Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

Schranke, versteckt unter anderen, er ein bedeutend dickes Buch hervorholte. Mit zitternder Hast schlug er Blatt für Blatt zurück, las auch oft mit schnell überfliegenden Blicken ganze Seiten, bis er plötzlich, fast athemlos, rief:

Hab' ich's doch gewußt, daß ich das irgendwo muß gelesen haben. Da steht's, da steht's! und Wort für Wort.

Erstaunt fragte Josseph, was er denn eigentlich gefunden habe.

Ihr Urdede, sagte der Lehrer mit strahlendem Anblick, muß ein merkwürdiger Mensch gewesen sein. Ich begreife erst jetzt, woher die Spinoza's und Uriel Acosta's gekommen sind. Wollen Sie wissen, was die Schrift eigentlich ist?

Um dessentwillen bin ich ja zu Ihnen gekommen, entgegnete ruhig Josseph.

Sie werden aber erschrecken, sagte Arnsteiner zögernd.

Erschrecken kann ich nicht mehr, versetzte Josseph, weil ich sie schon gelesen hab'. Sie hat mir genug mein Herz herausgerissen.

Hat sie das? meinte der Lehrer mit einem sonderbaren Lächeln. Es kann auch nicht anders sein. Jahrhunderte lang quält sich die Menschheit damit; Ströme Blutes sind vergossen worden, Kriege hat man geführt, dreißig und mehr Jahre lang, und warum? Weil man um den rechten Sinn dieser Schrift herumstritt;

Schranke, versteckt unter anderen, er ein bedeutend dickes Buch hervorholte. Mit zitternder Hast schlug er Blatt für Blatt zurück, las auch oft mit schnell überfliegenden Blicken ganze Seiten, bis er plötzlich, fast athemlos, rief:

Hab' ich's doch gewußt, daß ich das irgendwo muß gelesen haben. Da steht's, da steht's! und Wort für Wort.

Erstaunt fragte Josseph, was er denn eigentlich gefunden habe.

Ihr Urdede, sagte der Lehrer mit strahlendem Anblick, muß ein merkwürdiger Mensch gewesen sein. Ich begreife erst jetzt, woher die Spinoza's und Uriel Acosta's gekommen sind. Wollen Sie wissen, was die Schrift eigentlich ist?

Um dessentwillen bin ich ja zu Ihnen gekommen, entgegnete ruhig Josseph.

Sie werden aber erschrecken, sagte Arnsteiner zögernd.

Erschrecken kann ich nicht mehr, versetzte Josseph, weil ich sie schon gelesen hab'. Sie hat mir genug mein Herz herausgerissen.

Hat sie das? meinte der Lehrer mit einem sonderbaren Lächeln. Es kann auch nicht anders sein. Jahrhunderte lang quält sich die Menschheit damit; Ströme Blutes sind vergossen worden, Kriege hat man geführt, dreißig und mehr Jahre lang, und warum? Weil man um den rechten Sinn dieser Schrift herumstritt;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="13">
        <p><pb facs="#f0192"/>
Schranke, versteckt unter anderen, er ein bedeutend dickes Buch                hervorholte. Mit zitternder Hast schlug er Blatt für Blatt zurück, las auch oft mit                schnell überfliegenden Blicken ganze Seiten, bis er plötzlich, fast athemlos,                rief:</p><lb/>
        <p>Hab' ich's doch gewußt, daß ich das irgendwo muß gelesen haben. Da steht's, da                steht's! und Wort für Wort.</p><lb/>
        <p>Erstaunt fragte Josseph, was er denn eigentlich gefunden habe.</p><lb/>
        <p>Ihr Urdede, sagte der Lehrer mit strahlendem Anblick, muß ein merkwürdiger Mensch                gewesen sein. Ich begreife erst jetzt, woher die Spinoza's und Uriel Acosta's                gekommen sind. Wollen Sie wissen, was die Schrift eigentlich ist?</p><lb/>
        <p>Um dessentwillen bin ich ja zu Ihnen gekommen, entgegnete ruhig Josseph.</p><lb/>
        <p>Sie werden aber erschrecken, sagte Arnsteiner zögernd.</p><lb/>
        <p>Erschrecken kann ich nicht mehr, versetzte Josseph, weil ich sie schon gelesen hab'.                Sie hat mir genug mein Herz herausgerissen.</p><lb/>
        <p>Hat sie das? meinte der Lehrer mit einem sonderbaren Lächeln. Es kann auch nicht                anders sein. Jahrhunderte lang quält sich die Menschheit damit; Ströme Blutes sind                vergossen worden, Kriege hat man geführt, dreißig und mehr Jahre lang, und warum?                Weil man um den rechten Sinn dieser Schrift herumstritt;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0192] Schranke, versteckt unter anderen, er ein bedeutend dickes Buch hervorholte. Mit zitternder Hast schlug er Blatt für Blatt zurück, las auch oft mit schnell überfliegenden Blicken ganze Seiten, bis er plötzlich, fast athemlos, rief: Hab' ich's doch gewußt, daß ich das irgendwo muß gelesen haben. Da steht's, da steht's! und Wort für Wort. Erstaunt fragte Josseph, was er denn eigentlich gefunden habe. Ihr Urdede, sagte der Lehrer mit strahlendem Anblick, muß ein merkwürdiger Mensch gewesen sein. Ich begreife erst jetzt, woher die Spinoza's und Uriel Acosta's gekommen sind. Wollen Sie wissen, was die Schrift eigentlich ist? Um dessentwillen bin ich ja zu Ihnen gekommen, entgegnete ruhig Josseph. Sie werden aber erschrecken, sagte Arnsteiner zögernd. Erschrecken kann ich nicht mehr, versetzte Josseph, weil ich sie schon gelesen hab'. Sie hat mir genug mein Herz herausgerissen. Hat sie das? meinte der Lehrer mit einem sonderbaren Lächeln. Es kann auch nicht anders sein. Jahrhunderte lang quält sich die Menschheit damit; Ströme Blutes sind vergossen worden, Kriege hat man geführt, dreißig und mehr Jahre lang, und warum? Weil man um den rechten Sinn dieser Schrift herumstritt;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/192
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/192>, abgerufen am 23.11.2024.