Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

und wie einen wurmigen Apfel muß man sie auch weit weg von sich schleudern. Eine Sünd' lad ich mir auf den Kopf, wenn ich weiter an sie denk'; sie muß mir heraus da aus dem Herzen; ich seh', es ist noch zu viel von ihr darin. Heraus muß sie, heraus! --

Die letzten Gedanken hatten eine finstere Wandlung in seinem anfangs so mild gestimmten Herzen hervorgebracht; wieder lag es wie ein düsterer Wolkenflor über seiner Seele. Mit geballten Fäusten, die den inneren Sturm kundthaten, Schweiß auf der Stirne, unter der es heftig arbeitete, saß er da.

Ein Geräusch, das vor dem Gewölbe entstand, weckte ihn aus seinen nächtigen Gedanken auf. Er blickte auf und bemerkte zwei Knaben, die einen flüchtigen Blick in das Gewölbe warfen und dann eben so schnell über die Gasse liefen. Er hörte noch, wie sie die Worte riefen: Ahasverus, du verfluchter Jud. Dann waren sie entschwunden.

Waren das nicht die nämlichen Worte, die er heute früh mit Kreide auf der Gewölbthüre geschrieben gefunden hatte? Sie erschreckten ihn auf eine wunderbare Weise.

Welcher Zusammenhang bestand hier zwischen dem Gesprochenen und dem Geschriebenen?

Josseph wollte auf und den Knaben nach, als er sich zur Zeit erinnerte, daß er einer an und für sich lächerlichen Sache dadurch einen Anstrich von Bedeutsamkeit verleihen würde. Dennoch war er über den

und wie einen wurmigen Apfel muß man sie auch weit weg von sich schleudern. Eine Sünd' lad ich mir auf den Kopf, wenn ich weiter an sie denk'; sie muß mir heraus da aus dem Herzen; ich seh', es ist noch zu viel von ihr darin. Heraus muß sie, heraus! —

Die letzten Gedanken hatten eine finstere Wandlung in seinem anfangs so mild gestimmten Herzen hervorgebracht; wieder lag es wie ein düsterer Wolkenflor über seiner Seele. Mit geballten Fäusten, die den inneren Sturm kundthaten, Schweiß auf der Stirne, unter der es heftig arbeitete, saß er da.

Ein Geräusch, das vor dem Gewölbe entstand, weckte ihn aus seinen nächtigen Gedanken auf. Er blickte auf und bemerkte zwei Knaben, die einen flüchtigen Blick in das Gewölbe warfen und dann eben so schnell über die Gasse liefen. Er hörte noch, wie sie die Worte riefen: Ahasverus, du verfluchter Jud. Dann waren sie entschwunden.

Waren das nicht die nämlichen Worte, die er heute früh mit Kreide auf der Gewölbthüre geschrieben gefunden hatte? Sie erschreckten ihn auf eine wunderbare Weise.

Welcher Zusammenhang bestand hier zwischen dem Gesprochenen und dem Geschriebenen?

Josseph wollte auf und den Knaben nach, als er sich zur Zeit erinnerte, daß er einer an und für sich lächerlichen Sache dadurch einen Anstrich von Bedeutsamkeit verleihen würde. Dennoch war er über den

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="4">
        <p><pb facs="#f0056"/>
und wie einen wurmigen Apfel muß man sie auch weit weg von sich                schleudern. Eine Sünd' lad ich mir auf den Kopf, wenn ich weiter an sie denk'; sie                muß mir heraus da aus dem Herzen; ich seh', es ist noch zu viel von ihr darin. Heraus                muß sie, heraus! &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die letzten Gedanken hatten eine finstere Wandlung in seinem anfangs so mild                gestimmten Herzen hervorgebracht; wieder lag es wie ein düsterer Wolkenflor über                seiner Seele. Mit geballten Fäusten, die den inneren Sturm kundthaten, Schweiß auf                der Stirne, unter der es heftig arbeitete, saß er da.</p><lb/>
        <p>Ein Geräusch, das vor dem Gewölbe entstand, weckte ihn aus seinen nächtigen Gedanken                auf. Er blickte auf und bemerkte zwei Knaben, die einen flüchtigen Blick in das                Gewölbe warfen und dann eben so schnell über die Gasse liefen. Er hörte noch, wie sie                die Worte riefen: Ahasverus, du verfluchter Jud. Dann waren sie entschwunden.</p><lb/>
        <p>Waren das nicht die nämlichen Worte, die er heute früh mit Kreide auf der Gewölbthüre                geschrieben gefunden hatte? Sie erschreckten ihn auf eine wunderbare Weise.</p><lb/>
        <p>Welcher Zusammenhang bestand hier zwischen dem Gesprochenen und dem                Geschriebenen?</p><lb/>
        <p>Josseph wollte auf und den Knaben nach, als er sich zur Zeit erinnerte, daß er einer                an und für sich lächerlichen Sache dadurch einen Anstrich von Bedeutsamkeit verleihen                würde. Dennoch war er über den<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0056] und wie einen wurmigen Apfel muß man sie auch weit weg von sich schleudern. Eine Sünd' lad ich mir auf den Kopf, wenn ich weiter an sie denk'; sie muß mir heraus da aus dem Herzen; ich seh', es ist noch zu viel von ihr darin. Heraus muß sie, heraus! — Die letzten Gedanken hatten eine finstere Wandlung in seinem anfangs so mild gestimmten Herzen hervorgebracht; wieder lag es wie ein düsterer Wolkenflor über seiner Seele. Mit geballten Fäusten, die den inneren Sturm kundthaten, Schweiß auf der Stirne, unter der es heftig arbeitete, saß er da. Ein Geräusch, das vor dem Gewölbe entstand, weckte ihn aus seinen nächtigen Gedanken auf. Er blickte auf und bemerkte zwei Knaben, die einen flüchtigen Blick in das Gewölbe warfen und dann eben so schnell über die Gasse liefen. Er hörte noch, wie sie die Worte riefen: Ahasverus, du verfluchter Jud. Dann waren sie entschwunden. Waren das nicht die nämlichen Worte, die er heute früh mit Kreide auf der Gewölbthüre geschrieben gefunden hatte? Sie erschreckten ihn auf eine wunderbare Weise. Welcher Zusammenhang bestand hier zwischen dem Gesprochenen und dem Geschriebenen? Josseph wollte auf und den Knaben nach, als er sich zur Zeit erinnerte, daß er einer an und für sich lächerlichen Sache dadurch einen Anstrich von Bedeutsamkeit verleihen würde. Dennoch war er über den

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/56
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/56>, abgerufen am 04.12.2024.