Jch bitte mir Jhren Arm aus! -- Wozu? -- Um bei dem schönen Herbstwetter einen Spaziergang durch die Straßen von Paris zu machen. Er wird sie nicht gereuen. Kein Fremder sollte einen solchen Spaziergang versäumen, denn die Quays, Boulevards u. s. w. bieten vom Morgen bis zum Abend das unterhaltendste Schau- spiel dar. So oft Zeit und Witterung es mir erlaubten, bin ich zu Fuß herum geschlendert, bin überall stehen ge- blieben, wo ein Häuflein sich sammelte, habe gesehen, gehört, auch gegafft, wenn Sie wollen, mich treflich amu- sirt, und nebenher auch nicht selten ein Körnlein der Er- fahrung in mein Gedächtniß niedergelegt. Folgen Sie mir getrost. -- Sieh da, ein Glücksrad von Glas. Wun- dern Sie sich nicht. Die Extreme berühren sich. Die auf- geklärteste Nation von Europa scheint zugleich die aber- gläubigste. An allen Ecken und Enden der Stadt finden Sie listige Menschen, die unter allerlei Formen, auf al- lerlei Manier, die Vorübergehenden herbei locken, um ih- nen untrüglich zu verkündigen, welche Nummern bei der nächsten Ziehung aus den zahlreichen französischen Lotto's hervorgehen werden, und immer ist ein solcher Prophet von einem dichten Kreise umgeben. Hier, dies schmutzige Glücksrad, es hat oben ein viereckiges Loch; der zerlump- te Kerl, der da hinter steht, hat sich von einem Gänse- rückenknochen ein Ding gemacht, welches die spielenden Kinder in Deutschland einen Hippuff (Hüpfe auf) zu nennen pflegen; das Ding setzt er mit vielem Ernste auf das Loch, ahmt, fast ohne die Lippen zu bewegen, die Sprache des Pulcinells nach, und es klingt gerade so, als ob ein kleiner Dämon in dem Rade säße, und die Vor- beigehenden anriefe. Treten nun die Neugierigen hinzu, so springt plötzlich der Hippuff von dem Loche, und die
Jch bitte mir Jhren Arm aus! — Wozu? — Um bei dem schoͤnen Herbstwetter einen Spaziergang durch die Straßen von Paris zu machen. Er wird sie nicht gereuen. Kein Fremder sollte einen solchen Spaziergang versaͤumen, denn die Quays, Boulevards u. s. w. bieten vom Morgen bis zum Abend das unterhaltendste Schau- spiel dar. So oft Zeit und Witterung es mir erlaubten, bin ich zu Fuß herum geschlendert, bin uͤberall stehen ge- blieben, wo ein Haͤuflein sich sammelte, habe gesehen, gehoͤrt, auch gegafft, wenn Sie wollen, mich treflich amu- sirt, und nebenher auch nicht selten ein Koͤrnlein der Er- fahrung in mein Gedaͤchtniß niedergelegt. Folgen Sie mir getrost. — Sieh da, ein Gluͤcksrad von Glas. Wun- dern Sie sich nicht. Die Extreme beruͤhren sich. Die auf- geklaͤrteste Nation von Europa scheint zugleich die aber- glaͤubigste. An allen Ecken und Enden der Stadt finden Sie listige Menschen, die unter allerlei Formen, auf al- lerlei Manier, die Voruͤbergehenden herbei locken, um ih- nen untruͤglich zu verkuͤndigen, welche Nummern bei der naͤchsten Ziehung aus den zahlreichen franzoͤsischen Lotto's hervorgehen werden, und immer ist ein solcher Prophet von einem dichten Kreise umgeben. Hier, dies schmutzige Gluͤcksrad, es hat oben ein viereckiges Loch; der zerlump- te Kerl, der da hinter steht, hat sich von einem Gaͤnse- ruͤckenknochen ein Ding gemacht, welches die spielenden Kinder in Deutschland einen Hippuff (Huͤpfe auf) zu nennen pflegen; das Ding setzt er mit vielem Ernste auf das Loch, ahmt, fast ohne die Lippen zu bewegen, die Sprache des Pulcinells nach, und es klingt gerade so, als ob ein kleiner Daͤmon in dem Rade saͤße, und die Vor- beigehenden anriefe. Treten nun die Neugierigen hinzu, so springt ploͤtzlich der Hippuff von dem Loche, und die
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Jch bitte mir Jhren Arm aus! — Wozu? — Um bei
dem schoͤnen Herbstwetter einen Spaziergang durch die
Straßen von Paris zu machen. Er wird sie nicht
gereuen. Kein Fremder sollte einen solchen Spaziergang
versaͤumen, denn die Quays, Boulevards u. s. w. bieten
vom Morgen bis zum Abend das unterhaltendste Schau-
spiel dar. So oft Zeit und Witterung es mir erlaubten,
bin ich zu Fuß herum geschlendert, bin uͤberall stehen ge-
blieben, wo ein Haͤuflein sich sammelte, habe gesehen,
gehoͤrt, auch gegafft, wenn Sie wollen, mich treflich amu-
sirt, und nebenher auch nicht selten ein Koͤrnlein der Er-
fahrung in mein Gedaͤchtniß niedergelegt. Folgen Sie mir
getrost. — Sieh da, ein Gluͤcksrad von Glas. Wun-
dern Sie sich nicht. Die Extreme beruͤhren sich. Die auf-
geklaͤrteste Nation von Europa scheint zugleich die aber-
glaͤubigste. An allen Ecken und Enden der Stadt finden
Sie listige Menschen, die unter allerlei Formen, auf al-
lerlei Manier, die Voruͤbergehenden herbei locken, um ih-
nen untruͤglich zu verkuͤndigen, welche Nummern bei der
naͤchsten Ziehung aus den zahlreichen franzoͤsischen Lotto's
hervorgehen werden, und immer ist ein solcher Prophet
von einem dichten Kreise umgeben. Hier, dies schmutzige
Gluͤcksrad, es hat oben ein viereckiges Loch; der zerlump-
te Kerl, der da hinter steht, hat sich von einem Gaͤnse-
ruͤckenknochen ein Ding gemacht, welches die spielenden
Kinder in Deutschland einen Hippuff (Huͤpfe auf) zu
nennen pflegen; das Ding setzt er mit vielem Ernste auf
das Loch, ahmt, fast ohne die Lippen zu bewegen, die
Sprache des Pulcinells nach, und es klingt gerade so, als
ob ein kleiner Daͤmon in dem Rade saͤße, und die Vor-
beigehenden anriefe. Treten nun die Neugierigen hinzu,
so springt ploͤtzlich der Hippuff von dem Loche, und die
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Kommentar zur DTA-Ausgabe
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr]
Die "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von August von Kotzebue erschienen 1804 in einer einbändigen Ausgabe im Frölich-Verlag, Berlin. Im gleichen Jahr wurde diese Ausgabe als zweibändige Ausgabe in einem Band im Titel als "unveränderte Auflage" bezeichnet, herausgegeben. Das Deutsche Textarchiv hat den Text der 3. unveränderten Auflage im Rahmen einer Kuration herausgegeben.
Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 1. Berlin, 1804, S. 48. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen01_1804/52>, abgerufen am 16.02.2025.
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