aus einer Höhle am Tiberstrom. Die Draperie seines Gewandes ist sehr geschmackvoll. Doch freilich steht er an Vollendung jenem herrlichen Jüngling weit nach, den man lange für einen Antinous gehalten, hernach, den Jrrthum einsehend, ihn bald Theseus, bald un- bärtigen Hercules, bald Meleager genannt, jetzt endlich ihn ziemlich einstimmig für einen Mercur giebt. Er sey und heiße wer und wie er wolle, er ist und bleibt eines der anziehendsten Kunstwerke in dieser reichen Sammlung. Die Harmonie zwischen allen sei- nen Theilen ist so schön, daß Poussin einst vorzüglich von ihm die Proportionen der menschlichen Gestalt ab- strahirte. -- Die schöne Leucothea, des Bacchus Amme, mit ihrem Säugling auf dem Arm, hat es wohl verdient, daß Winkelmann sie verewigte. Diese Grup- pe ist eines der ältesten noch vorhandenen griechischen Kunstwerke. O wie hold freundlich sie auf das Kind her- abblickt! Keine Mutter wird an ihr vorübergehen. -- Doch halt! ich stehe vor dem Apoll von Belvede- re! und diesesmal kniee ich willig nieder und verei- nige mein Staunen, meine Bewunderung mit denen der Kenner und Nichtkenner. Ja, dieser flüchtige Fuß hat die Schlange Python erreicht, schon flog der tödten- de Pfeil vom Bogen, jedes Glied zeugt noch von An- strengung; der Unwille thront auf seiner Lippe, aber Zuversicht des Sieges in seinem Auge, und die Zufrie- denheit, Delphos von jenem Ungeheuer befreit zu haben. Die leichten Locken ringeln sich um den Hals, oder stre- ben unter der Götterbinde hervor. Um die rechte Schul- ter hängt der Köcher an einem Bande, reiche Sanda- len zieren seine Füße. Die zurückgeworfene Chlamys enthüllt jeden Theil seiner göttlichen Gestalt. Ewige Ju-
aus einer Hoͤhle am Tiberstrom. Die Draperie seines Gewandes ist sehr geschmackvoll. Doch freilich steht er an Vollendung jenem herrlichen Juͤngling weit nach, den man lange fuͤr einen Antinous gehalten, hernach, den Jrrthum einsehend, ihn bald Theseus, bald un- baͤrtigen Hercules, bald Meleager genannt, jetzt endlich ihn ziemlich einstimmig fuͤr einen Mercur giebt. Er sey und heiße wer und wie er wolle, er ist und bleibt eines der anziehendsten Kunstwerke in dieser reichen Sammlung. Die Harmonie zwischen allen sei- nen Theilen ist so schoͤn, daß Poussin einst vorzuͤglich von ihm die Proportionen der menschlichen Gestalt ab- strahirte. — Die schoͤne Leucothea, des Bacchus Amme, mit ihrem Saͤugling auf dem Arm, hat es wohl verdient, daß Winkelmann sie verewigte. Diese Grup- pe ist eines der aͤltesten noch vorhandenen griechischen Kunstwerke. O wie hold freundlich sie auf das Kind her- abblickt! Keine Mutter wird an ihr voruͤbergehen. — Doch halt! ich stehe vor dem Apoll von Belvede- re! und diesesmal kniee ich willig nieder und verei- nige mein Staunen, meine Bewunderung mit denen der Kenner und Nichtkenner. Ja, dieser fluͤchtige Fuß hat die Schlange Python erreicht, schon flog der toͤdten- de Pfeil vom Bogen, jedes Glied zeugt noch von An- strengung; der Unwille thront auf seiner Lippe, aber Zuversicht des Sieges in seinem Auge, und die Zufrie- denheit, Delphos von jenem Ungeheuer befreit zu haben. Die leichten Locken ringeln sich um den Hals, oder stre- ben unter der Goͤtterbinde hervor. Um die rechte Schul- ter haͤngt der Koͤcher an einem Bande, reiche Sanda- len zieren seine Fuͤße. Die zuruͤckgeworfene Chlamys enthuͤllt jeden Theil seiner goͤttlichen Gestalt. Ewige Ju-
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aus einer Hoͤhle am Tiberstrom. Die Draperie seines
Gewandes ist sehr geschmackvoll. Doch freilich steht er
an Vollendung jenem herrlichen Juͤngling weit nach, den
man lange fuͤr einen Antinous gehalten, hernach,
den Jrrthum einsehend, ihn bald Theseus, bald un-
baͤrtigen Hercules, bald Meleager genannt,
jetzt endlich ihn ziemlich einstimmig fuͤr einen Mercur
giebt. Er sey und heiße wer und wie er wolle, er ist
und bleibt eines der anziehendsten Kunstwerke in dieser
reichen Sammlung. Die Harmonie zwischen allen sei-
nen Theilen ist so schoͤn, daß Poussin einst vorzuͤglich
von ihm die Proportionen der menschlichen Gestalt ab-
strahirte. — Die schoͤne Leucothea, des Bacchus
Amme, mit ihrem Saͤugling auf dem Arm, hat es wohl
verdient, daß Winkelmann sie verewigte. Diese Grup-
pe ist eines der aͤltesten noch vorhandenen griechischen
Kunstwerke. O wie hold freundlich sie auf das Kind her-
abblickt! Keine Mutter wird an ihr voruͤbergehen. —
Doch halt! ich stehe vor dem Apoll von Belvede-
re! und diesesmal kniee ich willig nieder und verei-
nige mein Staunen, meine Bewunderung mit denen der
Kenner und Nichtkenner. Ja, dieser fluͤchtige Fuß hat
die Schlange Python erreicht, schon flog der toͤdten-
de Pfeil vom Bogen, jedes Glied zeugt noch von An-
strengung; der Unwille thront auf seiner Lippe, aber
Zuversicht des Sieges in seinem Auge, und die Zufrie-
denheit, Delphos von jenem Ungeheuer befreit zu haben.
Die leichten Locken ringeln sich um den Hals, oder stre-
ben unter der Goͤtterbinde hervor. Um die rechte Schul-
ter haͤngt der Koͤcher an einem Bande, reiche Sanda-
len zieren seine Fuͤße. Die zuruͤckgeworfene Chlamys
enthuͤllt jeden Theil seiner goͤttlichen Gestalt. Ewige Ju-
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 158. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/162>, abgerufen am 16.02.2025.
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