ners a la fourchette), die vormals verachtet, und, als ein grober Gebrauch, blos gemeinen Leuten und Rei- senden überlassen wurden. Jetzt sind sie in reichen Häu- sern des neuen Frankreich sehr gewöhnlich. Die Ge- schäfte fangen selten vor 10 Uhr an. Gegen 1 Uhr wird eine Mahagony-Tafel gedeckt, mit vielerlei Gattungen kalten Fleisches und mancherlei Weinen besetzt. Von warmen Speisen werden höchstens geduldet: Tauben a la Crapaudine, Hühner a la tartare, kleine Pastetchen au jus, rognons (Abschnitzel, eine sehr be- liebte Schüssel) und Bratwürstchen. Hingegen giebt es kalte Fleischsallade, Wild- und Schinken-Pasteten, und zur Vorrede Austern von dem berühmten Felsen von Cancale. -- Ein solches Frühstück kann freilich weder der arme Rentenierer noch der bescheidene Musensohn sich auftischen lassen; die Einkünfte des Erstern würden nicht acht Tage hinreichen, und die Phantasie des Letz- tern würde unter dem Gewicht der Pasteten erliegen; denn als Boileau sang: Horace a bu son soul quand il voit les menades da meinte er nicht die jetzigen Frühstücke. Zu große Mäßigkeit mag freilich die Lebensgeister nicht anfrischen, aber zu viele saftreiche Speisen ersticken sie ganz. Jn- dessen muß der Musensohn doch auch etwas haben, um den Mittag ohne Murren erwarten zu können, etwas das leicht, doch substantiös, den Magen beschwichtigt ohne die Einbildungskraft zu hemmen; das gut schmeckt und doch wohlfeil ist, das viele sättigende Bestandthei- le in einem kleinen Raum einschließt, und doch nicht hindert, als Gast einem Mittagsessen Ehre zu machen. Dieses Problem hat die Schokolade gelöst. Vor 20 Jahren tranken nur alte Leute Schokolade, jetzt Je-
ners à la fourchette), die vormals verachtet, und, als ein grober Gebrauch, blos gemeinen Leuten und Rei- senden uͤberlassen wurden. Jetzt sind sie in reichen Haͤu- sern des neuen Frankreich sehr gewoͤhnlich. Die Ge- schaͤfte fangen selten vor 10 Uhr an. Gegen 1 Uhr wird eine Mahagony-Tafel gedeckt, mit vielerlei Gattungen kalten Fleisches und mancherlei Weinen besetzt. Von warmen Speisen werden hoͤchstens geduldet: Tauben à la Crapaudine, Huͤhner à la tartare, kleine Pastetchen au jus, rognons (Abschnitzel, eine sehr be- liebte Schuͤssel) und Bratwuͤrstchen. Hingegen giebt es kalte Fleischsallade, Wild- und Schinken-Pasteten, und zur Vorrede Austern von dem beruͤhmten Felsen von Cancale. — Ein solches Fruͤhstuͤck kann freilich weder der arme Rentenierer noch der bescheidene Musensohn sich auftischen lassen; die Einkuͤnfte des Erstern wuͤrden nicht acht Tage hinreichen, und die Phantasie des Letz- tern wuͤrde unter dem Gewicht der Pasteten erliegen; denn als Boileau sang: Horace a bu son soul quand il voit les ménades da meinte er nicht die jetzigen Fruͤhstuͤcke. Zu große Maͤßigkeit mag freilich die Lebensgeister nicht anfrischen, aber zu viele saftreiche Speisen ersticken sie ganz. Jn- dessen muß der Musensohn doch auch etwas haben, um den Mittag ohne Murren erwarten zu koͤnnen, etwas das leicht, doch substantioͤs, den Magen beschwichtigt ohne die Einbildungskraft zu hemmen; das gut schmeckt und doch wohlfeil ist, das viele saͤttigende Bestandthei- le in einem kleinen Raum einschließt, und doch nicht hindert, als Gast einem Mittagsessen Ehre zu machen. Dieses Problem hat die Schokolade geloͤst. Vor 20 Jahren tranken nur alte Leute Schokolade, jetzt Je-
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><divn="4"><p><pbfacs="#f0171"n="167"/>
ners à la fourchette), die vormals verachtet, und, als<lb/>
ein grober Gebrauch, blos gemeinen Leuten und Rei-<lb/>
senden uͤberlassen wurden. Jetzt sind sie in reichen Haͤu-<lb/>
sern des neuen Frankreich sehr gewoͤhnlich. Die Ge-<lb/>
schaͤfte fangen selten vor 10 Uhr an. Gegen 1 Uhr wird<lb/>
