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Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798.

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Tragt die Schläferin in ihre Kammer!
Tragt sie in ihr kühles Schlafgemach,
Dass sie ruhe sonder Qual und Jammer
Bis zu des Erwachens schönerm Tag! -- --
-- -- Horch, es brausen schon die Tempelhallen,
Die Gewölbe dröhnen dumpfen Klangs.
Durch das Schluchzen und das Weinen wallen
Trunkne Töne des Triumphgesangs:
"Wonne, Wonne, meine Palm' hab' ich erwun-
den!
"Freude, Freude, meinen Kranz hab' ich erkämpft!
"Frühe, frühe ward ich aller Qual entbunden --
All mein Jammer früh gedämpft!"
Einzeln dann und matt, wie aus den Tiefen
Weiter Ferne, weht ein leiser Laut:
"Selig sind, die früh und sanft entschliefen!
"Selig ich, des Himmels jüngste Braut!
"Weinend scheiden ist das Loos der Erden;
"Doch ihr Weinen währet kurze Zeit.
"Freunde, euer Gram wird Freude werden,
"Und Entzücken euer Herzeleid.
"Noch ein Kleines, und ich werd' euch nicht mehr
sehen!
"Noch ein Kleines, und ich werd' euch wiedersehn.
"Lebt denn wohl, und lasst zu jenen lichten Höhen,
"Lasset mich zum Vater gehn!"

Tragt die Schläferin in ihre Kammer!
Tragt sie in ihr kühles Schlafgemach,
Dass sie ruhe sonder Qual und Jammer
Bis zu des Erwachens schönerm Tag! — —
— — Horch, es brausen schon die Tempelhallen,
Die Gewölbe dröhnen dumpfen Klangs.
Durch das Schluchzen und das Weinen wallen
Trunkne Töne des Triumphgesangs:
„Wonne, Wonne, meine Palm' hab' ich erwun-
den!
„Freude, Freude, meinen Kranz hab' ich erkämpft!
„Frühe, frühe ward ich aller Qual entbunden —
All mein Jammer früh gedämpft!“
Einzeln dann und matt, wie aus den Tiefen
Weiter Ferne, weht ein leiser Laut:
„Selig sind, die früh und sanft entschliefen!
„Selig ich, des Himmels jüngste Braut!
„Weinend scheiden ist das Loos der Erden;
„Doch ihr Weinen währet kurze Zeit.
„Freunde, euer Gram wird Freude werden,
„Und Entzücken euer Herzeleid.
„Noch ein Kleines, und ich werd' euch nicht mehr
sehen!
„Noch ein Kleines, und ich werd' euch wiedersehn.
„Lebt denn wohl, und lasst zu jenen lichten Höhen,
„Lasset mich zum Vater gehn!“

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[340/0362] Tragt die Schläferin in ihre Kammer! Tragt sie in ihr kühles Schlafgemach, Dass sie ruhe sonder Qual und Jammer Bis zu des Erwachens schönerm Tag! — — — — Horch, es brausen schon die Tempelhallen, Die Gewölbe dröhnen dumpfen Klangs. Durch das Schluchzen und das Weinen wallen Trunkne Töne des Triumphgesangs: „Wonne, Wonne, meine Palm' hab' ich erwun- den! „Freude, Freude, meinen Kranz hab' ich erkämpft! „Frühe, frühe ward ich aller Qual entbunden — All mein Jammer früh gedämpft!“ Einzeln dann und matt, wie aus den Tiefen Weiter Ferne, weht ein leiser Laut: „Selig sind, die früh und sanft entschliefen! „Selig ich, des Himmels jüngste Braut! „Weinend scheiden ist das Loos der Erden; „Doch ihr Weinen währet kurze Zeit. „Freunde, euer Gram wird Freude werden, „Und Entzücken euer Herzeleid. „Noch ein Kleines, und ich werd' euch nicht mehr sehen! „Noch ein Kleines, und ich werd' euch wiedersehn. „Lebt denn wohl, und lasst zu jenen lichten Höhen, „Lasset mich zum Vater gehn!“

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Zitationshilfe: Kosegarten, Ludwig Gotthard: Poesieen. Bd. 2. Leipzig, 1798, S. 340. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kosegarten_poesieen02_1798/362>, abgerufen am 01.06.2024.