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Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.

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erstarrten Körper zurück. Er weis Nichts davon, daß
er die todte Hand der Geliebten in der seinigen hält; er
weis Nichts davon, daß sein armes Kind zu seinen Fü-
ßen wimmert; er fühlt auch nicht eigentlich sein Elend:
denn er ist leblos. Großer Gott! es ist nicht möglich,
eine Minute vor diesem Bilde zu verweilen, ohne daß Ei-
nem die Thränen aus den Augen stürzen; und wenn man
es schon längst verließ, erblickt man noch lange in jedem
Winkel die herzzerreißende Gestalt; selbst jetzt, indem ich
dieses schreibe, steht sie lebhaft vor mir, und durchschauert
mich mit unnennbarer Wehmuth.

Hieher gehört eine Anekdote, die den französischen
Künstlern zu großer Ehre gereicht. Bey der Ausstellung
im Louvre erhielt, ich weis nicht mehr, welches Gemäl-
de so vorzüglichen Beyfall, daß die Nebenbuhler des
Malers selbst einen Kranz darüber hiengen. Einige Ta-
ge nachher brachte Guerin seinen herrlichen Hippolite
accuse par Phedre; als der bekränzte Maler dieß Mei-
sterstück erblickte, diese Schöpfung des innigsten Gefühls
mit der Kunst verschwistert, flog er nach seinem Kranze,
riß ihn herunter, und hieng ihn auf über dem Hippolite.
Seine Mitbrüder theilten den Enthusiasmus, und ver-
langten, daß Guerin's Portrait, von Robert Lefe-
bure
sehr gut gemalt, neben dem Bilde unter dem Kran-
ze aufgehängt werden sollte, welches auch geschah. --
Als Lucian Bonaparte, der auch diejenigen Schönheiten
des Marcus Sextus zu fühlen vermag, die außer dem
Gebiethe der Kunst liegen, ihn sah, kaufte er ihn auf
der Stelle für 1000 Livres. Jch prophezeihe, daß der
Werth dieses Bildes in 100 Jahren zehnfach steigen, und
daß jeder Mensch von Gefühl hin zu ihm wallfahrten
wird. Man sagt, es soll in Kupfer gestochen werden;

erstarrten Koͤrper zuruͤck. Er weis Nichts davon, daß
er die todte Hand der Geliebten in der seinigen haͤlt; er
weis Nichts davon, daß sein armes Kind zu seinen Fuͤ-
ßen wimmert; er fuͤhlt auch nicht eigentlich sein Elend:
denn er ist leblos. Großer Gott! es ist nicht moͤglich,
eine Minute vor diesem Bilde zu verweilen, ohne daß Ei-
nem die Thraͤnen aus den Augen stuͤrzen; und wenn man
es schon laͤngst verließ, erblickt man noch lange in jedem
Winkel die herzzerreißende Gestalt; selbst jetzt, indem ich
dieses schreibe, steht sie lebhaft vor mir, und durchschauert
mich mit unnennbarer Wehmuth.

Hieher gehoͤrt eine Anekdote, die den franzoͤsischen
Kuͤnstlern zu großer Ehre gereicht. Bey der Ausstellung
im Louvre erhielt, ich weis nicht mehr, welches Gemaͤl-
de so vorzuͤglichen Beyfall, daß die Nebenbuhler des
Malers selbst einen Kranz daruͤber hiengen. Einige Ta-
ge nachher brachte Guérin seinen herrlichen Hippolite
accusé par Phèdre; als der bekraͤnzte Maler dieß Mei-
sterstuͤck erblickte, diese Schoͤpfung des innigsten Gefuͤhls
mit der Kunst verschwistert, flog er nach seinem Kranze,
riß ihn herunter, und hieng ihn auf uͤber dem Hippolite.
Seine Mitbruͤder theilten den Enthusiasmus, und ver-
langten, daß Guérin's Portrait, von Robert Lefe-
bure
sehr gut gemalt, neben dem Bilde unter dem Kran-
ze aufgehaͤngt werden sollte, welches auch geschah. —
Als Lucian Bonaparte, der auch diejenigen Schoͤnheiten
des Marcus Sextus zu fuͤhlen vermag, die außer dem
Gebiethe der Kunst liegen, ihn sah, kaufte er ihn auf
der Stelle fuͤr 1000 Livres. Jch prophezeihe, daß der
Werth dieses Bildes in 100 Jahren zehnfach steigen, und
daß jeder Mensch von Gefuͤhl hin zu ihm wallfahrten
wird. Man sagt, es soll in Kupfer gestochen werden;

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[110/0110] erstarrten Koͤrper zuruͤck. Er weis Nichts davon, daß er die todte Hand der Geliebten in der seinigen haͤlt; er weis Nichts davon, daß sein armes Kind zu seinen Fuͤ- ßen wimmert; er fuͤhlt auch nicht eigentlich sein Elend: denn er ist leblos. Großer Gott! es ist nicht moͤglich, eine Minute vor diesem Bilde zu verweilen, ohne daß Ei- nem die Thraͤnen aus den Augen stuͤrzen; und wenn man es schon laͤngst verließ, erblickt man noch lange in jedem Winkel die herzzerreißende Gestalt; selbst jetzt, indem ich dieses schreibe, steht sie lebhaft vor mir, und durchschauert mich mit unnennbarer Wehmuth. Hieher gehoͤrt eine Anekdote, die den franzoͤsischen Kuͤnstlern zu großer Ehre gereicht. Bey der Ausstellung im Louvre erhielt, ich weis nicht mehr, welches Gemaͤl- de so vorzuͤglichen Beyfall, daß die Nebenbuhler des Malers selbst einen Kranz daruͤber hiengen. Einige Ta- ge nachher brachte Guérin seinen herrlichen Hippolite accusé par Phèdre; als der bekraͤnzte Maler dieß Mei- sterstuͤck erblickte, diese Schoͤpfung des innigsten Gefuͤhls mit der Kunst verschwistert, flog er nach seinem Kranze, riß ihn herunter, und hieng ihn auf uͤber dem Hippolite. Seine Mitbruͤder theilten den Enthusiasmus, und ver- langten, daß Guérin's Portrait, von Robert Lefe- bure sehr gut gemalt, neben dem Bilde unter dem Kran- ze aufgehaͤngt werden sollte, welches auch geschah. — Als Lucian Bonaparte, der auch diejenigen Schoͤnheiten des Marcus Sextus zu fuͤhlen vermag, die außer dem Gebiethe der Kunst liegen, ihn sah, kaufte er ihn auf der Stelle fuͤr 1000 Livres. Jch prophezeihe, daß der Werth dieses Bildes in 100 Jahren zehnfach steigen, und daß jeder Mensch von Gefuͤhl hin zu ihm wallfahrten wird. Man sagt, es soll in Kupfer gestochen werden;

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Zitationshilfe: Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804, S. 110. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/kotzebue_erinnerungen02_1804/110>, abgerufen am 23.11.2024.