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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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den Erlös der Waaren, die er ihnen verkaufte, sah er sie tief unter seiner Würde. Madlena schien ihm in bäuerliche Rohheit versunken, erniedrigt, weit unter ihrem Stande. Er haßte in ihr die doppelt Gefallene; sie hatte nicht nur die Religion ihrer Väter verlassen, sondern auch ihre Sitten verläugnet; sie war ihm in jeder Hinsicht schlechter geworden.

Siehst du, siehst du sie, sagte er immer zu seiner Mutter, wenn er die Getaufte bei einem ihrer Tageswerke bemerkte, zu dem hat sie müssen das Wasser über sich schütten lassen? Ein Jüd hätt' ihr's nicht gethan, wo sie hätt' können daheim sitzen in der Stub', eine Bäuerin hat sie werden müssen, in den Stall muß sie gehen und die Küh' melken? Wo hat das ein rechtschaffen Kind aus unserer Familie erlebt?

Sah er sie vom Felde heimkehren, mit irgend einer schweren Last, etwa einem Bunde frischen Grases beschwert, so lachte er gewöhnlich bitter in sich.

Hat sie zu dem den Bauer sich genommen, sagte er dann, daß sie sich abmartern und das Fleisch abzehren muß, wenn er im Wirthshaus sitzt und sauft? Laßt das ein Jud zu? Er vergreift sich ender an sich selbst, als daß er sein Weib sich so plagen läßt. Wo soll aber dem Bauer das Mitleid herkommen mit dem Weib? Weinen habe ich sie schon gesehen bittere Thränen, wenn ihnen die Kuh im Stall oder der Ochs auf dem Feld ist umgefallen, das Weib aber

den Erlös der Waaren, die er ihnen verkaufte, sah er sie tief unter seiner Würde. Madlena schien ihm in bäuerliche Rohheit versunken, erniedrigt, weit unter ihrem Stande. Er haßte in ihr die doppelt Gefallene; sie hatte nicht nur die Religion ihrer Väter verlassen, sondern auch ihre Sitten verläugnet; sie war ihm in jeder Hinsicht schlechter geworden.

Siehst du, siehst du sie, sagte er immer zu seiner Mutter, wenn er die Getaufte bei einem ihrer Tageswerke bemerkte, zu dem hat sie müssen das Wasser über sich schütten lassen? Ein Jüd hätt' ihr's nicht gethan, wo sie hätt' können daheim sitzen in der Stub', eine Bäuerin hat sie werden müssen, in den Stall muß sie gehen und die Küh' melken? Wo hat das ein rechtschaffen Kind aus unserer Familie erlebt?

Sah er sie vom Felde heimkehren, mit irgend einer schweren Last, etwa einem Bunde frischen Grases beschwert, so lachte er gewöhnlich bitter in sich.

Hat sie zu dem den Bauer sich genommen, sagte er dann, daß sie sich abmartern und das Fleisch abzehren muß, wenn er im Wirthshaus sitzt und sauft? Laßt das ein Jud zu? Er vergreift sich ender an sich selbst, als daß er sein Weib sich so plagen läßt. Wo soll aber dem Bauer das Mitleid herkommen mit dem Weib? Weinen habe ich sie schon gesehen bittere Thränen, wenn ihnen die Kuh im Stall oder der Ochs auf dem Feld ist umgefallen, das Weib aber

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/37>, abgerufen am 03.05.2024.