Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.Ellwina. Ja, schön bist du, du unsers Lebens Wiege, Und einstens unser Grab! -- Ach, wann ich nun An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege, So lass mich schuldlos an dir ruhn! Erwin. Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne; Doch schöner ist ein menschlich Angesicht, Wenn leis' aus jedem Zug, und laut aus jeder Miene Der Seele hohe Schönheit spricht; Wenn Kindessinn im Wangengrübchen wohnet, Der Rührung Thau in seidnen Wimpern bebt, Auf wolkenloser Stirn die Ruh der Unschuld thronet, Und um die frischen Lippen schwebt. Die Flur erschliesst sich lauen Regengüssen; Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht. So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen, Und liebte gern' und darf es nicht. Ellwina. Und darf nicht Erwin? -- -- Wonne, Erwin, Wonne! Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigal. Entzücken, das mich schwellt, bist du noch Erdenwonne? Bist du nicht Eden, selig Thal? Ellwina. Ja, schön bist du, du unsers Lebens Wiege, Und einstens unser Grab! — Ach, wann ich nun An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege, So lass mich schuldlos an dir ruhn! Erwin. Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne; Doch schöner ist ein menschlich Angesicht, Wenn leis' aus jedem Zug, und laut aus jeder Miene Der Seele hohe Schönheit spricht; Wenn Kindessinn im Wangengrübchen wohnet, Der Rührung Thau in seidnen Wimpern bebt, Auf wolkenloser Stirn die Ruh der Unschuld thronet, Und um die frischen Lippen schwebt. Die Flur erschliesst sich lauen Regengüssen; Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht. So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen, Und liebte gern' und darf es nicht. Ellwina. Und darf nicht Erwin? — — Wonne, Erwin, Wonne! Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigal. Entzücken, das mich schwellt, bist du noch Erdenwonne? Bist du nicht Eden, selig Thal? <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem"> <l> <pb facs="#f0225" n="207"/> </l> <lg n="15"> <l><hi rendition="#g">Ellwina</hi>.</l><lb/> <l>Ja, schön bist du, du unsers Lebens Wiege,</l><lb/> <l>Und einstens unser Grab! — Ach, wann ich nun</l><lb/> <l>An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege,</l><lb/> <l>So lass mich schuldlos an dir ruhn!</l> </lg><lb/> <lg n="16"> <l><hi rendition="#g">Erwin</hi>.</l><lb/> <l>Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne;</l><lb/> <l>Doch schöner ist ein menschlich Angesicht,</l><lb/> <l>Wenn leis' aus jedem Zug, und laut aus jeder Miene</l><lb/> <l>Der Seele hohe Schönheit spricht;</l> </lg><lb/> <lg n="17"> <l>Wenn Kindessinn im Wangengrübchen wohnet,</l><lb/> <l>Der Rührung Thau in seidnen Wimpern bebt,</l><lb/> <l>Auf wolkenloser Stirn die Ruh der Unschuld thronet,</l><lb/> <l>Und um die frischen Lippen schwebt.</l> </lg><lb/> <lg n="18"> <l>Die Flur erschliesst sich lauen Regengüssen;</l><lb/> <l>Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht.</l><lb/> <l>So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen,</l><lb/> <l>Und liebte gern' und darf es nicht.</l> </lg><lb/> <lg n="19"> <l><hi rendition="#g">Ellwina</hi>.</l><lb/> <l>Und darf nicht Erwin? — — Wonne, Erwin, Wonne!</l><lb/> <l>Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigal.</l><lb/> <l>Entzücken, das mich schwellt, bist du noch Erdenwonne?</l><lb/> <l>Bist du nicht Eden, selig Thal?</l> </lg><lb/> <l> </l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [207/0225]
Ellwina.
Ja, schön bist du, du unsers Lebens Wiege,
Und einstens unser Grab! — Ach, wann ich nun
An deiner kalten Brust, du gute Mutter, liege,
So lass mich schuldlos an dir ruhn!
Erwin.
Ja schön ist unser Stern im Frühlingsgrüne;
Doch schöner ist ein menschlich Angesicht,
Wenn leis' aus jedem Zug, und laut aus jeder Miene
Der Seele hohe Schönheit spricht;
Wenn Kindessinn im Wangengrübchen wohnet,
Der Rührung Thau in seidnen Wimpern bebt,
Auf wolkenloser Stirn die Ruh der Unschuld thronet,
Und um die frischen Lippen schwebt.
Die Flur erschliesst sich lauen Regengüssen;
Der Blume Kelch dem jungen Morgenlicht.
So fühlt zu solcher Huld mein Herz sich hingerissen,
Und liebte gern' und darf es nicht.
Ellwina.
Und darf nicht Erwin? — — Wonne, Erwin, Wonne!
Sie schlägt die Sängerin, die Nachtigal.
Entzücken, das mich schwellt, bist du noch Erdenwonne?
Bist du nicht Eden, selig Thal?
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Zitationshilfe: | Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 207. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/225>, abgerufen am 16.02.2025. |