Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.doch Giovanni vermochte nicht zu antworten. Indem war die treue Muhme herangekommen und fragte: Kinder, was ist euch? Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie ward von dem grausamen Spruch Strintillo's, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt und weinte mit den Trauernden als gute Christin, endlich aber faßte sie sich und sprach: Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich Jemand hier sehen, und das wäre nicht gut! -- Ach! ob mich Jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, frägt wenig mehr nach der Welt! erwiderte das holde Kind fast stimmlos. O! fasset euch, liebe Kinder, sprach die Muhme wiederum; vielleicht ist noch nicht Alles verloren. Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der heiligen Jungfrau; die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden, und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du thust? -- Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studirter Mann; vielleicht giebt der dir guten Rath? Guten Rath? -- Kann er mir sagen, wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Manne wird, auf ehrliche Weise, kann er das? Geh zu meinem Bruder Ciccio! sag' ich dir, wiederholte die Muhme. Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu rathen. Folge mir, geh! So trennte sie doch Giovanni vermochte nicht zu antworten. Indem war die treue Muhme herangekommen und fragte: Kinder, was ist euch? Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie ward von dem grausamen Spruch Strintillo's, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt und weinte mit den Trauernden als gute Christin, endlich aber faßte sie sich und sprach: Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich Jemand hier sehen, und das wäre nicht gut! — Ach! ob mich Jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, frägt wenig mehr nach der Welt! erwiderte das holde Kind fast stimmlos. O! fasset euch, liebe Kinder, sprach die Muhme wiederum; vielleicht ist noch nicht Alles verloren. Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der heiligen Jungfrau; die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden, und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du thust? — Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studirter Mann; vielleicht giebt der dir guten Rath? Guten Rath? — Kann er mir sagen, wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Manne wird, auf ehrliche Weise, kann er das? Geh zu meinem Bruder Ciccio! sag' ich dir, wiederholte die Muhme. Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu rathen. Folge mir, geh! So trennte sie <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0024"/> doch Giovanni vermochte nicht zu antworten. Indem war die treue Muhme herangekommen und fragte: Kinder, was ist euch? Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie ward von dem grausamen Spruch Strintillo's, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt und weinte mit den Trauernden als gute Christin, endlich aber faßte sie sich und sprach: Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich Jemand hier sehen, und das wäre nicht gut! — Ach! ob mich Jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, frägt wenig mehr nach der Welt! erwiderte das holde Kind fast stimmlos.</p><lb/> <p>O! fasset euch, liebe Kinder, sprach die Muhme wiederum; vielleicht ist noch nicht Alles verloren. Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der heiligen Jungfrau; die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden, und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du thust? — Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studirter Mann; vielleicht giebt der dir guten Rath?</p><lb/> <p>Guten Rath? — Kann er mir sagen, wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Manne wird, auf ehrliche Weise, kann er das?</p><lb/> <p>Geh zu meinem Bruder Ciccio! sag' ich dir, wiederholte die Muhme. Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu rathen. Folge mir, geh! So trennte sie<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0024]
doch Giovanni vermochte nicht zu antworten. Indem war die treue Muhme herangekommen und fragte: Kinder, was ist euch? Nur mit Mühe konnte sie von Giovanni den Hergang herausfragen. Auch sie ward von dem grausamen Spruch Strintillo's, dessen Starrsinn ihr wohl bekannt war, herzlich betrübt und weinte mit den Trauernden als gute Christin, endlich aber faßte sie sich und sprach: Liebe Angiolina, geh nur wieder heim, es könnte dich Jemand hier sehen, und das wäre nicht gut! — Ach! ob mich Jemand hier sieht oder nicht! Wer im Sterben liegt, frägt wenig mehr nach der Welt! erwiderte das holde Kind fast stimmlos.
O! fasset euch, liebe Kinder, sprach die Muhme wiederum; vielleicht ist noch nicht Alles verloren. Geh zurück ins Haus, Angiolina. Geh, bete zu Gott und der heiligen Jungfrau; die vermögen den Sinn des Vaters wohl noch zu wenden, und du, Giovanni, raffe dich auf. Weißt du, was du thust? — Geh zu meinem Bruder Ciccio, der ist ein studirter Mann; vielleicht giebt der dir guten Rath?
Guten Rath? — Kann er mir sagen, wie, wer arm ist, in acht Tagen zum reichen Manne wird, auf ehrliche Weise, kann er das?
Geh zu meinem Bruder Ciccio! sag' ich dir, wiederholte die Muhme. Besseres vermag ich dir jetzt nicht zu rathen. Folge mir, geh! So trennte sie
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Zitationshilfe: | Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/24>, abgerufen am 16.07.2024. |