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Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

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allen Seiten bereits brennt, aber es sei ihm nicht gelungen. Den ersten Psalm habe er sagen wollen, aber auch nicht das kleinste Wörtchen sei ihm eingefallen. Gewesen sei es ihm in diesem Augenblicke, als hätte er in seinem Leben kein jüdisch Wort gelernt gehabt, als wisse er gar nicht, wo Gott wohnt! Ob das vom Schrecken herrühre, oder was es sonst gewesen wäre? Merkwürdig sei ihm bei dem Allen die Aehnlichkeit aufgefallen, die die Muhm' mit seinem Vater habe; wer sie nur ein Mal angesehen, der könne gar nicht zweifeln, daß sie seine Schwester sei!

Und gesagt was hat sie? Das möcht' ich wissen! rief die alte Frau fast heftig.

Sie habe ihn bei der Hand gefaßt und fest gehalten. Mit Augen habe sie ihn angesehen, die voller Thränen standen. Fischele, hätte sie zu ihm auf Böhmisch gesagt, warum willst du schon fort?

Auf Böhmisch! nicht auf Jüdisch? schaltete die Großmutter ein. Gewiß wegen der Kinder! setzte sie sogleich hinzu. Zum ersten Male in seinem Leben, fuhr der Knabe fort, ohne die Einwendung der alten Marjim zu beachten, habe er die Stimme seiner Muhme gehört, habe er mit ihr gesprochen; er wisse zwar nicht mehr, was sie alles gesagt, aber es sei ihm vorgekommen, als ob er schon öfters mit ihr sich unterhalten, es sei ihm Alles so bekannt und gar nicht fremd gewesen. Hundert Jahre, wenn sie schon im Hause gewesen, wären ihm nicht so vergangen, als

allen Seiten bereits brennt, aber es sei ihm nicht gelungen. Den ersten Psalm habe er sagen wollen, aber auch nicht das kleinste Wörtchen sei ihm eingefallen. Gewesen sei es ihm in diesem Augenblicke, als hätte er in seinem Leben kein jüdisch Wort gelernt gehabt, als wisse er gar nicht, wo Gott wohnt! Ob das vom Schrecken herrühre, oder was es sonst gewesen wäre? Merkwürdig sei ihm bei dem Allen die Aehnlichkeit aufgefallen, die die Muhm' mit seinem Vater habe; wer sie nur ein Mal angesehen, der könne gar nicht zweifeln, daß sie seine Schwester sei!

Und gesagt was hat sie? Das möcht' ich wissen! rief die alte Frau fast heftig.

Sie habe ihn bei der Hand gefaßt und fest gehalten. Mit Augen habe sie ihn angesehen, die voller Thränen standen. Fischele, hätte sie zu ihm auf Böhmisch gesagt, warum willst du schon fort?

Auf Böhmisch! nicht auf Jüdisch? schaltete die Großmutter ein. Gewiß wegen der Kinder! setzte sie sogleich hinzu. Zum ersten Male in seinem Leben, fuhr der Knabe fort, ohne die Einwendung der alten Marjim zu beachten, habe er die Stimme seiner Muhme gehört, habe er mit ihr gesprochen; er wisse zwar nicht mehr, was sie alles gesagt, aber es sei ihm vorgekommen, als ob er schon öfters mit ihr sich unterhalten, es sei ihm Alles so bekannt und gar nicht fremd gewesen. Hundert Jahre, wenn sie schon im Hause gewesen, wären ihm nicht so vergangen, als

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[0078] allen Seiten bereits brennt, aber es sei ihm nicht gelungen. Den ersten Psalm habe er sagen wollen, aber auch nicht das kleinste Wörtchen sei ihm eingefallen. Gewesen sei es ihm in diesem Augenblicke, als hätte er in seinem Leben kein jüdisch Wort gelernt gehabt, als wisse er gar nicht, wo Gott wohnt! Ob das vom Schrecken herrühre, oder was es sonst gewesen wäre? Merkwürdig sei ihm bei dem Allen die Aehnlichkeit aufgefallen, die die Muhm' mit seinem Vater habe; wer sie nur ein Mal angesehen, der könne gar nicht zweifeln, daß sie seine Schwester sei! Und gesagt was hat sie? Das möcht' ich wissen! rief die alte Frau fast heftig. Sie habe ihn bei der Hand gefaßt und fest gehalten. Mit Augen habe sie ihn angesehen, die voller Thränen standen. Fischele, hätte sie zu ihm auf Böhmisch gesagt, warum willst du schon fort? Auf Böhmisch! nicht auf Jüdisch? schaltete die Großmutter ein. Gewiß wegen der Kinder! setzte sie sogleich hinzu. Zum ersten Male in seinem Leben, fuhr der Knabe fort, ohne die Einwendung der alten Marjim zu beachten, habe er die Stimme seiner Muhme gehört, habe er mit ihr gesprochen; er wisse zwar nicht mehr, was sie alles gesagt, aber es sei ihm vorgekommen, als ob er schon öfters mit ihr sich unterhalten, es sei ihm Alles so bekannt und gar nicht fremd gewesen. Hundert Jahre, wenn sie schon im Hause gewesen, wären ihm nicht so vergangen, als

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

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Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/78>, abgerufen am 04.12.2024.