Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.ersten und letzten Male ihren Segen; auch würde es dem Kinde von keinem Schaden sein. Als Josseph, der die Mutter gar wohl verstand, bejahend nickte, ließ sie die Kinder näher herankommen und legte auf jedes Haupt ihre zitternde Hand, leise Worte vor sich hinmurmelnd. Madlena reichte ihr auch ihren Säugling hin; auch auf dessen Haupt sprach die alte Frau ihren Segen. Dann richtete sie sich im Bette auf, und indem sie über Madlena's ganzes Wesen einen vielsagenden Blick warf, sagte sie mit lauter Stimme: Das Kind, das noch nicht geboren ist, wird von Gott und von den Menschen gern gesehen sein; denn das Kind hat dich mir zurückgebracht, meine Dinah, und du mußt noch viel Freud' von ihm erleben. Ich bensch' auch das ungeborene Kind. Als Fischele an die Reihe kam, brach Marjim in ein krampfhaftes Weinen auf. Sie umfaßte den Kopf des Knaben mit beiden Händen und konnte lange nicht von ihm lassen. Dann küßte sie ihn und sprach: Von dir geh' ich sehr ungerne fort, für dich hätt' ich noch gerne hundert Jahre gelebt; du bist der Bote zu meiner Tochter gewesen -- auf dir muß Gottes Segen liegen. Sie hatte hieraus noch die Kraft, zu Josseph zu sagen: Jetzt zünd die Schabbeslamp' an, ich möcht' sie noch einmal brennen sehen, in einer Stund' ist der Schabbes da. ersten und letzten Male ihren Segen; auch würde es dem Kinde von keinem Schaden sein. Als Josseph, der die Mutter gar wohl verstand, bejahend nickte, ließ sie die Kinder näher herankommen und legte auf jedes Haupt ihre zitternde Hand, leise Worte vor sich hinmurmelnd. Madlena reichte ihr auch ihren Säugling hin; auch auf dessen Haupt sprach die alte Frau ihren Segen. Dann richtete sie sich im Bette auf, und indem sie über Madlena's ganzes Wesen einen vielsagenden Blick warf, sagte sie mit lauter Stimme: Das Kind, das noch nicht geboren ist, wird von Gott und von den Menschen gern gesehen sein; denn das Kind hat dich mir zurückgebracht, meine Dinah, und du mußt noch viel Freud' von ihm erleben. Ich bensch' auch das ungeborene Kind. Als Fischele an die Reihe kam, brach Marjim in ein krampfhaftes Weinen auf. Sie umfaßte den Kopf des Knaben mit beiden Händen und konnte lange nicht von ihm lassen. Dann küßte sie ihn und sprach: Von dir geh' ich sehr ungerne fort, für dich hätt' ich noch gerne hundert Jahre gelebt; du bist der Bote zu meiner Tochter gewesen — auf dir muß Gottes Segen liegen. Sie hatte hieraus noch die Kraft, zu Josseph zu sagen: Jetzt zünd die Schabbeslamp' an, ich möcht' sie noch einmal brennen sehen, in einer Stund' ist der Schabbes da. <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="15"> <p><pb facs="#f0214"/> ersten und letzten Male ihren Segen; auch würde es dem Kinde von keinem Schaden sein.</p><lb/> <p>Als Josseph, der die Mutter gar wohl verstand, bejahend nickte, ließ sie die Kinder näher herankommen und legte auf jedes Haupt ihre zitternde Hand, leise Worte vor sich hinmurmelnd. Madlena reichte ihr auch ihren Säugling hin; auch auf dessen Haupt sprach die alte Frau ihren Segen. Dann richtete sie sich im Bette auf, und indem sie über Madlena's ganzes Wesen einen vielsagenden Blick warf, sagte sie mit lauter Stimme: Das Kind, das noch nicht geboren ist, wird von Gott und von den Menschen gern gesehen sein; denn das Kind hat dich mir zurückgebracht, meine Dinah, und du mußt noch viel Freud' von ihm erleben. Ich bensch' auch das ungeborene Kind.</p><lb/> <p>Als Fischele an die Reihe kam, brach Marjim in ein krampfhaftes Weinen auf. Sie umfaßte den Kopf des Knaben mit beiden Händen und konnte lange nicht von ihm lassen. Dann küßte sie ihn und sprach: Von dir geh' ich sehr ungerne fort, für dich hätt' ich noch gerne hundert Jahre gelebt; du bist der Bote zu meiner Tochter gewesen — auf dir muß Gottes Segen liegen.</p><lb/> <p>Sie hatte hieraus noch die Kraft, zu Josseph zu sagen: Jetzt zünd die Schabbeslamp' an, ich möcht' sie noch einmal brennen sehen, in einer Stund' ist der Schabbes da.</p><lb/> </div> </body> </text> </TEI> [0214]
ersten und letzten Male ihren Segen; auch würde es dem Kinde von keinem Schaden sein.
Als Josseph, der die Mutter gar wohl verstand, bejahend nickte, ließ sie die Kinder näher herankommen und legte auf jedes Haupt ihre zitternde Hand, leise Worte vor sich hinmurmelnd. Madlena reichte ihr auch ihren Säugling hin; auch auf dessen Haupt sprach die alte Frau ihren Segen. Dann richtete sie sich im Bette auf, und indem sie über Madlena's ganzes Wesen einen vielsagenden Blick warf, sagte sie mit lauter Stimme: Das Kind, das noch nicht geboren ist, wird von Gott und von den Menschen gern gesehen sein; denn das Kind hat dich mir zurückgebracht, meine Dinah, und du mußt noch viel Freud' von ihm erleben. Ich bensch' auch das ungeborene Kind.
Als Fischele an die Reihe kam, brach Marjim in ein krampfhaftes Weinen auf. Sie umfaßte den Kopf des Knaben mit beiden Händen und konnte lange nicht von ihm lassen. Dann küßte sie ihn und sprach: Von dir geh' ich sehr ungerne fort, für dich hätt' ich noch gerne hundert Jahre gelebt; du bist der Bote zu meiner Tochter gewesen — auf dir muß Gottes Segen liegen.
Sie hatte hieraus noch die Kraft, zu Josseph zu sagen: Jetzt zünd die Schabbeslamp' an, ich möcht' sie noch einmal brennen sehen, in einer Stund' ist der Schabbes da.
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/214>, abgerufen am 17.02.2025. |