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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Auf welche Art und unter welchen Umständen sie in seine Hände gelangt war, davon hütete er sich, ein Wort zu verrathen.

Was wird es sein? sagte der Lehrer achselzuckend, indem er die vergilbten Papiere vor sich ausbreitete, eine Katz hat an einem Fleischtopf genascht und gleich darauf Milch getrunken, und da hat Euer Urdede ein ganzes Buch darüber geschrieben, was denn mit der Katze eigentlich anzufangen ist. Das wird's sein.

Leset nur, Herr Lehrer, meinte Josseph nachdrücklich, Ihr werdet sehen, es ist etwas ganz Anderes.

Julius Arnsteiner antwortete mit einem verächtlichen Achselzucken. Hierauf durchblätterte der Lehrer das Manuscript, während dem er jenen singenden Ton, den man während des Lernens der Gemarah anstimmt, vor sich hinsummte.

Josseph starrte ihn mit unverwandten Blicken an; er sah, wie sich die Aufmerksamkeit des Lehrers, je weiter er in der Schrift kam, steigerte; das verächtliche Achselzucken hatte aufgehört, der singende Ton auch; man sah es Julius Arnsteiner an, daß ihn das Gelesene in hohem Grade fesselte.

Mit einem Male sprang er auf, schlug sich an die Stirn und rief:

Gott, Gott, mir ist das so bekannt, ich muß es irgendwo schon gelesen haben.

Sinnend stand er dann eine Weile da; dann riß er einen seiner Bücherkasten auf, aus dessen hinterstem

Auf welche Art und unter welchen Umständen sie in seine Hände gelangt war, davon hütete er sich, ein Wort zu verrathen.

Was wird es sein? sagte der Lehrer achselzuckend, indem er die vergilbten Papiere vor sich ausbreitete, eine Katz hat an einem Fleischtopf genascht und gleich darauf Milch getrunken, und da hat Euer Urdede ein ganzes Buch darüber geschrieben, was denn mit der Katze eigentlich anzufangen ist. Das wird's sein.

Leset nur, Herr Lehrer, meinte Josseph nachdrücklich, Ihr werdet sehen, es ist etwas ganz Anderes.

Julius Arnsteiner antwortete mit einem verächtlichen Achselzucken. Hierauf durchblätterte der Lehrer das Manuscript, während dem er jenen singenden Ton, den man während des Lernens der Gemarah anstimmt, vor sich hinsummte.

Josseph starrte ihn mit unverwandten Blicken an; er sah, wie sich die Aufmerksamkeit des Lehrers, je weiter er in der Schrift kam, steigerte; das verächtliche Achselzucken hatte aufgehört, der singende Ton auch; man sah es Julius Arnsteiner an, daß ihn das Gelesene in hohem Grade fesselte.

Mit einem Male sprang er auf, schlug sich an die Stirn und rief:

Gott, Gott, mir ist das so bekannt, ich muß es irgendwo schon gelesen haben.

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[0191] Auf welche Art und unter welchen Umständen sie in seine Hände gelangt war, davon hütete er sich, ein Wort zu verrathen. Was wird es sein? sagte der Lehrer achselzuckend, indem er die vergilbten Papiere vor sich ausbreitete, eine Katz hat an einem Fleischtopf genascht und gleich darauf Milch getrunken, und da hat Euer Urdede ein ganzes Buch darüber geschrieben, was denn mit der Katze eigentlich anzufangen ist. Das wird's sein. Leset nur, Herr Lehrer, meinte Josseph nachdrücklich, Ihr werdet sehen, es ist etwas ganz Anderes. Julius Arnsteiner antwortete mit einem verächtlichen Achselzucken. Hierauf durchblätterte der Lehrer das Manuscript, während dem er jenen singenden Ton, den man während des Lernens der Gemarah anstimmt, vor sich hinsummte. Josseph starrte ihn mit unverwandten Blicken an; er sah, wie sich die Aufmerksamkeit des Lehrers, je weiter er in der Schrift kam, steigerte; das verächtliche Achselzucken hatte aufgehört, der singende Ton auch; man sah es Julius Arnsteiner an, daß ihn das Gelesene in hohem Grade fesselte. Mit einem Male sprang er auf, schlug sich an die Stirn und rief: Gott, Gott, mir ist das so bekannt, ich muß es irgendwo schon gelesen haben. Sinnend stand er dann eine Weile da; dann riß er einen seiner Bücherkasten auf, aus dessen hinterstem

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/191>, abgerufen am 22.05.2024.