Kotzebue, August von: Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804. Bd. 2. Berlin, 1804.machen,) die Hindernisse, welche ihre fehlerhafte Massieu, sein geistreichster Zögling, ist freylich ein außer- Ein anders Mal, da Massieu, von seinem Lehrer machen,) die Hindernisse, welche ihre fehlerhafte Massieu, sein geistreichster Zoͤgling, ist freylich ein außer- Ein anders Mal, da Massieu, von seinem Lehrer <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0117" n="117"/> machen,) die <hi rendition="#g">Hindernisse,</hi> welche ihre fehlerhafte<lb/> Organisation entgegensetzt, die <hi rendition="#g">Mittel,</hi> sie zu besie-<lb/> gen. Er zeigte, daß man nicht allein die gewoͤhnlichen-<lb/> den Sinnen faßlichen Dinge, sondern auch die aller ab-<lb/> straktesten Wahrheiten, die Taubstummen lehren koͤnne.</p><lb/> <p>Massieu, sein geistreichster Zoͤgling, ist freylich ein außer-<lb/> ordentlicher Mensch; und seine tours de force, wenn man<lb/> es so nennen will, setzen in Erstaunen. Ein Gelehrter unter<lb/> den Zuhoͤrern pruͤfte ihn einigemal durch schwere Aufgaben,<lb/> die er mit bewundernswuͤrdigem Scharfsinne loͤsete. Er<lb/> sollte z. B. den Begriff von être éternel (ewiges Wesen)<lb/> ausdruͤcken, da doch der Begriff von être schon so schwer<lb/> zu entwickeln ist. Der letztere war ihm indessen schon ge-<lb/> laͤufig, und er fand ihn bald. Nun fragte ihn Sicard<lb/> durch Zeichen, ob es wohl ein être gaͤbe, dem diese Be-<lb/> nennung ganz ausschließlich zukomme? — Er sann ei-<lb/> ne Weile, und endlich, wie von einem Blitzstrahle ge-<lb/> ruͤhrt, mit vor Freude funkelnden Augen, schrieb er an<lb/> die Tafel: Dieu! einen Augenblick nachher setzte er mit<lb/> einer Art von Triumph hinzu: être des êtres!</p><lb/> <p>Ein anders Mal, da Massieu, von seinem Lehrer<lb/> geleitet, eben das <hi rendition="#g">Wollen</hi> (vouloir) mit allen seinen<lb/> Abtheilungen und Unterabtheilungen analysirte, foderte<lb/> ein Zuhoͤrer, man soll ihn das Wort velléité finden <choice><sic>las-<lb/> len</sic><corr>las-<lb/> sen</corr></choice>. Das Wort ist bekanntlich unuͤbersetzbar, und be-<lb/> deutet so Viel als <hi rendition="#g">Halbwille.</hi> Sicard versicherte, er<lb/> habe-dieß seltene Wort nie diktirt, und Massieu es nie gele-<lb/> sen; fieng aber gleich sehr bereitwillig an, ihm die Begriffe<lb/> zu entwickeln, oder vielmehr sie von ihm selbst entwickeln<lb/> zu lassen, um ihn auf diesen zu fuͤhren. Waͤre hier Be-<lb/> trug gewesen, so muͤßte er sehr fein angelegt, und der<lb/> Lehrer sowohl als der Zoͤgling große Schauspieler seyn.<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [117/0117]
machen,) die Hindernisse, welche ihre fehlerhafte
Organisation entgegensetzt, die Mittel, sie zu besie-
gen. Er zeigte, daß man nicht allein die gewoͤhnlichen-
den Sinnen faßlichen Dinge, sondern auch die aller ab-
straktesten Wahrheiten, die Taubstummen lehren koͤnne.
Massieu, sein geistreichster Zoͤgling, ist freylich ein außer-
ordentlicher Mensch; und seine tours de force, wenn man
es so nennen will, setzen in Erstaunen. Ein Gelehrter unter
den Zuhoͤrern pruͤfte ihn einigemal durch schwere Aufgaben,
die er mit bewundernswuͤrdigem Scharfsinne loͤsete. Er
sollte z. B. den Begriff von être éternel (ewiges Wesen)
ausdruͤcken, da doch der Begriff von être schon so schwer
zu entwickeln ist. Der letztere war ihm indessen schon ge-
laͤufig, und er fand ihn bald. Nun fragte ihn Sicard
durch Zeichen, ob es wohl ein être gaͤbe, dem diese Be-
nennung ganz ausschließlich zukomme? — Er sann ei-
ne Weile, und endlich, wie von einem Blitzstrahle ge-
ruͤhrt, mit vor Freude funkelnden Augen, schrieb er an
die Tafel: Dieu! einen Augenblick nachher setzte er mit
einer Art von Triumph hinzu: être des êtres!
Ein anders Mal, da Massieu, von seinem Lehrer
geleitet, eben das Wollen (vouloir) mit allen seinen
Abtheilungen und Unterabtheilungen analysirte, foderte
ein Zuhoͤrer, man soll ihn das Wort velléité finden las-
sen. Das Wort ist bekanntlich unuͤbersetzbar, und be-
deutet so Viel als Halbwille. Sicard versicherte, er
habe-dieß seltene Wort nie diktirt, und Massieu es nie gele-
sen; fieng aber gleich sehr bereitwillig an, ihm die Begriffe
zu entwickeln, oder vielmehr sie von ihm selbst entwickeln
zu lassen, um ihn auf diesen zu fuͤhren. Waͤre hier Be-
trug gewesen, so muͤßte er sehr fein angelegt, und der
Lehrer sowohl als der Zoͤgling große Schauspieler seyn.
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDie "Erinnerungen aus Paris im Jahre 1804" von Au… [mehr] Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |