Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Josseph trug aber Bedenken, die alte Frau, der die Todesgedanken nicht aus dem Sinne wollten, zu verlassen. Er gab deßwegen allerlei Ausflüchte vor; wenn man sterben solle, habe es immer Zeit, und die Mutter werde sehen, daß die frommen Weiber sich "jachten" würden, daß man sie gerade auf den Freitag, wo sie am meisten zu thun hätten, herausbestelle; denn sie würde es schon erleben, wie Recht er habe.

Ich weiß schon, du willst nicht gehen, weil du meinst, es könnt' mir während dem etwas zustoßen, sagte die alte Frau mit einer merkwürdigen Bestimmtheit. Recht könntest du schon haben, und ich möcht' dich auch nicht fortlassen, wenn ich's von meinem Urdede nicht ganz sicher, wie geschrieben und gesiegelt, hätte, daß es erst zwischen morgen und übermorgen sein wird. Da sei ganz ruhig und geh nur. Ich geb' dir mein Wort drauf, du wirst mich noch antreffen, wenn du daheim kommst.

Wirklich beruhigte ihn diese Zusage. Er versprach der Mutter, sich sogleich auf den Weg zu machen, aber nicht dessentwegen, meinte er, denn er sei überzeugt, sie werde die frommen Weiber noch lange nicht zu sehen brauchen, sondern der Schrift wegen, die vom Urdede noch da sei. Er trage ein heftiges Verlangen darnach, zu wissen, was damit eigentlich sei; er werde deßwegen gerade zum Lehrer gehen, der sich auf so

Josseph trug aber Bedenken, die alte Frau, der die Todesgedanken nicht aus dem Sinne wollten, zu verlassen. Er gab deßwegen allerlei Ausflüchte vor; wenn man sterben solle, habe es immer Zeit, und die Mutter werde sehen, daß die frommen Weiber sich „jachten“ würden, daß man sie gerade auf den Freitag, wo sie am meisten zu thun hätten, herausbestelle; denn sie würde es schon erleben, wie Recht er habe.

Ich weiß schon, du willst nicht gehen, weil du meinst, es könnt' mir während dem etwas zustoßen, sagte die alte Frau mit einer merkwürdigen Bestimmtheit. Recht könntest du schon haben, und ich möcht' dich auch nicht fortlassen, wenn ich's von meinem Urdede nicht ganz sicher, wie geschrieben und gesiegelt, hätte, daß es erst zwischen morgen und übermorgen sein wird. Da sei ganz ruhig und geh nur. Ich geb' dir mein Wort drauf, du wirst mich noch antreffen, wenn du daheim kommst.

Wirklich beruhigte ihn diese Zusage. Er versprach der Mutter, sich sogleich auf den Weg zu machen, aber nicht dessentwegen, meinte er, denn er sei überzeugt, sie werde die frommen Weiber noch lange nicht zu sehen brauchen, sondern der Schrift wegen, die vom Urdede noch da sei. Er trage ein heftiges Verlangen darnach, zu wissen, was damit eigentlich sei; er werde deßwegen gerade zum Lehrer gehen, der sich auf so

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="13">
        <pb facs="#f0189"/>
        <p>Josseph trug aber Bedenken, die alte Frau, der die Todesgedanken nicht aus dem Sinne                wollten, zu verlassen. Er gab deßwegen allerlei Ausflüchte vor; wenn man sterben                solle, habe es immer Zeit, und die Mutter werde sehen, daß die frommen Weiber sich                &#x201E;jachten&#x201C; würden, daß man sie gerade auf den Freitag, wo sie am meisten zu thun                hätten, herausbestelle; denn sie würde es schon erleben, wie Recht er habe.</p><lb/>
        <p>Ich weiß schon, du willst nicht gehen, weil du meinst, es könnt' mir während dem                etwas zustoßen, sagte die alte Frau mit einer merkwürdigen Bestimmtheit. Recht                könntest du schon haben, und ich möcht' dich auch nicht fortlassen, wenn ich's von                meinem Urdede nicht ganz sicher, wie geschrieben und gesiegelt, hätte, daß es erst                zwischen morgen und übermorgen sein wird. Da sei ganz ruhig und geh nur. Ich geb' dir                mein Wort drauf, du wirst mich noch antreffen, wenn du daheim kommst.</p><lb/>
        <p>Wirklich beruhigte ihn diese Zusage. Er versprach der Mutter, sich sogleich auf den                Weg zu machen, aber nicht dessentwegen, meinte er, denn er sei überzeugt, sie werde                die frommen Weiber noch lange nicht zu sehen brauchen, sondern der Schrift wegen, die                vom Urdede noch da sei. Er trage ein heftiges Verlangen darnach, zu wissen, was damit                eigentlich sei; er werde deßwegen gerade zum Lehrer gehen, der sich auf so<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0189] Josseph trug aber Bedenken, die alte Frau, der die Todesgedanken nicht aus dem Sinne wollten, zu verlassen. Er gab deßwegen allerlei Ausflüchte vor; wenn man sterben solle, habe es immer Zeit, und die Mutter werde sehen, daß die frommen Weiber sich „jachten“ würden, daß man sie gerade auf den Freitag, wo sie am meisten zu thun hätten, herausbestelle; denn sie würde es schon erleben, wie Recht er habe. Ich weiß schon, du willst nicht gehen, weil du meinst, es könnt' mir während dem etwas zustoßen, sagte die alte Frau mit einer merkwürdigen Bestimmtheit. Recht könntest du schon haben, und ich möcht' dich auch nicht fortlassen, wenn ich's von meinem Urdede nicht ganz sicher, wie geschrieben und gesiegelt, hätte, daß es erst zwischen morgen und übermorgen sein wird. Da sei ganz ruhig und geh nur. Ich geb' dir mein Wort drauf, du wirst mich noch antreffen, wenn du daheim kommst. Wirklich beruhigte ihn diese Zusage. Er versprach der Mutter, sich sogleich auf den Weg zu machen, aber nicht dessentwegen, meinte er, denn er sei überzeugt, sie werde die frommen Weiber noch lange nicht zu sehen brauchen, sondern der Schrift wegen, die vom Urdede noch da sei. Er trage ein heftiges Verlangen darnach, zu wissen, was damit eigentlich sei; er werde deßwegen gerade zum Lehrer gehen, der sich auf so

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/189
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/189>, abgerufen am 27.11.2024.