Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bisherigen Vorgange mit einer Art dumpfer Fassung angewohnt hatte, sag lieber, sie darf nicht, frag sie lieber, wer sie hat angestiftet. Oder frag sie lieber nicht, denn ich weiß, wer sie hat angestiftet. --

Die Großmutter erhob noch einmal ihre Stimme:

Anezka, fragte sie erschöpft, hat dir Jemand angerathen, daß du aus unserem Hause gehen sollst? Hat dich Einer angestiftet? Der hat dir wirklich keinen guten Rath gegeben.

Mir hat Keiner einen Rath gegeben, sagte die Magd stockend, Keiner; -- was ich thue, das muß ich thun.

Du kannst's also nicht sagen?

Nein, Großmutter.

Eine minutenlange schwüle Stille war diesem Auftritte gefolgt. Anezka stand, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, weggewandt von der Großmutter, die jeden lichten Punkt in diesem Vorgange verloren zu haben schien. Plötzlich richtete sie sich auf und befahl mit einer merkwürdigen Entschlossenheit in Stimme und Geberde, daß Fischele um den Bauer Stepan Parzik gehen sollte.

Dein Vater, sagte sie zu Anezka, hat dich mir gegeben, wie du erst zehn Jahre alt warst, dein Vater muß auch drum wissen, wenn du aus unserem Hause gehst.

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Marjim war müde auf den Kissen zurückgesunken, während

bisherigen Vorgange mit einer Art dumpfer Fassung angewohnt hatte, sag lieber, sie darf nicht, frag sie lieber, wer sie hat angestiftet. Oder frag sie lieber nicht, denn ich weiß, wer sie hat angestiftet. —

Die Großmutter erhob noch einmal ihre Stimme:

Anezka, fragte sie erschöpft, hat dir Jemand angerathen, daß du aus unserem Hause gehen sollst? Hat dich Einer angestiftet? Der hat dir wirklich keinen guten Rath gegeben.

Mir hat Keiner einen Rath gegeben, sagte die Magd stockend, Keiner; — was ich thue, das muß ich thun.

Du kannst's also nicht sagen?

Nein, Großmutter.

Eine minutenlange schwüle Stille war diesem Auftritte gefolgt. Anezka stand, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, weggewandt von der Großmutter, die jeden lichten Punkt in diesem Vorgange verloren zu haben schien. Plötzlich richtete sie sich auf und befahl mit einer merkwürdigen Entschlossenheit in Stimme und Geberde, daß Fischele um den Bauer Stepan Parzik gehen sollte.

Dein Vater, sagte sie zu Anezka, hat dich mir gegeben, wie du erst zehn Jahre alt warst, dein Vater muß auch drum wissen, wenn du aus unserem Hause gehst.

Weiter wurde kein Wort gesprochen. Marjim war müde auf den Kissen zurückgesunken, während

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="6">
        <p><pb facs="#f0094"/>
bisherigen Vorgange mit einer Art                dumpfer Fassung angewohnt hatte, sag lieber, sie darf nicht, frag sie lieber, wer sie                hat angestiftet. Oder frag sie lieber nicht, denn ich weiß, wer sie hat angestiftet.                &#x2014;</p><lb/>
        <p>Die Großmutter erhob noch einmal ihre Stimme:</p><lb/>
        <p>Anezka, fragte sie erschöpft, hat dir Jemand angerathen, daß du aus unserem Hause                gehen sollst? Hat dich Einer angestiftet? Der hat dir wirklich keinen guten Rath                gegeben.</p><lb/>
        <p>Mir hat Keiner einen Rath gegeben, sagte die Magd stockend, Keiner; &#x2014; was ich thue,                das muß ich thun.</p><lb/>
        <p>Du kannst's also nicht sagen?</p><lb/>
        <p>Nein, Großmutter.</p><lb/>
        <p>Eine minutenlange schwüle Stille war diesem Auftritte gefolgt. Anezka stand, das                Gesicht mit beiden Händen bedeckend, weggewandt von der Großmutter, die jeden lichten                Punkt in diesem Vorgange verloren zu haben schien. Plötzlich richtete sie sich auf                und befahl mit einer merkwürdigen Entschlossenheit in Stimme und Geberde, daß                Fischele um den Bauer Stepan Parzik gehen sollte.</p><lb/>
        <p>Dein Vater, sagte sie zu Anezka, hat dich mir gegeben, wie du erst zehn Jahre alt                warst, dein Vater muß auch drum wissen, wenn du aus unserem Hause gehst.</p><lb/>
        <p>Weiter wurde kein Wort gesprochen. Marjim war müde auf den Kissen zurückgesunken,                während<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0094] bisherigen Vorgange mit einer Art dumpfer Fassung angewohnt hatte, sag lieber, sie darf nicht, frag sie lieber, wer sie hat angestiftet. Oder frag sie lieber nicht, denn ich weiß, wer sie hat angestiftet. — Die Großmutter erhob noch einmal ihre Stimme: Anezka, fragte sie erschöpft, hat dir Jemand angerathen, daß du aus unserem Hause gehen sollst? Hat dich Einer angestiftet? Der hat dir wirklich keinen guten Rath gegeben. Mir hat Keiner einen Rath gegeben, sagte die Magd stockend, Keiner; — was ich thue, das muß ich thun. Du kannst's also nicht sagen? Nein, Großmutter. Eine minutenlange schwüle Stille war diesem Auftritte gefolgt. Anezka stand, das Gesicht mit beiden Händen bedeckend, weggewandt von der Großmutter, die jeden lichten Punkt in diesem Vorgange verloren zu haben schien. Plötzlich richtete sie sich auf und befahl mit einer merkwürdigen Entschlossenheit in Stimme und Geberde, daß Fischele um den Bauer Stepan Parzik gehen sollte. Dein Vater, sagte sie zu Anezka, hat dich mir gegeben, wie du erst zehn Jahre alt warst, dein Vater muß auch drum wissen, wenn du aus unserem Hause gehst. Weiter wurde kein Wort gesprochen. Marjim war müde auf den Kissen zurückgesunken, während

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:25:39Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:25:39Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/94
Zitationshilfe: Kompert, Leopold: Eine Verlorene. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 8. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 95–309. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kompert_verlorene_1910/94>, abgerufen am 18.05.2024.