Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804.nen Blicke nicht ganz ernstlich zu entziehen sucht? -- nen Blicke nicht ganz ernstlich zu entziehen sucht? — <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <div n="4"> <p><pb facs="#f0161" n="157"/> nen Blicke nicht ganz ernstlich zu entziehen sucht? —<lb/> Sie hat <hi rendition="#g">Ohrloͤcher,</hi> in welchen wohl vormals praͤch-<lb/> tige Ohrgehaͤnge prangen mochten, so wie die Spur auf<lb/> ihrem linken Arm deutlich zeigt, daß sie einst das Arm-<lb/> band, <hi rendition="#g">Spinther</hi> genannt, trug. Man sagt, man<lb/> wolle ihr diese Zierrathen wieder geben, um ganz den<lb/> Geschmack der Alten nachzuahmen, welche Gold und<lb/> Marmor gern mischten. Nach meinem Geschmack waͤre<lb/> das nicht. — Der Kuͤnstler, der diese Venus schuf,<lb/> soll <hi rendition="#g">Cleomenes</hi> geheißen haben, und in Darstellung<lb/> schoͤner Weiber sehr gluͤcklich gewesen seyn; so sehr, daß<lb/> Plinius sogar erzaͤhlt, ein roͤmischer Ritter habe sich einst<lb/> in eine seiner Statuͤen zum Sterben verliebt. Was kann<lb/> ich denn ferner dafuͤr, daß dieser <hi rendition="#g">Laocoon</hi> mir eine Em-<lb/> pfindung giebt, wie der Menschenfresser zu <hi rendition="#g">Berka</hi> bei<lb/> Weimar, als ich ihn in meiner Jugend raͤdern sah? —<lb/> „Kunst, hohe Kunst!“ allen Respekt vor der Kunst;<lb/> da ich aber nicht hieher gekommen bin um die Anatomie<lb/> zu studieren, so gehe ich voruͤber, will jedoch Nieman-<lb/> den in seinem Glauben irre machen. Man lasse nur auch<lb/> mir den meinigen, der unabweichlich darin besteht, daß<lb/> die <hi rendition="#g">schoͤnen Kuͤnste</hi> auch <hi rendition="#g">schoͤne Gegenstaͤnde</hi><lb/> behandeln muͤssen, und daß, eben so wenig als eine<lb/> Darstellung von Gerstenbergs <hi rendition="#g">vortrefflichen Ugo-<lb/> lino</hi> auf der Buͤhne Vergnuͤgen gewaͤhren wuͤrde, eben<lb/> so wenig der <hi rendition="#g">Laocoon</hi> mit seinen scheuslichen Schlan-<lb/> gen. — Um meine Phantasie von ihm loszuwinden,<lb/> bleibe ich vor der Bildsaͤule dieses schoͤnen Juͤnglings ste-<lb/> hen, den man <hi rendition="#g">Paris</hi> nennt, weil ihm der <hi rendition="#g">Erneue-<lb/> rer</hi> einen Apfel in die Hand gegeben, der aber eigent-<lb/> lich ein Priester des Gottes <hi rendition="#g">Mithra</hi> ist, dessen My-<lb/> sterien in Grotten gefeiert wurden. Auch grub man ihn<lb/></p> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [157/0161]
nen Blicke nicht ganz ernstlich zu entziehen sucht? —
Sie hat Ohrloͤcher, in welchen wohl vormals praͤch-
tige Ohrgehaͤnge prangen mochten, so wie die Spur auf
ihrem linken Arm deutlich zeigt, daß sie einst das Arm-
band, Spinther genannt, trug. Man sagt, man
wolle ihr diese Zierrathen wieder geben, um ganz den
Geschmack der Alten nachzuahmen, welche Gold und
Marmor gern mischten. Nach meinem Geschmack waͤre
das nicht. — Der Kuͤnstler, der diese Venus schuf,
soll Cleomenes geheißen haben, und in Darstellung
schoͤner Weiber sehr gluͤcklich gewesen seyn; so sehr, daß
Plinius sogar erzaͤhlt, ein roͤmischer Ritter habe sich einst
in eine seiner Statuͤen zum Sterben verliebt. Was kann
ich denn ferner dafuͤr, daß dieser Laocoon mir eine Em-
pfindung giebt, wie der Menschenfresser zu Berka bei
Weimar, als ich ihn in meiner Jugend raͤdern sah? —
„Kunst, hohe Kunst!“ allen Respekt vor der Kunst;
da ich aber nicht hieher gekommen bin um die Anatomie
zu studieren, so gehe ich voruͤber, will jedoch Nieman-
den in seinem Glauben irre machen. Man lasse nur auch
mir den meinigen, der unabweichlich darin besteht, daß
die schoͤnen Kuͤnste auch schoͤne Gegenstaͤnde
behandeln muͤssen, und daß, eben so wenig als eine
Darstellung von Gerstenbergs vortrefflichen Ugo-
lino auf der Buͤhne Vergnuͤgen gewaͤhren wuͤrde, eben
so wenig der Laocoon mit seinen scheuslichen Schlan-
gen. — Um meine Phantasie von ihm loszuwinden,
bleibe ich vor der Bildsaͤule dieses schoͤnen Juͤnglings ste-
hen, den man Paris nennt, weil ihm der Erneue-
rer einen Apfel in die Hand gegeben, der aber eigent-
lich ein Priester des Gottes Mithra ist, dessen My-
sterien in Grotten gefeiert wurden. Auch grub man ihn
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