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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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Natur, dieser "Rebell gegen Gott und Menschen", wie er ihn nannte, in seine Stube trat. Zwischen ihm und dem Bauer lag ein unergründlich tiefer See, der sie meilenweit aus einander hielt und jedes innigere Herannahen verhinderte. -- --

Wir treffen diese beiden Männer heute unter ganz anderen Umständen. Josseph mußte sonst eine Art Grauen überwältigen, so oft sich ihm dieser wilde Bauer nahte, heute trat er ihm gleichsam furchtlos entgegen, als hätte er ein Mittel zur Hand, diese unbändige Natur zu zähmen. Auf den Gruß Stepan's: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe vor allen Teufeln! rief er lächelnd über die Gasse hinüber: Stepan! ich weiß nichts von deinen Teufeln.

Josseph wußte es aus alter Erfahrung, daß der Bauer einem Eingehen in seine "politischen" Ansichten, wie er es nannte, nie aus dem Wege ging; sonst wäre dem Gruße Stepan's ein stilles Kopfnicken gefolgt, heute war es dem Juden darum zu thun, daß der "Dechant" Stand hielt.

Josseph täuschte sich nicht. Stepan kam langsam und weit ausschreitend auf das Gewölbe zu. Im Näherkommen konnte Josseph sich nicht enthalten, das "merkwürdige" Gesicht des Bauern zu bewundern; es lag ein trotzig starker Ernst darauf; zum ersten Male in seinem Leben wurde es ihm klar, daß auf dem Antlitze Stepan Parzik's ein Strahl höherer Intelligenz

Natur, dieser „Rebell gegen Gott und Menschen“, wie er ihn nannte, in seine Stube trat. Zwischen ihm und dem Bauer lag ein unergründlich tiefer See, der sie meilenweit aus einander hielt und jedes innigere Herannahen verhinderte. — —

Wir treffen diese beiden Männer heute unter ganz anderen Umständen. Josseph mußte sonst eine Art Grauen überwältigen, so oft sich ihm dieser wilde Bauer nahte, heute trat er ihm gleichsam furchtlos entgegen, als hätte er ein Mittel zur Hand, diese unbändige Natur zu zähmen. Auf den Gruß Stepan's: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe vor allen Teufeln! rief er lächelnd über die Gasse hinüber: Stepan! ich weiß nichts von deinen Teufeln.

Josseph wußte es aus alter Erfahrung, daß der Bauer einem Eingehen in seine „politischen“ Ansichten, wie er es nannte, nie aus dem Wege ging; sonst wäre dem Gruße Stepan's ein stilles Kopfnicken gefolgt, heute war es dem Juden darum zu thun, daß der „Dechant“ Stand hielt.

Josseph täuschte sich nicht. Stepan kam langsam und weit ausschreitend auf das Gewölbe zu. Im Näherkommen konnte Josseph sich nicht enthalten, das „merkwürdige“ Gesicht des Bauern zu bewundern; es lag ein trotzig starker Ernst darauf; zum ersten Male in seinem Leben wurde es ihm klar, daß auf dem Antlitze Stepan Parzik's ein Strahl höherer Intelligenz

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[0061] Natur, dieser „Rebell gegen Gott und Menschen“, wie er ihn nannte, in seine Stube trat. Zwischen ihm und dem Bauer lag ein unergründlich tiefer See, der sie meilenweit aus einander hielt und jedes innigere Herannahen verhinderte. — — Wir treffen diese beiden Männer heute unter ganz anderen Umständen. Josseph mußte sonst eine Art Grauen überwältigen, so oft sich ihm dieser wilde Bauer nahte, heute trat er ihm gleichsam furchtlos entgegen, als hätte er ein Mittel zur Hand, diese unbändige Natur zu zähmen. Auf den Gruß Stepan's: Gott gebe dir Freiheit und Ruhe vor allen Teufeln! rief er lächelnd über die Gasse hinüber: Stepan! ich weiß nichts von deinen Teufeln. Josseph wußte es aus alter Erfahrung, daß der Bauer einem Eingehen in seine „politischen“ Ansichten, wie er es nannte, nie aus dem Wege ging; sonst wäre dem Gruße Stepan's ein stilles Kopfnicken gefolgt, heute war es dem Juden darum zu thun, daß der „Dechant“ Stand hielt. Josseph täuschte sich nicht. Stepan kam langsam und weit ausschreitend auf das Gewölbe zu. Im Näherkommen konnte Josseph sich nicht enthalten, das „merkwürdige“ Gesicht des Bauern zu bewundern; es lag ein trotzig starker Ernst darauf; zum ersten Male in seinem Leben wurde es ihm klar, daß auf dem Antlitze Stepan Parzik's ein Strahl höherer Intelligenz

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Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/61>, abgerufen am 22.05.2024.