Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

bat Strintillo mit Händeküssen, seinen Sinn zu ändern; aber was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund fest zusammen und blieb stumm.

Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen; ihr Schmerz rührte ihn zu Thränen, aber er blieb stumm.

Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch Strintillo blieb stumm; Nichts veränderte den steinernen Mann.

Endlich kam auch der Pater Antonio, hieß die Andern hinausgehen und sprach allein zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt günstiger Worte, Folgendes vernahmen:

Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio, ich leide bei den Schmerzen meines Kindes, wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muß dem himmlischen nachgesetzt werden. Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr? Woher wollt Ihr das beweisen, warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt denn meiner Tochter? Beide sind gleich brave Leute, Beide haben sie lieb, -- dem Reichsten geb' ich sie. Da sagt Ihr mir, sie liebe nur Einen von Beiden: o glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach. Frauen sind wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden und gewöhnen sich an jeden, der sie zu ziehen

bat Strintillo mit Händeküssen, seinen Sinn zu ändern; aber was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund fest zusammen und blieb stumm.

Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen; ihr Schmerz rührte ihn zu Thränen, aber er blieb stumm.

Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch Strintillo blieb stumm; Nichts veränderte den steinernen Mann.

Endlich kam auch der Pater Antonio, hieß die Andern hinausgehen und sprach allein zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt günstiger Worte, Folgendes vernahmen:

Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio, ich leide bei den Schmerzen meines Kindes, wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muß dem himmlischen nachgesetzt werden. Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr? Woher wollt Ihr das beweisen, warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt denn meiner Tochter? Beide sind gleich brave Leute, Beide haben sie lieb, — dem Reichsten geb' ich sie. Da sagt Ihr mir, sie liebe nur Einen von Beiden: o glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach. Frauen sind wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden und gewöhnen sich an jeden, der sie zu ziehen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0028"/>
bat Strintillo mit Händeküssen,                     seinen Sinn zu ändern; aber was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund                     fest zusammen und blieb stumm.</p><lb/>
        <p>Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen; ihr Schmerz rührte ihn zu                     Thränen, aber er blieb stumm.</p><lb/>
        <p>Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch                     Strintillo blieb stumm; Nichts veränderte den steinernen Mann.</p><lb/>
        <p>Endlich kam auch der Pater Antonio, hieß die Andern hinausgehen und sprach allein                     zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach                     endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt                     günstiger Worte, Folgendes vernahmen:</p><lb/>
        <p>Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio, ich leide bei den Schmerzen meines Kindes,                     wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muß dem himmlischen nachgesetzt                     werden. Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr?                     Woher wollt Ihr das beweisen, warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt                     denn meiner Tochter? Beide sind gleich brave Leute, Beide haben sie lieb, &#x2014; dem                     Reichsten geb' ich sie. Da sagt Ihr mir, sie liebe nur Einen von Beiden: o                     glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach. Frauen sind                     wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden und gewöhnen sich an                     jeden, der sie zu ziehen<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0028] bat Strintillo mit Händeküssen, seinen Sinn zu ändern; aber was auch gesagt wurde, Strintillo kniff den Mund fest zusammen und blieb stumm. Angiolina trat hinein und warf sich ihm zu Füßen; ihr Schmerz rührte ihn zu Thränen, aber er blieb stumm. Giovanni trat herein und brachte seine Sache vor, so gut er konnte; doch Strintillo blieb stumm; Nichts veränderte den steinernen Mann. Endlich kam auch der Pater Antonio, hieß die Andern hinausgehen und sprach allein zu ihm, und, wie es den Horchern schien, eindringlich; denn Strintillo brach endlich sein Schweigen. Wie aber erschraken sie wiederum, als sie, statt günstiger Worte, Folgendes vernahmen: Glaubt mir, ehrwürdiger Pater Antonio, ich leide bei den Schmerzen meines Kindes, wie Abraham auf Moria; doch menschlicher Wille muß dem himmlischen nachgesetzt werden. Mein Traum sei nicht himmlisch, sondern Blendwerk der Hölle, sagt Ihr? Woher wollt Ihr das beweisen, warum soll er nicht gut sein? Was Arges widerfährt denn meiner Tochter? Beide sind gleich brave Leute, Beide haben sie lieb, — dem Reichsten geb' ich sie. Da sagt Ihr mir, sie liebe nur Einen von Beiden: o glaubt mir, die Liebe lahmt zuweilen; doch kommt sie später nach. Frauen sind wie die Weinreben, sie lassen sich an jeden Mann binden und gewöhnen sich an jeden, der sie zu ziehen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T13:35:42Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T13:35:42Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/28
Zitationshilfe: Kopisch, August: Der Träumer. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 14. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 1–67. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kopisch_traeumer_1910/28>, abgerufen am 27.04.2024.