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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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"Dieser Schatten graue Hülle
"Deckt nicht ewig Berg und Thal.
"Nacht und Schatten, Schlaf und Stille
"Scheucht des nahen Morgens Strahl.
"Freundin, unser Grabesschlummer
"Währt nicht ewig. Jung und schön
"Werden wir, nach kurzem Schlummer,
"Aus der kühlen Kammer gehn,"
Also sangen sie, und schwiegen;
Wanderten bey Sternenschein,
Von des Schicksals starken Zügen
Fortgezogen, feldhinein;
Ruhten endlich, wandernsmüde,
Wang' an Wang' an einem Baum,
Und der Unschuld sichrer Friede
Wiegte sie in Schlaf und Traum.
Mit des Frühroths Strahlergiessen
Ward der gute Jüngling wach.
Seine Traute wach zu küssen,
Wandt' er sich zu ihr. Doch ach!
Ach, erblasst war ihre Wange,
Giftgeschwellt die zarte Brust;
Eine buntgefleckte Schlange
Schwelgt' an ihrer reinen Brust.
„Dieser Schatten graue Hülle
„Deckt nicht ewig Berg und Thal.
„Nacht und Schatten, Schlaf und Stille
„Scheucht des nahen Morgens Strahl.
„Freundin, unser Grabesschlummer
„Währt nicht ewig. Jung und schön
„Werden wir, nach kurzem Schlummer,
„Aus der kühlen Kammer gehn,“
Also sangen sie, und schwiegen;
Wanderten bey Sternenschein,
Von des Schicksals starken Zügen
Fortgezogen, feldhinein;
Ruhten endlich, wandernsmüde,
Wang' an Wang' an einem Baum,
Und der Unschuld sichrer Friede
Wiegte sie in Schlaf und Traum.
Mit des Frühroths Strahlergieſsen
Ward der gute Jüngling wach.
Seine Traute wach zu küſsen,
Wandt' er sich zu ihr. Doch ach!
Ach, erblaſst war ihre Wange,
Giftgeschwellt die zarte Brust;
Eine buntgefleckte Schlange
Schwelgt' an ihrer reinen Brust.
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[210/0252] „Dieser Schatten graue Hülle „Deckt nicht ewig Berg und Thal. „Nacht und Schatten, Schlaf und Stille „Scheucht des nahen Morgens Strahl. „Freundin, unser Grabesschlummer „Währt nicht ewig. Jung und schön „Werden wir, nach kurzem Schlummer, „Aus der kühlen Kammer gehn,“ Also sangen sie, und schwiegen; Wanderten bey Sternenschein, Von des Schicksals starken Zügen Fortgezogen, feldhinein; Ruhten endlich, wandernsmüde, Wang' an Wang' an einem Baum, Und der Unschuld sichrer Friede Wiegte sie in Schlaf und Traum. Mit des Frühroths Strahlergieſsen Ward der gute Jüngling wach. Seine Traute wach zu küſsen, Wandt' er sich zu ihr. Doch ach! Ach, erblaſst war ihre Wange, Giftgeschwellt die zarte Brust; Eine buntgefleckte Schlange Schwelgt' an ihrer reinen Brust.

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/252>, abgerufen am 22.11.2024.