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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.

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dieselbe Geschichte von Guercini behandelt. Man sieht
auf den ersten Blick, daß der letztere gar kein Dichter
war; wer kann aber jemals ein großer Maler werden,
ohne Dichter zu seyn? wenn man die beiden Bilder in
Gedanken miteinander vergleicht, so kommt es einem
vor, als habe unser Opernschmidt V -- s auch einen
Wallenstein schreiben wollen. -- Die Rückkehr des
verlohrnen Sohnes
von Spada hat großen
Reiz für mich; besonders die Gestalt des Sohnes, die-
ses lebendigen Bildes von Mangel und Reue. -- Zwei
weibliche Portraits von Leonardo da Vinci fesseln
unwiderstehlich. Das Eine stellt die unglückliche An-
na Boleyn
dar, und interessirt durch das Schicksal
des Originals noch mehr als durch die Kunst. Das
andere ist Madame Lise, Gattin eines florentinischen
Edelmanns. Sollte der Himmel einmal wieder eine
heilige Jungfrau brauchen, so kann er durchaus keine
andere Gestalt dazu wählen als diese. -- Zwei
Jünglinge
von Raphael beide denkend, sind vor-
trefflich, und gaben mir eine weit höhere Jdee von dem
großen Meister, als sein heiliger Michael wie er den
Teufel besiegt. -- Jch schließe mit Guercini's Mars,
Venus und Amor, wo letzterer seinen Pfeil, muth-
willig drohend, eben im Begriff steht abzuschießen, wo
der Beschauer getäuscht alle Augenblicke den Pfeil in
seinem eignen Herzen erwartet, und sich doch nicht ent-
schließen kann dem Schusse auszuweichen.

Das ist ungefähr alles was mir ganz besonders
Vergnügen gemacht hat. -- Wie? hör' ich fragen, nicht
ein Wort mehr von Rubens von dem doch mehr als
fünfzig Bilder hier anzutreffen? nicht ein Wort von Ver-
nets
der Natur gestohlnen Landschaften? nichts von

dieselbe Geschichte von Guercini behandelt. Man sieht
auf den ersten Blick, daß der letztere gar kein Dichter
war; wer kann aber jemals ein großer Maler werden,
ohne Dichter zu seyn? wenn man die beiden Bilder in
Gedanken miteinander vergleicht, so kommt es einem
vor, als habe unser Opernschmidt V — s auch einen
Wallenstein schreiben wollen. — Die Ruͤckkehr des
verlohrnen Sohnes
von Spada hat großen
Reiz fuͤr mich; besonders die Gestalt des Sohnes, die-
ses lebendigen Bildes von Mangel und Reue. — Zwei
weibliche Portraits von Leonardo da Vinci fesseln
unwiderstehlich. Das Eine stellt die ungluͤckliche An-
na Boleyn
dar, und interessirt durch das Schicksal
des Originals noch mehr als durch die Kunst. Das
andere ist Madame Lise, Gattin eines florentinischen
Edelmanns. Sollte der Himmel einmal wieder eine
heilige Jungfrau brauchen, so kann er durchaus keine
andere Gestalt dazu waͤhlen als diese. — Zwei
Juͤnglinge
von Raphael beide denkend, sind vor-
trefflich, und gaben mir eine weit hoͤhere Jdee von dem
großen Meister, als sein heiliger Michael wie er den
Teufel besiegt. — Jch schließe mit Guercini's Mars,
Venus und Amor, wo letzterer seinen Pfeil, muth-
willig drohend, eben im Begriff steht abzuschießen, wo
der Beschauer getaͤuscht alle Augenblicke den Pfeil in
seinem eignen Herzen erwartet, und sich doch nicht ent-
schließen kann dem Schusse auszuweichen.

Das ist ungefaͤhr alles was mir ganz besonders
Vergnuͤgen gemacht hat. — Wie? hoͤr' ich fragen, nicht
ein Wort mehr von Rubens von dem doch mehr als
fuͤnfzig Bilder hier anzutreffen? nicht ein Wort von Ver-
nets
der Natur gestohlnen Landschaften? nichts von

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[147/0151] dieselbe Geschichte von Guercini behandelt. Man sieht auf den ersten Blick, daß der letztere gar kein Dichter war; wer kann aber jemals ein großer Maler werden, ohne Dichter zu seyn? wenn man die beiden Bilder in Gedanken miteinander vergleicht, so kommt es einem vor, als habe unser Opernschmidt V — s auch einen Wallenstein schreiben wollen. — Die Ruͤckkehr des verlohrnen Sohnes von Spada hat großen Reiz fuͤr mich; besonders die Gestalt des Sohnes, die- ses lebendigen Bildes von Mangel und Reue. — Zwei weibliche Portraits von Leonardo da Vinci fesseln unwiderstehlich. Das Eine stellt die ungluͤckliche An- na Boleyn dar, und interessirt durch das Schicksal des Originals noch mehr als durch die Kunst. Das andere ist Madame Lise, Gattin eines florentinischen Edelmanns. Sollte der Himmel einmal wieder eine heilige Jungfrau brauchen, so kann er durchaus keine andere Gestalt dazu waͤhlen als diese. — Zwei Juͤnglinge von Raphael beide denkend, sind vor- trefflich, und gaben mir eine weit hoͤhere Jdee von dem großen Meister, als sein heiliger Michael wie er den Teufel besiegt. — Jch schließe mit Guercini's Mars, Venus und Amor, wo letzterer seinen Pfeil, muth- willig drohend, eben im Begriff steht abzuschießen, wo der Beschauer getaͤuscht alle Augenblicke den Pfeil in seinem eignen Herzen erwartet, und sich doch nicht ent- schließen kann dem Schusse auszuweichen. Das ist ungefaͤhr alles was mir ganz besonders Vergnuͤgen gemacht hat. — Wie? hoͤr' ich fragen, nicht ein Wort mehr von Rubens von dem doch mehr als fuͤnfzig Bilder hier anzutreffen? nicht ein Wort von Ver- nets der Natur gestohlnen Landschaften? nichts von

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 147. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/151>, abgerufen am 24.11.2024.