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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798.

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"Ich ruf der Vergangenheit Tage zurück.
"Mir bebet die Seele; mir schwindelt der Blick.
"Da war mir so nächtlich der sonnigste Tag.
"Wie, dass ich dem lastenden Gram nicht erlag!
"Ich wende den Blick aus den Nächten voll
Graus,
"Und schau' in die selige Zukunft hinaus.
"Da seh' ich der mächtigen Freuden so viel.
"Wie fass' ich, wie trag' ich dich, Wonnegefühl!
"Der Stärke zu stehn in den Stürmen mir
gab,
"Der stütze mich ferner mit freundlichem Stab.
"Doch führe mich, Bester -- es wehet so frisch --
"Komm, führe mich heim aus dem Mayengebüsch."
Itzt trat aus der Wolke der Vollmond hervor.
Dem Abend entrollte der hüllende Flor.
Wie glänzten der Garten, der Busch und der
Quell
Im flimmernden Monde so silbern, so hell!
Still blickte der Jüngling im zweifelnden Licht
Des Mondes Schön Hedchen ins Rosengesicht.
Sie lächelte Weh, sie lächelte Ruh
Aus thränenumdämmerten Augen ihm zu.
„Ich ruf der Vergangenheit Tage zurück.
„Mir bebet die Seele; mir schwindelt der Blick.
„Da war mir so nächtlich der sonnigste Tag.
„Wie, daſs ich dem lastenden Gram nicht erlag!
„Ich wende den Blick aus den Nächten voll
Graus,
„Und schau' in die selige Zukunft hinaus.
„Da seh' ich der mächtigen Freuden so viel.
„Wie fass' ich, wie trag' ich dich, Wonnegefühl!
„Der Stärke zu stehn in den Stürmen mir
gab,
„Der stütze mich ferner mit freundlichem Stab.
„Doch führe mich, Bester — es wehet so frisch —
„Komm, führe mich heim aus dem Mayengebüsch.“
Itzt trat aus der Wolke der Vollmond hervor.
Dem Abend entrollte der hüllende Flor.
Wie glänzten der Garten, der Busch und der
Quell
Im flimmernden Monde so silbern, so hell!
Still blickte der Jüngling im zweifelnden Licht
Des Mondes Schön Hedchen ins Rosengesicht.
Sie lächelte Weh, sie lächelte Ruh
Aus thränenumdämmerten Augen ihm zu.
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[216/0258] „Ich ruf der Vergangenheit Tage zurück. „Mir bebet die Seele; mir schwindelt der Blick. „Da war mir so nächtlich der sonnigste Tag. „Wie, daſs ich dem lastenden Gram nicht erlag! „Ich wende den Blick aus den Nächten voll Graus, „Und schau' in die selige Zukunft hinaus. „Da seh' ich der mächtigen Freuden so viel. „Wie fass' ich, wie trag' ich dich, Wonnegefühl! „Der Stärke zu stehn in den Stürmen mir gab, „Der stütze mich ferner mit freundlichem Stab. „Doch führe mich, Bester — es wehet so frisch — „Komm, führe mich heim aus dem Mayengebüsch.“ Itzt trat aus der Wolke der Vollmond hervor. Dem Abend entrollte der hüllende Flor. Wie glänzten der Garten, der Busch und der Quell Im flimmernden Monde so silbern, so hell! Still blickte der Jüngling im zweifelnden Licht Des Mondes Schön Hedchen ins Rosengesicht. Sie lächelte Weh, sie lächelte Ruh Aus thränenumdämmerten Augen ihm zu.

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 1. Leipzig, 1798, S. 216. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen01_1798/258>, abgerufen am 22.11.2024.