eine Mahagony-Tafel gedeckt, mit vielerlei Gattungen<lb/>
kalten <hirendition="#g">Fleisches</hi> und mancherlei <hirendition="#g">Weinen</hi> besetzt.<lb/>
Von <hirendition="#g">warmen</hi> Speisen werden hoͤchstens geduldet:<lb/>
Tauben à la Crapaudine, Huͤhner à la tartare, kleine<lb/>
Pastetchen au jus, rognons (Abschnitzel, eine sehr be-<lb/>
liebte Schuͤssel) und Bratwuͤrstchen. Hingegen giebt es<lb/>
kalte Fleischsallade, Wild- und Schinken-Pasteten, und<lb/>
zur Vorrede Austern von dem beruͤhmten Felsen von<lb/>
Cancale. — Ein solches Fruͤhstuͤck kann freilich weder<lb/>
der arme Rentenierer noch der bescheidene Musensohn<lb/>
sich auftischen lassen; die Einkuͤnfte des Erstern wuͤrden<lb/>
nicht acht Tage hinreichen, und die Phantasie des Letz-<lb/>
tern wuͤrde unter dem Gewicht der Pasteten erliegen;<lb/>
denn als Boileau sang:<lb/>
Horace a bu son soul quand il voit les ménades<lb/>
da meinte er nicht die jetzigen Fruͤhstuͤcke. Zu große<lb/>
Maͤßigkeit mag freilich die Lebensgeister nicht anfrischen,<lb/>
aber zu viele saftreiche Speisen ersticken sie ganz. Jn-<lb/>
dessen muß der Musensohn doch auch etwas haben, um<lb/>
den Mittag ohne Murren erwarten zu koͤnnen, etwas<lb/>
das leicht, doch substantioͤs, den Magen beschwichtigt<lb/>
ohne die Einbildungskraft zu hemmen; das gut schmeckt<lb/>
und doch wohlfeil ist, das viele saͤttigende Bestandthei-<lb/>
le in einem kleinen Raum einschließt, und doch nicht<lb/>
hindert, als Gast einem Mittagsessen Ehre zu machen.<lb/>
Dieses Problem hat die <hirendition="#g">Schokolade</hi> geloͤst. Vor<lb/>
20 Jahren tranken nur alte Leute Schokolade, jetzt Je-<lb/></p></div></div></div></div></body></text></TEI>
[167/0171]
ners à la fourchette), die vormals verachtet, und, als
ein grober Gebrauch, blos gemeinen Leuten und Rei-
senden uͤberlassen wurden. Jetzt sind sie in reichen Haͤu-
sern des neuen Frankreich sehr gewoͤhnlich. Die Ge-
schaͤfte fangen selten vor 10 Uhr an. Gegen 1 Uhr wird
eine Mahagony-Tafel gedeckt, mit vielerlei Gattungen
kalten Fleisches und mancherlei Weinen besetzt.
Von warmen Speisen werden hoͤchstens geduldet:
Tauben à la Crapaudine, Huͤhner à la tartare, kleine
Pastetchen au jus, rognons (Abschnitzel, eine sehr be-
liebte Schuͤssel) und Bratwuͤrstchen. Hingegen giebt es
kalte Fleischsallade, Wild- und Schinken-Pasteten, und
zur Vorrede Austern von dem beruͤhmten Felsen von
Cancale. — Ein solches Fruͤhstuͤck kann freilich weder
der arme Rentenierer noch der bescheidene Musensohn
sich auftischen lassen; die Einkuͤnfte des Erstern wuͤrden
nicht acht Tage hinreichen, und die Phantasie des Letz-
tern wuͤrde unter dem Gewicht der Pasteten erliegen;
denn als Boileau sang:
Horace a bu son soul quand il voit les ménades
da meinte er nicht die jetzigen Fruͤhstuͤcke. Zu große
Maͤßigkeit mag freilich die Lebensgeister nicht anfrischen,
aber zu viele saftreiche Speisen ersticken sie ganz. Jn-
dessen muß der Musensohn doch auch etwas haben, um
den Mittag ohne Murren erwarten zu koͤnnen, etwas
das leicht, doch substantioͤs, den Magen beschwichtigt
ohne die Einbildungskraft zu hemmen; das gut schmeckt
und doch wohlfeil ist, das viele saͤttigende Bestandthei-
le in einem kleinen Raum einschließt, und doch nicht
hindert, als Gast einem Mittagsessen Ehre zu machen.
Dieses Problem hat die Schokolade geloͤst. Vor
20 Jahren tranken nur alte Leute Schokolade, jetzt Je-
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 167. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/171>, abgerufen am 16.02.2025.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften
(Kontakt).
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2025. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.