine Stirne geflossen, denn auch eine Dornenkrone hat er angehabt. Am Hause eines Schusters, da hat der Herr und Heiland nicht einen Schritt mehr weiter machen können; er ist umgesunken wie Einer, der vor

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/160>, abgerufen am 18.05.2024.