Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.meinte der Knabe, weil "wer Fremder" in der Stube sich befunden; denn er habe immer gehört, daß das die Kinder sehr gut wissen. Ein Fremder! that Marjim einen Ausruf, aber so leise, daß der schmerzliche Ausdruck dem Knaben entging. Zuletzt, berichtete er weiter, sei ihm das Weinen des Kindes schon zu schwer aufs Herz gefallen; das ältere Mädchen habe für sich schon keinen Rath gewußt und wollte schon in die Kirche laufen, um die Mutter zu rufen. Da sei er selbst zur Wiege gegangen und habe das Kind gewiegt, das allmählich stiller und stiller geworden sei. So seien sie Beide, er und das Mädchen, sich gegenüber gesessen und hätten das Kind gewiegt und gewiegt, aber auch nicht ein "Brösele" mit einander gesprochen. -- -- Um das Kind nicht zu wecken? fragte die alte Frau. Um das Kind nicht aufzuwecken! wiederholte schnell der Knabe, dessen Antlitz bei diesen Worten eine unerklärliche Röthe überflog. Weiter! verlangte Marjim. Weiteres wußte Fischele eigentlich nur stockend anzugeben. Sie hätten das Kind so fortgewiegt; da plötzlich, er wisse noch jetzt nicht, wie das gekommen, sei die Muhm' vor ihm gestanden. Wie er da erschrocken sei! Er habe auf und davon wollen, habe durchbrechen wollen, wie durch ein Haus, das von meinte der Knabe, weil „wer Fremder“ in der Stube sich befunden; denn er habe immer gehört, daß das die Kinder sehr gut wissen. Ein Fremder! that Marjim einen Ausruf, aber so leise, daß der schmerzliche Ausdruck dem Knaben entging. Zuletzt, berichtete er weiter, sei ihm das Weinen des Kindes schon zu schwer aufs Herz gefallen; das ältere Mädchen habe für sich schon keinen Rath gewußt und wollte schon in die Kirche laufen, um die Mutter zu rufen. Da sei er selbst zur Wiege gegangen und habe das Kind gewiegt, das allmählich stiller und stiller geworden sei. So seien sie Beide, er und das Mädchen, sich gegenüber gesessen und hätten das Kind gewiegt und gewiegt, aber auch nicht ein „Brösele“ mit einander gesprochen. — — Um das Kind nicht zu wecken? fragte die alte Frau. Um das Kind nicht aufzuwecken! wiederholte schnell der Knabe, dessen Antlitz bei diesen Worten eine unerklärliche Röthe überflog. Weiter! verlangte Marjim. Weiteres wußte Fischele eigentlich nur stockend anzugeben. Sie hätten das Kind so fortgewiegt; da plötzlich, er wisse noch jetzt nicht, wie das gekommen, sei die Muhm' vor ihm gestanden. Wie er da erschrocken sei! Er habe auf und davon wollen, habe durchbrechen wollen, wie durch ein Haus, das von <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="5"> <p><pb facs="#f0077"/> meinte der Knabe, weil „wer Fremder“ in der Stube sich befunden; denn er habe immer gehört, daß das die Kinder sehr gut wissen.</p><lb/> <p>Ein Fremder! that Marjim einen Ausruf, aber so leise, daß der schmerzliche Ausdruck dem Knaben entging.</p><lb/> <p>Zuletzt, berichtete er weiter, sei ihm das Weinen des Kindes schon zu schwer aufs Herz gefallen; das ältere Mädchen habe für sich schon keinen Rath gewußt und wollte schon in die Kirche laufen, um die Mutter zu rufen. Da sei er selbst zur Wiege gegangen und habe das Kind gewiegt, das allmählich stiller und stiller geworden sei. So seien sie Beide, er und das Mädchen, sich gegenüber gesessen und hätten das Kind gewiegt und gewiegt, aber auch nicht ein „Brösele“ mit einander gesprochen. — —</p><lb/> <p>Um das Kind nicht zu wecken? fragte die alte Frau.</p><lb/> <p>Um das Kind nicht aufzuwecken! wiederholte schnell der Knabe, dessen Antlitz bei diesen Worten eine unerklärliche Röthe überflog.</p><lb/> <p>Weiter! verlangte Marjim.</p><lb/> <p>Weiteres wußte Fischele eigentlich nur stockend anzugeben. Sie hätten das Kind so fortgewiegt; da plötzlich, er wisse noch jetzt nicht, wie das gekommen, sei die Muhm' vor ihm gestanden. Wie er da erschrocken sei! Er habe auf und davon wollen, habe durchbrechen wollen, wie durch ein Haus, das von<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0077]
meinte der Knabe, weil „wer Fremder“ in der Stube sich befunden; denn er habe immer gehört, daß das die Kinder sehr gut wissen.
Ein Fremder! that Marjim einen Ausruf, aber so leise, daß der schmerzliche Ausdruck dem Knaben entging.
Zuletzt, berichtete er weiter, sei ihm das Weinen des Kindes schon zu schwer aufs Herz gefallen; das ältere Mädchen habe für sich schon keinen Rath gewußt und wollte schon in die Kirche laufen, um die Mutter zu rufen. Da sei er selbst zur Wiege gegangen und habe das Kind gewiegt, das allmählich stiller und stiller geworden sei. So seien sie Beide, er und das Mädchen, sich gegenüber gesessen und hätten das Kind gewiegt und gewiegt, aber auch nicht ein „Brösele“ mit einander gesprochen. — —
Um das Kind nicht zu wecken? fragte die alte Frau.
Um das Kind nicht aufzuwecken! wiederholte schnell der Knabe, dessen Antlitz bei diesen Worten eine unerklärliche Röthe überflog.
Weiter! verlangte Marjim.
Weiteres wußte Fischele eigentlich nur stockend anzugeben. Sie hätten das Kind so fortgewiegt; da plötzlich, er wisse noch jetzt nicht, wie das gekommen, sei die Muhm' vor ihm gestanden. Wie er da erschrocken sei! Er habe auf und davon wollen, habe durchbrechen wollen, wie durch ein Haus, das von
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Zitationshilfe: | Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/77>, abgerufen am 22.07.2024. |